Als Joachim Löw am Tag nach dem WM-Triumph 2014 in Rio de Janeiro zum Frühstück schritt, wurde er von dieser Nachricht wie vom Blitz getroffen. Philipp Lahm teilte dem Bundestrainer mit, dass er seine Karriere in der Nationalmannschaft beenden werde.
Löw hatte damit ebenso wenig gerechnet wie der Rest des Landes. Aber Lahm hat damals alles richtiggemacht. Er hat geahnt, dass er selbst und diese Mannschaft es in den nächsten Jahren schwer haben werden.
Löw fehlt Lahms Weitblick
So viel Weitblick hatte Löw nicht. Auch der Bundestrainer hätte auf dem Höhepunkt zurücktreten können, aber er wollte mehr. Er wollte als erster Bundestrainer nach Helmut Schön zwei große Turniere in Folge gewinnen, er wollte als erster Bundestrainer den WM-Titel verteidigen. Er glaubt an eine Mannschaft - um es mit Franz Beckenbauer zu sagen -, die mit weiteren Talenten auf Jahre hinaus unschlagbar sein werde.
Am Ende steht eine durchwachsene EURO 2016 und ein Debakel bei der WM 2018. Viel schlimmer: Löw sieht sich den gleichen Debatten ausgesetzt wie schon nach der EM 2012 und vor der WM 2014. Ist Löw ein Turniertrainer? Ist sein In-Game-Coaching ausreichend? Ist sein Führungsstil angemessen? Ist Löws Credo "Nur wer schön spielt, kann gewinnen" überholt?
In Rio fehlte Löw Lahms Fähigkeit, die Gemengelage richtig einzuschätzen. Auch in Brasilien lief nicht alles glatt, auch wenn das Turnier aufgrund der angenehmen Grundstimmung im Campo Bahia glorifiziert wird.
Dabei gab es nicht nur kritische Spiele gegen Ghana, Algerien und Frankreich, sondern auch gruppendynamische Unebenheiten, beispielsweise als Sami Khedira ins Team drängte und Lahm seinen Platz im Zentrum nicht freiwillig räumen wollte.
Joachim Löw müsste sich komplett neu erfinden
Der Großteil dieser Probleme konnte im Anschluss an das Turnier unter den Teppich des Triumphs gekehrt werden, der Rest wurde vom Pragmatismus überdeckt, zu dem Löw von seinem oft unterschätzten Co-Trainer Hansi Flick gedrängt wurde. Außerdem gab es in dieser Mannschaft außergewöhnliche Spieler und Typen wie Lahm, Bastian Schweinsteiger, Per Mertesacker und Miroslav Klose, die Löw viel Arbeit abnehmen und Dinge unter sich regelten.
Vier Jahre später steht Löw blank da. Es gibt jede Menge offene Flanken zu verteidigen, eine Mannschaft, in der offensichtlich ein Generationenkonflikt schwelt und die von einem Selbstreinigungsprozess weit entfernt scheint.
Um diese Aufgaben zu meistern, müssten sich Löw mit 58 Jahren noch einmal komplett neu erfinden. Dass ihm das gelingt, ist unwahrscheinlich. Er hätte 2014 zurücktreten und Lahm beim Frühstück mit dieser Nachricht überraschen sollen.
DFB-Trainer: Die Coaches vor Joachim Löw
Trainer | Amtsantritt | Amtsende | Siegquote |
Joachim Löw | 2006 | - | 65,45 Prozent |
Jürgen Klinsmann | 2004 | 2006 | 58,58 Prozent |
Rudi Völler | 2000 | 2004 | 54,72 Prozent |
Erich Ribbeck | 1998 | 2000 | 41,46 Prozent |