Die Fesseln sind gelöst: Mit dem 6:0-Schützenfest gegen Armenien liefert die DFB-Elf einen Vorgeschmack auf das, was in der Ära Hansi Flick möglich ist - vor allem dank eines eingespielten Bayern-Blocks. Drei Erkenntnisse zum Heimdebüt des neuen Bundestrainers.
1. Flicks Bayern-Block schon jetzt nicht mehr wegzudenken
Flicki Flacka statt Schlafwagen-Fußball: Nachdem es beim 2:0 in Liechtenstein noch den Anschein hatte, als würden der Nationalelf die biederen letzten Jahren unter Joachim Löw noch in den Knochen stecken, präsentierte sie sich am Sonntagabend in Stuttgart wie entfesselt.
Armenien war zwar mit Sicherheit "nicht der Übergegner", wie Timo Werner nach dem 6:0 treffend festhielt, hatte zuvor aber in noch keinem Pflichtspiel unter Trainer Joaquin Caparros mehr als zwei Gegentore kassiert. Unabhängig vom Gegner war es ein Spiel, das Spaß machte. Weil die deutsche Mannschaft das in ihr schlummende Potenzial endlich auf den Rasen brachte, weil sie den Menschen auf den Rängen und vor den Fernsehgeräten Leidenschaft, Kreativität und Hunger auf Tore vermittelte - von der ersten bis zur letzten Minute.
Es war ein Auftritt, der stark an Hansi Flicks Triple-Pressingmaschine aus München erinnerte. Kein Wunder: Mit Manuel Neuer, Niklas Süle, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Leroy Sane und Serge Gnabry standen sechs Bayern-Profis in der Startelf. Sie gaben den Takt vor und trugen so maßgeblich zu der gelungenen Heimpremiere der Post-Löw-Ära bei.
Gerade die Flügelzange Sane-Gnabry wirkte im Vergleich zur EM wie ausgewechselt, was wohl auch der Tatsache geschuldet war, dass Flick sie im Gegensatz zu Löw richtig einsetzte. Sane agierte überwiegend auf der linken, Gnabry auf der rechten Außenbahn. Mit Erfolg. Und der Erkenntnis: Es geht eben nicht ohne Bayern-Block. Und der könnte bis zur WM im nächsten Jahr noch anwachsen, wenn man bedenkt, dass Thomas Müller verletzungsbedingt fehlt und Jamal Musiala gegen Armenien "nur" von der Bank kam.
2. Gündogan droht erneut die Rolle des Herausforderers
Ilkay Gündogan zählt unbestritten zu den besten Mittelfeldspielern in Europa. An seiner Situation zeigt sich, wie viel Qualität in dem DFB-Team steckt - denn der Profi von Manchester City dürfte in dieser Mannschaft (weiterhin) wenig Aussicht auf einen Stammplatz haben.
Wenngleich Flick ihn jünst vom Weitermachen überzeugte: Das eingespielte Bayern-Tandem Kimmich-Goretzka - das hat das Armenien-Spiel einmal mehr gezeigt - funktioniert hervorragend, während sich auch auf der von Gündogan bevorzugten Zehner-Position sogar noch mehr Spieler vom Format "Topklasse" tummeln.
gettySo betrieb der auf Wunsch von Flick reaktivierte Marco Reus am Sonntagabend in Stuttgart mit einer glänzenden Vorstellung als Umschaltspieler Werbung in eigener Sache. Neben dem Kapitän von Borussia Dortmund stehen Flick noch der bereits genannte Müller sowie Kai Havertz zur Verfügung. Und: Neben Musiala drängt sich mit Florian Wirtz ein weiteres Talent auf.
Wohin also mit Gündogan? Es ist davon auszugehen, dass dem 30-Jährigen mit Blick auf die WM nur die Rolle des Herausforderers bleibt, gerade wenn Kimmich und Goretzka fit sind.
3. Hofmann überzeugt als "falscher" Außenverteidiger
Jonas Hofmann spielte gegen Armenien erstmals im DFB-Dress durch. Dabei trug Flick dem Profi von Borussia Mönchengladbach eine interessante taktische Rolle auf: Hofmann agierte - ähnlich wie beispielsweise Joao Cancelo bei Manchester City - als "falscher" Außenverteidiger.
Sprich: Bei Ballbesitz Deutschland orientierte er sich meist ins rechte offensive Mittelfeld, während er sich bei Ballbesitz Armenien häufig in die hintere, aus Niklas Süle, Antonio Rüdiger und Thilo Kehrer bestehende Dreier-Abwehrkette fallen ließ. Kehrer agierte in diesem Fall dann als klarer Linksverteidiger. Ein Experiment von Flick, das gegen die offensiv harmlosen Gäste voll aufging.
optaDenn Hofmann erfüllte im Grunde alle Kriterien eines zuverlässigen "Schienenspielers". Er hatte mit 84 Ballaktionen die fünftmeisten aufseiten der Flick-Elf, brachte 93 Prozent seiner Pässe an seine Mitspieler und gewann über 70 Prozent seiner Zweikämpfe. Hinzu kamen acht Balleroberungen - nur Süle hatte mehr (zwölf). Die Belohnung für seine starke Leistung: Hofmann erzielte kurz nach dem Seitenwechsel das zwischenzeitliche 5:0.
"Ich kann mich offensiv viel einschalten", sagte der 29-Jährige nach dem Spiel bei RTL. "Das Defensive muss kommen, die Jungs haben mich aber gut eingewiesen. Ich fühle mich in dieser Roll wohl." Neben Ridle Baku bietet sich Flick also noch eine Alternative für die rechte (Defensiv)-Seite.