Füllkrug, Götze, Mr. X: Wer wird Deutschlands Überraschungs-Mittelstürmer bei der WM?

Stefan Rommel
03. Oktober 202212:00
Hansi Flick zuletzt beim Nations-League-Abschluss gegen England in Wembley.getty
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Werder Bremens Niclas Füllkrug unterfüttert seine WM-Ambitionen weiter mit Toren. Bundestrainer Hansi Flick bieten sich aber durchaus auch andere Optionen für den vakanten Posten im Angriffszentrum.

Es ist noch gar nicht so lange her, da war Niclas Füllkrug einer der erfolglosesten Angreifer der zweiten Liga.

Vor ziemlich genau einem Jahr steckte Füllkrug in der schwierigsten Phase seiner Laufbahn, hatte mit Werder Bremen den Abstieg in das Unterhaus zu verarbeiten, war bei seinem damaligen Trainer Markus Anfang nicht mehr wohl gelitten, legte sich intern mit Bremer Offiziellen an - und traf partout nicht mehr ins gegnerische Tor.

Nach zehn Spieltagen der letzten Saison hatte Füllkrug exakt einen Scorerpunkt auf dem Konto, eine Vorlage im Heimspiel gegen Hansa Rostock. Einen eigenen Treffer konnte der Mittelstürmer nicht vorweisen. Füllkrug wurde zum Bankdrücker degradiert, die Zeit bei und mit Werder Bremen schien ein unrühmliches Ende zu nehmen für den Routinier.

Dann rief er seine eigene kleine Revolution aus: Mit einem Tor im Hardtwaldstadion in Sandhausen, seinem ersten nach quälend langen Wochen des Haderns und Zauderns. Es folgten 18 weitere, dazu ein Trainerwechsel und ein Bundesligaaufstieg. Und nun, 36 Scorerpunkte später, klopft Niclas Füllkrug, der noch nie ein Länderspiel absolviert hat, plötzlich an das Tor zur Fußball-Weltmeisterschaft in Katar.

Niclas Füllkrug führt die Torjägerliste der Bundesliga nach acht Spieltagen mit sieben Treffern an.getty

Niclas Füllkrug drängt sich immer mehr auf

Am Wochenende nahm Füllkrug die vielen Einladungen von Borussia Mönchengladbach dankend an, setzte sich mit zwei Toren und einem Assist an die Spitze jener internen Scorerliste, die nur Spieler mit einem deutschen Pass berücksichtigt. Aktuell ist nur noch Union Berlins Sheraldo einen Zähler besser, aber der dürfte ja nicht für Deutschland spielen.

In der Torjägerliste hat Füllkrug nun alle anderen überholt, die eigentlich in die Fußstapfen der ehemaligen Granden Robert Lewandowski und Erling Haaland treten wollten.

Das mag nun eine dieser oft zitierten Momentaufnahmen sein, ein kleiner Ausschnitt einer noch sehr langen und beschwerlichen Saison. Die Tatsache, dass Füllkrug aber seit dem letzten Oktober beharrlich ins gegnerische Tor trifft, dass er - endlich einmal - nahezu verletzungsfrei geblieben ist und in seiner Rolle bei Werder ein paar Dinge zeigt, die der deutschen Nationalmannschaft im Prinzip seit Jahren abgehen und nach denen das Trainerteam um Hansi Flick schon etwas länger fandet, machen Füllkrug tatsächlich zu einem veritablen Kandidaten für die in ein paar Wochen beginnende Weltmeisterschaft.

Das deutsche Problem

Das Land der Mittelstürmer sucht streng genommen seit dem Abschied von Miroslav Klose aus der Nationalmannschaft eine neue Nummer neun. Und Kloses Rücktritt ist nun schon acht Jahre her. Mario Gomez hat sich danach daran versucht und den Job wenigstens teilweise ausfüllen können, dazu eine ganze Schar an verkappten Neunern, zuletzt schien Lukas Nmecha die Lösung des Problems.

Andere Nationen präsentieren den Goldstandard: Lewandowski, Haaland, Harry Kane, Ciro Immobile, Karim Benzema, Romelu Lukaku, Cristiano Ronaldo, selbst der in Spanien immer etwas verschmähte Alvaro Morata.

In Deutschland waren klassische Mittelstürmer eine Zeit lang verpönt, nun erlebt die Position im Angriffszentrum aber längst ihre Renaissance. Nur hat es der deutsche Fußball verpasst, sich dafür ein paar geeignete Spielertypen zu schnitzen. Deshalb rückt einer wie Füllkrug in den Fokus, der ein paar Wochen nach dem WM-Turnier 30 Jahre alt wird und sein letztes Länderspiel vor über acht Jahren absolviert hat: Damals für die U20-Nationalmannschaft.

Die Not ist so groß im verhinderten Stürmerland, dass erst vor ein paar Monaten sogar darüber nachgedacht wurde, es mit Simon Terodde zu versuchen. Ein waghalsiges Manöver wäre so etwas, wenngleich Terodde als bester Zweitligastürmer aller Zeiten und aufgrund seiner überaus loyalen und mannschaftsdienlichen Art sicherlich ein paar Argumente auf seiner Seite hätte. Tatsächlich käme seine Nominierung - und dafür kann Terodde nun gar nichts - auch einer Bankrotterklärung der deutschen Nachwuchsförderung gleich.

Nmecha und Berisha mit Außenseiterchancen?

Wahrscheinlicher sind andere Optionen, die sich Flick und sein Trainerteam in den letzten Wochen vor dem Start in das Turnier noch offen halten werden. Neben Füllkrug kommt definitiv Lucas Nmecha in Frage. Der ist allerdings schon wieder verletzt, hat mit Wolfsburg den Start in die Saison verhauen und sich deutlich weniger aufgedrängt als Füllkrug.

Neulich brachte Augsburgs Sportchef Stefan Reuter seinen Spieler Mergim Berisha ins Spiel. Dass dann ein U21-Europameister, der sich seitdem sehr gut weiterentwickelt hat, irgendwann ins Blickfeld der Nationalmannschaft rückt, ist folgerichtig. "Mergim ist fußballerisch richtig gut, extrem torgefährlich und hat vom ersten Tag an gezeigt, dass er sich gegen Top-Innenverteidiger behaupten kann. Macht er so weiter, könnte er der vielzitierte Überraschungskandidat für die WM sein", sagte Reuter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Berisha war wie Nmecha auch im letzten Jahr Teil der erfolgreichen U-21-Nationalmannschaft und ist seit seinem Wechsel vor ein paar Wochen in die Bundesliga nun auch hier etwas stärker auf dem Radar. Ein klassischer Mittelstürmer ist der 24-Jährige aber auch nicht. Das wiederum hat Berisha gemein mit Mario Götze.

Hansi Flick wird sein Credo aufweichen müssen

Götze war einmal so etwas wie das Leitmotiv des deutschen Fußballs, verkörperte die offensive Spielidee weg vom Strafraumstürmer und hin zu einem beweglichen, mitspielenden Angreifer, der überall zu finden ist, kurz abtaucht und dann plötzlich im gegnerischen Strafraum doch wieder auftaucht, wie kein Zweiter.

Bei Berisha und Götze waren es Vereinswechsel, die sie erstmals oder wieder in die Bundesliga brachten, bei Füllkrug war es der Aufstieg mit Werder. Alle drei müssten eigentlich erst noch den dauerhaften Beweis ihrer Befähigung erbringen. Das Turnier mitten in der Saison mit weniger als der Hälfte der Spiele und damit auch einer überschaubaren Castingperiode für den Bundestrainer verändert aber die Ausgangslage dramatisch.

Flick wird sein Credo aufweichen müssen: Er wird eine Spur weniger auf das Potenzial eines möglichen Mittelstürmers schauen und mehr auf dessen aktuelles Leistungsvermögen, die Form, die Fitness und ob der Spieler aus dem Stand und ohne große Vorbereitungszeit auf das Turnier helfen kann.

Der frühere Herthaner und DFB-Juniorennationalspieler Hany Mukhtar spielt seit 2020 in Nashville in der MLS.getty

Ein Mittelstürmer ist fest eingeplant

Also wird er wohl etwas anders sichten müssen und vielleicht auch in einer Liga, die in Deutschland fast gar keine Beachtung findet. Hany Mukhtar führt die Scorerliste der Major League Soccer in Nordamerika an. 23 Tore und elf Assists nach 32 Spielen der Regular Season sind der exzellente Ausweis des gebürtigen Berliners und ehemaligen U-21-Nationalspielers.

Mukhtar ist an 68 Prozent aller Tore seines Klubs Nashville SC beteiligt, hat zuletzt in vier Spielen sieben Treffer erzielt. Man kann wohl ohne Übertreibung konstatieren, dass der 27-Jährige in blendender Verfassung ist. Es könne schon sein, dass "wir einen Spieler mitnehmen für diesen gewissen Moment". Das hat der Bundestrainer vor ein paar Wochen erzählt und damit aufhorchen lassen.

Bei den letzten beiden großen Turnieren scheiterte die deutsche Mannschaft auch daran, keinen geeigneten oder treffsicheren Spieler für das Angriffszentrum im Kader zu haben. Gomez war bei der WM in Russland die einzige Option, in einer dysfunktionalen Mannschaft aber auf verlorenem Posten.

Und zuletzt bei der Europameisterschaft verzichtete der damalige Bundestrainer Joachim Löw auf einen klassischen Mittelstürmer und zauberte kurz vor dem Turnier stattdessen Kevin Volland aus dem Hut. Für die anstehende WM dürfte Hansi Flick einen anderen Plan haben.

Und er hat ja auch erneut den Vorteil, 26 statt wie gewohnt 23 Spieler nominieren zu dürfen. Das vergrößert die Chancen der deutschen Mittelstürmerkandidaten enorm.