Wenn die Gegenwart die Vergangenheit auffrisst, scheint der eingeschlagene Weg oftmals richtig zu sein. Was bis dahin passierte, was eventuell schief ging, zählt dann nicht mehr. Im Falle von Amaury Bischoff kam es am 19. August zu genau diesem Aufeinandertreffen.
An jenem Tag empfing Preußen Münster in der ersten Runde des DFB-Pokals Werder Bremen. Bischoffs Gegenwart traf auf seine Vergangenheit. Am Ende gelang den Münsteranern die Sensation, der Drittligist zog in die nächste Runde ein.
Dass Bischoff dabei zu Preußens Protagonisten zählte, ist angesichts der wechselhaften Karriere des ehemaligen französischen Juniorennationalspielers keineswegs selbstverständlich.
In Münster scheint Bischoff die passende sportliche Heimat nun allerdings gefunden zu haben. Endlich, möchte man sagen. Seit seinem Wechsel im Sommer ist er zur festen Größe im Team von Trainer Pavel Dotchev gereift. "Amaury ist einer, der für die Kreativität bei uns zuständig ist. Er gibt Impulse in der Offensive und kann das Spiel gut lesen", erklärt der Coach gegenüber SPOX.
Von Bremen nach London
Dank seiner Offensivqualitäten wurde auch Werder Bremen auf Bischoff aufmerksam. Das war vor sieben Jahren. Bischoff wechselte 2005 aus Straßburg an die Weser. Doch die drei Jahre, die der Sohn eines französischen Vaters und einer portugiesischen Mutter in Bremen verbrachte, verliefen für das angepriesene Talent äußerst ernüchternd.
Abgesehen von einem Kurzauftritt im UEFA-Cup füllte Bischoff seinen Lebenslauf lediglich mit Auftritten in Werders zweiter Mannschaft. Später kam noch eine langwierige Leistenverletzung hinzu. Kurzum: Bischoff spielte kaum.
Da mutete es merkwürdig an, dass ausgerechnet einer der ganz Großen des Weltfußballs auf den Mittelfeldspieler aufmerksam wurde: Arsene Wenger lotste seinen elsässischen Landsmann, der in Bremen bei den Profis letztlich kein Bein auf den Boden brachte, zum FC Arsenal. "Kein Spieler kann ein solches Angebot von einem großen Verein ausschlagen", sagt Bischoff im Gespräch mit SPOX.
"Tolles Jahr bei Arsenal"
Doch nur ein Jahr nach dem Transfer an die Themse machte sich Bischoff schon wieder vom Acker. Bei den Gunners war er aufgrund der großen Konkurrenz und einiger Verletzungsprobleme - Leistenbeschwerden machten ihm während der Anfangszeit zu schaffen - chancenlos. Für sieben Einsätze in der ersten Mannschaft reichte es immerhin.
"Ich denke, das waren damals einfach zu viele große Spieler. Ich habe es einfach nicht geschafft, meine Leistung wie Samir Nasri und Cesc Fabregas konstant abzurufen", gibt er zu. "Trotzdem hatte ich ein tolles Jahr bei Arsenal und habe viel gelernt."
Die nächste Station war Portugal. Dort hoffte Bischoff, die Erfahrungen aus seiner Zusammenarbeit mit Wenger ("Der beste Trainer für junge Spieler") nutzen zu können, um bei Academica Coimbra seiner Karriere eine neue Richtung zu geben.
Schwierigkeiten in Portugal
Als Coimbra jedoch zwei Monate nach seiner Ankunft den Trainer austauschte, verschwamm trotz einiger Einsätze auch beim neuen Klub schnell die Perspektive. Bischoff wurde letztlich ausgeliehen, eine Etage tiefer zu CD Aves, wo er 2011 fest verpflichtet wurde.
Bremen, Arsenal - und dann 2. Liga in Portugal? Bischoff tritt seinen Kritikern, die ihn damals mit dem Stempel "Gescheitert" ausstatteten, entgegen: "In Portugal hatte ich drei super Jahre. Es war manchmal zwar nicht leicht, da ständig die Trainer gewechselt wurden, aber die Erfahrungen waren überwiegend gut. Und ich denke, gegen Sporting, Porto oder Benfica zu spielen, ist auch nicht schlecht."
Dotchev von Qualitäten überzeugt
In Deutschland war seine Name eigentlich in Vergessenheit geraten, doch Dotchev erinnerte sich an ihn. Der Trainer verfolgte Bischoffs Weg seit Werder-Zeiten - und machte ihm im Sommer den Wechsel nach Münster schmackhaft.
"Ich habe ihn damals oft gesehen. Sein Potenzial und seine Qualitäten waren für mich mehr als überzeugend. Deshalb habe ich mir gedacht, dass er noch eine Chance verdient hat und eine Geheimwaffe für uns werden könnte. Ich habe ihm diese Rolle zugetraut und deshalb haben wir zugeschlagen", so Dotchev.
Und tatsächlich: Bischoff gehört beim aktuellen Tabellenführer der 3. Liga zu den Köpfen des Teams. Seit dem dritten Spieltag ist Preußen nun schon ungeschlagen, Bischoff hält derzeit bei fünf Toren und drei Vorlagen.
Der 26-Jährige zieht die Fäden im Mittelfeld, macht das Spiel schnell und weiß, wann er auch einmal das Tempo herausnehmen muss. "Aus mannschaftstaktischer Hinsicht ist Amaury ein sehr wichtiger Spieler für uns", lobt Dotchev.
Münsteraner Comeback-Qualitäten
Doch in Münster läuft in der aktuellen Saison viel über den Teamgedanken und die Geschlossenheit der Truppe. Bereits vier Mal lag Preußen in der Liga mit mindestens einem Tor in Rückstand und gewann dennoch - so auch, als man Werder im Pokal blamierte.Doch trotz des sportlichen Höhenflugs hält man sich rund um das Preußenstadion bedeckt, das Wort Aufstieg kam hier bislang noch keinem über die Lippen. Stattdessen legen die Verantwortlichen eine gesunde Selbsteinschätzung an den Tag, schließlich durchlebte Preußen in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche schwere Stunden.
Noch im Januar machte der Verein mehr durch interne Streitigkeiten auf sich aufmerksam, als durch sportliche Kontinuität. Doch dann kam Pavel Dotchev.
Dotchev weckt Potential
Der Bulgare hat dem schlafenden Riesen Preußen Münster, immerhin Gründungsmitglied der Bundesliga, neues Leben eingehaucht. Davon profitieren seine Spieler, allen voran Amaury Bischoff.
"Ich habe natürlich noch große Ambitionen, aber im Moment bin ich froh, dass ich wieder in Deutschland spielen kann und einen Trainer habe, der zu 100 Prozent an mich glaubt und hinter mir steht", sagt Bischoff.
Münster und Bischoff - es scheint erstmals in der Karriere des Mittelfeldspielers eine Verbindung zu geben, die auch auf lange Sicht Sinn macht.
Amaury Bischoff im Steckbrief