Ein Nation zittert - und hofft auf den neuen Anführer: Mainz-Legionär Eugen Polanski über die Wandlung vom Deppen zum Helden und Polens Endspiel um den Viertelfinal-Einzug gegen Tschechien, das der EM-Gastgeber gewinnen muss (20.30 Uhr im LIVE-TICKER). Außerdem: Was er zu dem von Dortmund gejagten Rafal Wolski sagt.
SPOX: Der Freudenschrei über Ihr vermeintliches 1:0 gegen Russland war eines der Momente der bisherigen EM: Sie drehten im sicheren Gefühl des Torerfolgs bereits zum Jubel ab - und merkten erst mit einigen Sekunden Verspätung, dass er wegen Ihrer Abseitsstellung abgepfiffen wurde. Was geht in einem vor?
Eugen Polanski: Es war schon ein Ausbruch der Gefühle: Ein Tor bei einer EM, im eigenen Land, vor fast 60.000 Fans - es gibt fast nichts Schöneres. Dass es nicht gezählt hat, fand ich dennoch okay, weil es die richtige Entscheidung war - auch wenn es nur um Zentimeter ging. Für mich persönlich fand ich es schade. Dennoch nahm ich die Szene schon während des Spiels nicht besonders wichtig.
SPOX: Warum?
Polanski: Weil wir ein eingeschworener Haufen sind und es nicht um den Erfolg des Einzelnen geht. Ich wollte mich sofort wieder auf das Wesentliche konzentrieren.
SPOX: In der polnischen Presse wurde vor der EM angezweifelt, dass die Nationalmannschaft eine Einheit ist.
Polanski: Das ging ja nach dem Auftaktspiel gegen Griechenland so weiter. Wir waren die Deppen der Nation. Und dann, nach dem Russland-Spiel, als wir so gut mitgehalten haben, sind wieder alle euphorisch. So schnelllebig läuft es wohl in allen Ländern im Fußball. Wir dürfen nicht den Fehler begehen und das eine oder das andere glauben. Vielmehr geht es nur um eines: Wir müssen die Tschechen weghauen. Wenn uns das gelingt, beweisen wir den letzten Kritikern, über was für eine saustarke Truppe Polen verfügt.
SPOX: Vom Teamgedanken war wenig zu sehen, als Ludovic Obraniak gegen Russland ausgewechselt wurde und erbost eine Wasserflasche wegtrat.
Polanski: Das Thema wurde einmal angesprochen und er entschuldigte sich, damit ist die Sache vergessen und abgehakt.
SPOX: Es ist also alles gut in der Kabine?
Polanski: Absolut. Wir verstehen uns fußballerisch und menschlich alle sehr gut. Diese Eingespieltheit hatte sich schon gegen Griechenland gezeigt, als wir in der ersten Halbzeit so geschlossen aufgetreten sind, wie es sein muss. Gegen Russland konnten wir das über die gesamte Partie abliefern. Deswegen treten wir mit dem guten Gefühl an, dass wir die Tschechen weghauen.
SPOX: Sie werden sich als defensiver Mittelfeldspieler des Öfteren mit Tschechiens Tomas Rosicky duellieren. Bereiten Sie sich extra darauf vor?
Poalnski: Nicht speziell. Das ist glaube ich auch nicht nötig. Wir kommen über das Kollektiv und wir sind gut beraten, uns auf unsere Stärken zu konzentrieren. Selbstredend müssen wir defensiv sehr gut stehen. Das heißt: Wir bearbeiten einen Gegenspieler als Mannschaft und nicht als Einzelner. Das wäre nicht unser Fußball und nicht unsere Philosophie.
SPOX: Sie zerstören nicht nur, sondern gestalten die Offensive mit. Nach zwei guten Auftritten gelten Sie gar als der neue Boss der Nationalmannschaft. Sehen wir den besten Eugen Polanski aller Zeiten?
Polanski: Keine Ahnung. (lacht) Dass müssen die Journalisten beurteilen. Ich weiß nur, dass ich mich gerade auf dem Fußballplatz pudelwohl fühle. Ich bin gut in Form und biete vor allem läuferisch und körperlich einiges. Es passt einfach.
SPOX: Die kritischen Stimmen einiger Rechtspopulisten ob der Einbürgerung von Ihnen oder Sebastian Boenisch wurden leiser. Fühlen Sie Genugtuung?
Polanski: Ich war von Anfang an der Meinung, dass jeder denken und sagen kann, was er will. Es liegt nicht an mir, das zu verurteilen. Aber klar: Ich bekam mit, dass gerade das Russland-Spiel sehr positiv aufgenommen wurde. Dennoch bin ich nicht zufriedener, weil plötzlich irgendwelche Leute meinen, dass ich doch ein echter Pole wäre, weil ich so gekämpft hätte. Die polnische Staatsbürgerschaft hatte ich damals angenommen mit der absoluten Gewissheit, dass es richtig ist. Ein gutes Spiel oder eine Kritik ändert nichts daran.
SPOX: Ihre Leistungen sollen Lazio Rom neugierig gemacht haben. Bekommt man derlei Gerüchte während einer EM mit?
Polanski: Überhaupt nicht.
SPOX: Ganz ehrlich?
Polanski: Ganz ehrlich. Ich versuche mich nur auf den Fußball zu konzentrieren und mich von nichts ablenken zu lassen. Und so viel Zeit bleibt ja nicht zwischen den Spielen. (lacht)
SPOX: Ein anderer umworbener Spieler heißt Rafal Wolski. Ein 19-jähriger Offensivspieler, für den Dortmund fast fünf Millionen Euro zu zahlen bereit sein soll. Was kann er?
Polanski: Er hat einiges drauf. Dass er als 19-Jähriger gleich an einer Heim-EM teilnehmen darf, sagt alles aus. Ich würde es ihm wünschen, dass er sich mehr zeigen darf. In den Testspielen und in jedem Training beweist er, welche Technik und Übersicht er besitzt. Aus ihm kann auf jeden Fall ein Großer werden.
SPOX: Nur: Bei der EM wurde er noch nicht einmal eingewechselt. Fehlt ihm etwas für die Bundesliga?
Polanski: Er wird nie die große Kante sein, was gar nicht nötig ist für seinen Stil. Dennoch ist er etwas zu schmächtig und muss zulegen. Die Bundesliga ist etwas anderes als die polnische Liga. Das Talent und die Spielanlage bringt er mit.
SPOX: Wolski ist eines der aufstrebenden Namen, fast unbemerkt darf sich Polen zudem als eines der besten Torwart-Nationen der Welt rühmen: Es bieten sich derart gute Torhüter an, dass selbst Artur Boruc nicht einmal als Nummer drei in Betracht kommt. Was wächst in Polen heran?
Polanski: Im Grunde besaß Polen schon immer sehr gute Torhüter. Dass Wojciech Szczesny und der leider verletzte Lukasz Fabianski bei Arsenal spielen, beweisen es. Przemyslaw Tyton kommt gegen Griechenland rein, hält gleich einen Elfmeter und legt gegen Russland eine starke Leistung nach. Dazu haben wir den jungen Sandomierski. Ich will das allerdings gar nicht auf die Torwart-Position beschränken. Wir sind als Mannschaft sehr gut besetzt, dass sieht man an der Bank. Es wurden einige wie Wolski noch gar nicht eingesetzt, obwohl sie es verdient hätten. Wir müssen uns bei der EM vor niemandem verstecken.
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