Selbst Zinedine Zidane glaubt nicht so recht an seine Landsleute. "Im Moment ist es klar, dass Spanien der Favorit ist. Nicht nur in diesem Spiel, sondern für die gesamte EM", sagte der dreimalige Weltfußballer vor dem Viertelfinale zwischen Frankreich und dem Titelverteidiger am Samstag (20.30 Uhr im LIVE-TICKER) in Donezk.
"Diese Mannschaft weiß genau, wo sie hin will." Das wusste einst auch Frankreich. Damals, als Zidane selbst noch spielte, und als Weltmeister 1998 und Europameister 2000 zwei große Titel hintereinander holte - wie es zuletzt den Spaniern gelang.
Zidane wird am Samstag 40 Jahre alt und ist heute Sportdirektor von Real Madrid. Seine Fußstapfen in der "Equipe Tricolore" konnte bisher niemand auch nur annähernd ausfüllen. Trotz guter Vorbereitung quälen sich die Franzosen durch die EM.
Mit einem 0:2 zum Abschluss der Vorrunde gegen die bereits ausgeschiedenen Schweden verspielten sie den Gruppensieg und das vielleicht einfachere K.o.-Spiel gegen Italien. In der Kabine gab es Streit, und auch der Optimismus in der Heimat ist knallharter Kritik gewichen.
Frankreich hofft auf Benzema
Die Sporttageszeitung "L'Equipe" stellte fest: "Bis auf Hugo Lloris, Franck Ribery und Karim Benzema hat niemand in diesem Team internationale Klasse." Doch selbst die Hoffnungsträger sind zu Sorgenkindern geworden. Dem wieder genesenen Bayern-Star Ribery zwickte zuletzt die Ferse, und Benzema scheint seinen Torriecher verloren zu haben.
Mit Franzosen an seiner Seite will es für den 24-Jährigen einfach nicht klappen. Im Trikot des spanischen Meisters Real Madrid brachte es Benzema in der abgelaufenen Saison auf 32 Pflichtspieltreffer. Am Samstag will er seinen spanischen Klubkollegen beweisen, dass er es auch gegen sie kann.
"Es geht nicht darum, dass es das Spiel von Karim wird. Es geht darum, dass der Mannschaftsgedanke dieses Mal stimmt", sagte Nationaltrainer Laurent Blanc am Freitag. "L'Equipe" hatte am Morgen getitelt: "Benzema, wir glauben daran" - um kurz darauf schon wieder quengelig zu werden: "Die anderen Stars des europäischen Fußballs haben bei dieser EM schon getroffen."
Wie zum Beispiel Spaniens Mittelstürmer Fernando Torres. Doch auch beim Weltmeister ist längst nicht alles Gold, was tabellarisch glänzt. Die Iberer spüren nach der Vorrunde, dass sie in der medialen wie öffentlichen Wahrnehmung Opfer ihrer Erfolge der vergangenen Jahre geworden sind.
Spanier wehren sich gegen Kritik aus der Heimat
Spieler und Trainer reagieren auf die ungewohnte Kritik an ihrer Spielweise trotzig: "Ich verstehe und teile die Kritik nicht. Die Ergebnisse sprechen doch für sich", sagte etwa Torwart Victor Valdes. Nationaltrainer Vicente del Bosque hatte bereits vor Tagen abgewinkt: "Solche Meinungen sind immer ergebnisabhängig."
Doch da irrt del Bosque. Erfolgreich sein alleine reicht offensichtlich nicht mehr. Fans und Experten haben sehr genau festgestellt, dass sich der hohe Favorit aus Spanien nur mit einer Portion Glück durch die Gruppenphase spielte. Die Dominanz der erfolgreichen Turniere vor zwei und vier Jahren bröckelt.
So kommt es nicht von ungefähr, dass der Respekt vor den Franzosen im spanischen Lager weiterhin groß ist. "Frankreich ist technisch sehr stark, sie kombinieren gut durchs Mittelfeld", sagte Andres Iniesta. Der Spielstil des europäischen Nachbarn ähnele ein wenig dem des FC Barcelona, will Valdes ausgemacht haben.
Casillas: "Hoffe, dass er nicht in guter Form ist"
"Niemand soll denken, dass dieses Spiel ein Spaziergang wird", warnte auch Torwart Iker Casillas, der sich zudem auf das Duell mit Klubkamerad Benzema freut: "Er ist ein fantastischer Spieler, aber ich hoffe, dass er gegen uns nicht in guter Form ist."
Doch je näher die Partie gegen Frankreich rückt, desto pragmatischer scheint auch die Gefühlslage in Spanien zu werden. "Wir sind gekommen, um zu gewinnen. Nicht, um zu spielen", schreibt die Tageszeitung "El Pais" und zitiert mit diesen Worten del Bosques Vorgänger Luis Aragones. Die Aussage stammt von 2008. Spanien wurde Europameister.
Der EM-Spielplan im Überblick