Der Schlüsselspieler
Vor allem in der Offensive besitzen die Niederlande ein riesiges Reservoir an talentierten und hochklassigen Akteuren. Die Folge: Selbst wenn Weltklasse-Spieler wie Arjen Robben oder Robin van Persie fehlen, kann die aktuelle Elftal ihren Stil scheinbar unverändert durchziehen.
Ist allerdings Wesley Sneijder nicht dabei, sind Qualität und Art des niederländischen Spiels eine andere als wenn der Inter-Star mit auf dem Platz steht. Daran kann auch Rafael van der Vaart, erste Alternative zu Sneijder, nichts ändern. Kein anderer Akteur prägt das Auftreten der Elf von van Marwijk so wie Sneijder, vor allem natürlich in der Offensive.
Im Spiel ohne Ball hingegen ist die Aufgabenstellung an den 27-Jährigen denkbar einfach. Bei gegnerischem Spielaufbau tief in der eigenen Hälfte rückt Sneijder von der Zehnerposition zunächst meist auf eine Höhe mit dem eigenen Mittelstürmer. Dort ist er angehalten, Passwege ins Zentrum zuzustellen, leichten Druck gegen den Ball auszuüben und sich zurück ins Mittelfeld fallen zu lassen, sobald der Gegner tiefer in die niederländische Hälfte kommt. Alles allerdings, ohne dabei zu viel Kraft aufzuwenden.
Auf aggressives Anlaufen des Gegners oder das Führen von echten Defensivzweikämpfen verzichtet Sneijder dagegen. Dafür sind im niederländischen Team andere zuständig. Sein Spiel beginnt, wenn die Niederlande in Ballbesitz ist. Und dann ist Sneijder plötzlich mittendrin. Denn: ein normaler niederländischer Spielzug ohne Beteiligung Sneijders findet nur selten statt.
In der Praxis sieht das dann so aus: Mit kurzen, einfachen Pässen wandert der Ball aus der Abwehr zu einem Sechser. Sneijder pendelt derweil durchs Mittelfeld, mal halblinks oder - rechts, mal zentral, immer den Ball im Blick und auf der Suche nach Raum und Moment, in dem er angespielt werden kann.
Häufig lässt er sich dabei tief in die eigene Hälfte fallen und nimmt dem Sechser den Ball gelegentlich auch direkt vom Fuß, auch wenn das niederländische Spiel dadurch an Tempo und Bewegung verliert.
Wird Sneijder per Pass von einem Mitspieler gesucht, fallen zwei Dinge auf: Zum einen versucht er den Ball in einer offenen Körperstellung - im Idealfall sogar mit dem ballferneren Fuß - anzunehmen, um dadurch die Möglichkeit zu haben, schon mit dem ersten Kontakt einen offensiven Impuls zu setzen. Ist die offene Körperstellung bei der Annahme nicht möglich, versucht Sneijder mit dem Ball schnellstmöglich aufzudrehen, um so das Spielfeld vor sich zu haben.
Zum anderen orientiert sich Sneijder schon vor einem Anspiel so, dass ihm nach seinem Ballkontakt Räume zur Verfügung stehen, in denen er direkt wieder am Spielgeschehen teilnehmen kann. Heißt einfach ausgedrückt: Sneijder bekommt den Ball, passt ihn weiter, ist einige Meter weiter sofort wieder als neue Anspielstation verfügbar und arbeitet sich so in einen Bereich vor, in dem jede weitere Aktion Torgefahr erzeugen kann.
Kein anderer Spieler in der niederländischen Nationalmannschaft ist derart prägend für das Offensivspiel, weil kein anderer gestalterischen Fähigkeiten mit Torgefahr vereint. Alle Fäden führen bei Sneijder zusammen - für die Gegner der Elftal bedeutet das allerdings auch: Wer es schafft, Sneijder aus dem Spiel zu nehmen, beschneidet das niederländische Offensivspiel in erheblichem Maße.