Die "falschen" Stürmer
Eines ist klar: In Sachen Mittelstürmer hat Bert van Marwijk das Beste zur Verfügung, was der europäische Fußball derzeit zu bieten hat. Klaas-Jan Huntelaar war Europas Top-Torjäger in der EM-Qualifikation und hat in seinen 41 Bundesliga- und EL-Partien in dieser Saison 38 Treffer erzielt. Robin van Persie steht dem Schalker in nichts nach und führt aktuell die Torjägerliste der Premier League an - mit bereits 27 Toren.
Wer solches Personal zur Verfügung hat, der kann es sich auch leisten, einem Ruud van Nistelrooy frühzeitig für die EM abzusagen. Der Torjäger des FC Malaga wird bei der Endrunde im Sommer nicht dabei sein, teilte ihm van Marwijk vor kurzem mit.
Auf wen er allerdings in seiner Startelf im Sturmzentrum setzen wird, daraus macht van Marwijk noch ein Geheimnis. Vor allem zwei Varianten sind derzeit denkbar. Option eins: Huntelaar beginnt vorne drin, van Persie rückt auf die rechte Offensivseite und bildet dort eine Dreierreihe mit Sneijder (zentral) und Robben (links).
Option zwei: Huntelaar bleibt zunächst auf der Bank, van Persie gibt den Stoßstürmer und Dirk Kuyt übernimmt den Part als rechter Flügelstürmer. In den Niederlanden gibt es nicht wenige, die diese Variante bevorzugen. Im letzten Test in England ließ van Marwijk seine Offensivabteilung in dieser Zusammensetzung starten und sah eine starke niederländische Mannschaft.
Was auffällt: Der nominelle Rechtsaußen ist, vor allem wenn Kuyt diese Position übernimmt, kein richtiger Flügelstürmer. Während sein Gegenüber (Robben) viel mehr an der Außenlinie klebt und versucht, sich für Eins-gegen-eins-Situationen zu isolieren, taucht der Rechtsaußen häufig andernorts auf und ist mehr ins "normale" Spielgeschehen" integriert.
Heißt: Er lässt sich regelmäßig auch als Anspielstation zurückfallen, rückt recht früh ins Halbfeld ein und dient auch als Wandspieler, der den Ball einfach nur mal prallen lässt. Gibt van Persie den Rechtsaußen, schleppt er den Ball ab und an auch mal Richtung Zentrum und öffnet dadurch in seinem Rücken Räume. Kuyt hingegen verzichtet in der Regel auf lange Ballbesitzzeiten.
Die unterschiedliche Interpretation des Flügelspiels auf links und rechts erzeugen in der gegnerischen Defensive ein Ungleichgewicht und machen es vor allem der Abwehrkette schwer, kompakt und geordnet zu verteidigen.
Zumal das niederländische Angriffsspiel häufig um eine weitere Facette ergänzt wird. Der Mittelstürmer gibt immer wieder seine Position im Sturmzentrum auf, lässt sich tief zurückfallen oder verschiebt nach außen und entzieht sich so dem Zugriff der Innenverteidiger, die dadurch für einen Moment blank und ohne direkten Bezugspunkt stehen.
Um das gleiche Spiel mit dem Außenverteidiger zu betreiben, macht sich der Rechtsaußen (v.a. Kuyt) auf den Weg in die Sturmmitte und besetzt das Zentrum. Die Folge/das Ziel: In der Abwehrreihe des Gegners muss in wenigen Momenten und auf mehreren Positionen entschieden werden: Wie weit folge ich dem niederländischen Stürmer? Wann übergebe ich an einen Mitspieler? Und was machen die restlichen Teile der Viererkette: hinterherschieben oder tief fallen lassen?
Trifft ein Glied der Viererkette die falsche Entscheidung, entstehen für die Elftal möglicherweise Räume zum Einlaufen und Lücken für das Passspiel.