Die deutsche Nationalmannschaft hat in der EM-Vorrunde weder individuell noch taktisch überzeugt. Zeit für eine große Umstellung mit neuen Spielern und anderen Rollen. Die Fußball-Kolumne.
In meinem Kommentar zur deutschen Leistung gegen Ungarn habe ich Jogi Löw Sturköpfigkeit vorgeworfen und den Bundestrainer zum Handeln aufgefordert.
Daraufhin schrieb ein User: "Liebes SPOX-Team, zeigt doch einfach mal, wie wir eurer Meinung nach spielen sollen."
Und da wir das Feedback unserer LeserInnen ernst nehmen, geht es in diesem Text um die (absolut subjektive) Meinung, wie die DFB-Auswahl im Achtelfinale am nächsten Dienstag im Londoner Wembley-Stadion gegen England spielen sollte.
Das System: Zurück zum 4-3-3!
Klares Plädoyer für die Rückkehr zur Viererkette und einem System, das fast alle Spieler im Aufgebot aus ihren Vereinen in- und auswendig kennen: dem 4-3-3.
Einerseits, um die wackelige Defensive zu stabilisieren, andererseits, um mit echten Außenstürmern inklusive Absicherung nach hinten viel mehr Druck nach vorne erzeugen zu können.
Tor: Keine Alternative zu Neuer
Manuel Neuer ist gesetzt, wenngleich es bislang nicht das Turnier des deutschen Kapitäns ist. Beim 2:2 gegen Ungarn patzte er beim zweiten Gegentor durch unnötiges und zu spätes Herauslaufen, auch einen "Unhaltbaren" konnte er noch nicht parieren.
Es spricht für sich, dass der kicker den Bayern-Keeper notenmäßig nicht mal unter den zwölf besten Torhütern der Vorrunde auflistet. Dennoch gibt es keinen Grund, den langjährigen Rückhalt auszutauschen, zumal aufgrund der Verletzung von Marc-Andre ter Stegen auch eine wirkliche Alternative fehlt.
Abwehr: "Ochsenabwehr" 2.0
"Offense wins games, defense wins championships" - sollte diese alte Mannschaftssport-Weisheit auch bei dieser EM gelten, besteht tatsächlich Anlass zu großer Sorge. Denn bislang kassierte das DFB-Team bereits fünf gegnerische Treffer. Nur ein einziges Mal in den letzten 50 Jahren gab es bei einer Vorrunde eines großen Turniers genauso viele Gegentore: Beim Vorrunden-K.o. bei der EM 2000.
Man muss schon in diese dunklen Zeiten in der damaligen kurzen Amtszeit von Erich Ribbeck zurückgehen, um eine über einen längeren Zeitraum ähnlich fehleranfällige und unsichere DFB-Defensive zu finden.
Schon in den acht Länderspielen 2020 musste die Mannschaft 16 Tore hinnehmen. "Fraglich bleibt für mich jedoch, ob mit dieser Abwehrleistung der große Wurf glücken kann", sagte Bielefelds Trainer Frank Kramer, der von 2016 bis 2019 als Trainer der deutschen U 18, U 19 und U 20 beim DFB mit Löw zusammengearbeitet hat, dem kicker.
Daher scheint eine Abkehr von der auch in der Mannschaft umstrittenen Dreierkette sinnvoll. "Wir haben bestimmte Positionen einfach nicht. Keine Außenverteidiger, die hoch und runter laufen können. Deshalb spielen wir mit der Dreierkette hinten, und das macht alles kaputt", monierte Ewald Lienen im ZDF.
Ewald Lienens Vermutung: Mats Hummels ist zu langsam
Der Ex-Bundesligacoach vermutet zudem, dass Löw auch deshalb auf diese Variante setzt, weil Mats Hummels mittlerweile zu langsam ist und daher von Matthias Ginter und Antonio Rüdiger abgesichert werden soll. Jedoch ist Hummels als Autorität im Team und als einer der wenigen kopfballstarken Spieler gesetzt, was gleichwohl für eine Umstellung auf Viererkette spricht.
So könnte Ginter nach rechts rücken und Rüdiger nach links, was beide im Verein und in der Nationalelf schon mehrfach gespielt haben. Dafür würde Niklas Süle neben Hummels in der Zentrale zum Einsatz kommen, weil er robust, schnell, sowie zweikampfstark ist und mit dem Dortmunder bereits zu gemeinsamen Bayern-Zeiten gut harmoniert hat. Eine echte "Ochsenabwehr" aus vier Innenverteidigern: So spielte Deutschland zuletzt bei der WM 2014 (vier Gegentore übers gesamte Turnier).
Die zusätzliche Ordnung hinten würde zwar auf Kosten der Offensive gehen, weil weder Ginter noch Rüdiger viel mehr als ungefährliche Halbfeldflanken im Repertoire haben, aber dank defensiver Absicherung würden dann zwei echte Außenstürmer für Wirbel nach vorne sorgen. Weit besser als Löws untauglicher Versuch, Leroy Sane in der zweiten Halbzeit gegen Ungarn allein auf die rechte Seite zu stellen, was den Stürmer offenbar komplett verwirrte und beinahe nach hinten losgegangen wäre.
Mittelfeld: Kroos und Gündogan bleibt nur die Bank
Auf Kosten von Sane konnte Joshua Kimmich gegen Ungarn auf seine Lieblingsposition auf der 6 zurückkehren und bewies einmal mehr, wie wichtig er dort als defensiver Wellenbrecher und kämpferischer Organisator ist. Daher sollte das nur gegen Portugal geglückte Experiment auf der rechten Außenbahn beendet werden.
"Man merkt, dass sich Kimmich auf der Seite nicht richtig im Spiel fühlt, da kann im Zentrum noch eine ganz andere Dynamik entstehen", sagte der frühere Bundestrainer Berti Vogts der Rheinischen Post: "Und gegen England tut ein defensiv denkender Mann in der Zentrale sicherlich gut."
Einen ähnlich positiven Effekt hätte ein Startplatz für Leon Goretzka neben bzw. vor Kimmich auf der 8. "Er tut der Mannschaft gut, weil er etwas mitbringt, was uns fehlt, mit seiner Dynamik und Körperlichkeit", meinte Stefan Effenberg bei t-online.
Ilkay Gündogan und Toni Kroos auf die Bank
Dann wäre der ohnehin angeschlagene Ilkay Gündogan raus und für Toni Kroos sollte trotz seiner langjährigen Verdienste das Leistungsprinzip gelten. Ein Bankplatz für den Real-Star käme allerdings einem Erdbeben in der DFB-Hierarchie gleich und ist daher unwahrscheinlich. Gleichwohl wäre es die bessere Variante, Thomas Müller wie beim FC Bayern mit allen Freiheiten auf die 10 zu stellen.
"Joshua Kimmich spielt die vertikalen Bälle in die Tiefe, Leon Goretzka macht die Läufe in den Strafraum und Thomas Müller die Organisation der Mannschaft - für mich hat dieses Mittelfeld die Qualität, um gegen alle Mannschaften Akzente zu setzen", forderte Lothar Matthäus daher bei Sky.
Angriff: Volland muss starten
Nimmt man die Leistungen gegen Ungarn als Maßstab, sollten Sane, der noch schwächere Serge Gnabry und gerade bei einer Systemumstellung auch Robin Gosens eine Pause bekommen. Kai Havertz gehörte hingegen zu den besseren deutschen Offensiven im bisherigen Turnier und muss wieder von Beginn an auflaufen.
Daneben sollten Jamal Musiala und Kevin Volland in die Startelf rücken, denn nach dem Ungarn-Spiel gibt es keine echten Argumente mehr, beiden diese Chance zu verwehren. Für Musiala spricht, dass er unbekümmert und offenbar aktuell der beste deutsche Eins-gegen-Eins-Spieler ist. Zudem dürfte er gegen seine zweite Heimat England besonders motiviert sein.
Plädoyer für einen echten Mittelstürmer
Und zentral ist es Zeit für eine echte Spitze, da bislang Durchschlagskraft und Kaltblütigkeit schmerzlich vermisst werden. "Was mittlerweile in jedem Spiel der deutschen Mannschaft auffällt: Es fehlt ein echter Mittelstürmer", analysierte Effenberg. Doch genau deshalb ist es Zeit für Volland, der für diese Rolle von Löw nominiert wurde und mit 16 Ligatreffern für AS Monaco bester deutsche Torjäger der abgelaufenen Saison war.
Wechseln kann Löw schließlich immer noch, wenn es wieder nicht laufen sollte. Aber für diese Startelf sprechen Form, Stabilität, Erfahrung und Überzeugung, weil (fast) jeder auf der für ihn besten Position spielen würde.