Cristiano Ronaldos Portugal vor dem EM-Start: Nur der Trainer ist entzaubert

Von Constantin Eckner
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Auch im Alter von 39 Jahren beherrscht Cristiano Ronaldo immer noch den portugiesischen Fußball und damit auch die "Seleção das Quinas", die zum erweiterten Kreis der Favoriten gehört. Allerdings bleiben Fragezeichen den Fußball von Cheftrainer Roberto Martínez betreffend.

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Auf seine alten Tage wird CR7 sentimental. "Mir bleiben nicht mehr viele Jahre im Fußball. Also muss ich es genießen. [...] Ich liebe Fußball. Jedes Spiel ist besonders. Stell dir vor, die Euro mit Portugal, das macht dich stolz, es ist ein Traum, wie damals, als ich 20 war", sagte er kürzlich mit Blick auf die anstehende Europameisterschaft.

Nicht einmal Luís Figo hatte während seiner aktiven Zeit den Fußball im eigenen Land derart in der Hand. Alles dreht sich zumindest in der breiten Öffentlichkeit um Cristiano Ronaldo, der nun sein sechstes EM-Turnier bestreitet und mit 25 Partien und 14 Toren Rekordhalter ist.

Manch einer mag sich noch an seinen ersten Auftritt bei der EM 2004 erinnern, als er auf dem Flügel das Pendant zum alternden Figo bildete und nach dem verlorengegangenen Finale gegen Griechenland tränenüberströmt auf dem Rasen des Estádio da Luz stand.

Die EM-Turniere waren schon immer High- oder Lowlights von Ronaldos Karriere - mit dem skurrilen Höhepunkt des Titelgewinns 2016, als er im Finale ab der 25. Minute nur von draußen zuschauen konnte und fast energischer als der damalige Nationaltrainer Fernando Santos die Mitspieler antrieb.

Cristiano Ronaldo
© getty

Cristiano Ronaldo: Immer noch eine Tormaschine

Obwohl er nun seit eineinhalb Jahren die Schuhe für Al-Nassr schnürt und auch zuvor im Klubfußball auf dem absteigenden Ast war, ist Ronaldo weiterhin eine Tormaschine, die erneut von einer Generation talentierter portugiesischer Fußballer gefüttert werden soll.

In dieser Generation befinden sich selbstverständlich auch Spieler, die schon ein paar Jährchen im europäischen Spitzenfußball verbracht haben. Zu nennen sind Bruno Fernandes (29), Bernardo Silva (29), João Cancelo (30) oder der wieder beim FC Bayern als Neuzugang gehandelte João Palhinha (28).

Der neue Anker im Mittelfeld könnte jedoch der 24-jährige Vitinha werden, der während der Qualifikation noch keine nennenswerte Rolle spielte, aber nicht zuletzt aufgrund seiner Leistungen für Paris Saint-Germain an Wichtigkeit gewonnen hat. Hinzu kommen Flügeldribbler Rafael Leão und eine Reihe weiterer Offensivspieler mit Potenzial, das im besten Fall für ganz großen Fußball genügt - Stichwort João Félix.

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© Getty

Portugal 2024: Enge Verteidigung in der eigenen Hälfte

Allerdings ist Talent das eine, ein funktionierendes taktisches System das andere. Roberto Martínez, der 2023 den Cheftrainerposten übernahm, wurde in den vergangenen Jahren doch zusehends entzaubert. Seine glänzende Reputation, die er sich einst besonders als Trainer von Swansea City erarbeiten konnte, gehört der Vergangenheit an. Man darf ernsthaft in Frage stellen, ob der 50-jährige Spanier in der Lage wäre, ein funktionierendes Ballbesitz- und Positionsspiel auf die Beine zu stellen.

Glücklicherweise verfügt nahezu kein Nationalteam über ausgeklügelten Ballbesitz - das wird das geschulte Auge bei der anstehenden EM wieder einmal beobachten dürfen. Individuelle Klasse mit dem Ball und einstudierte Pressingabläufe gegen den Ball sind essenziell. Bei Portugal läuft es vor allem auf Mittelfeldpressing und einen geordneten Rückzug in eine tiefe Verteidigung hinaus. Im Testspiel gegen Kroatien am 8. Juni, das 1:2 verloren ging und in dem Ronaldo nicht zum Einsatz kam, sah die Verteidigung zuweilen wie in der untenstehenden Grafik aus.

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© SPOX

Die letzte Linie wird mit fünf bis sechs Spielern besetzt und durch die hohe Position der Linie ist wenig Raum für Kombinationsspiel im mittleren Spielfelddrittel. Hohe Bälle können aufgrund der quantitativen Präsenz an der Abseitslinie sowie jener davor gut verteidigt werden.

Natürlich ist das offensive Umschaltspiel mit dem in aller Häufigkeit vorn postierten Ronaldo aufgrund der Staffelung gegen den Ball ein Stück weit eingeschränkt. Portugal wirkt stärker, wenn Leão und zwei, drei andere Offensivkräfte etwas Zeit haben, nach vorn auszuschwärmen, um anschließend etwa von Cancelo bedient zu werden.

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© imago images

Portugal 2024: Stark gegen kleine Nationen

Es mag klischeehaft klingen, aber je mehr kreative Freiheiten Martínez einigen seiner Offensivkräfte gewährt, desto größer sind Portugals Chancen, neben der defensiven Absicherung auch auf der anderen Seite des Feldes Tore zu erzielen. Dass Portugal während der EM-Qualifikation von allen Teams am besten abschnitt, mag nicht überraschen. Denn das Team ist - diametral zu Deutschland zum Beispiel - genau so aufgebaut, dass es kleine Nationen schlagen kann.

Das Augenmerk auf defensive Präsenz und der unkomplizierte Ballbesitz sind bestens dafür geeignet. Wie das jedoch während der K.o.-Phase gegen die Top-Nationen ausschaut, bleibt abzuwarten. In jenen Spielen könnte auch Ronaldo als alternder Abschlussstürmer zu einem Problem werden, wenn er von hochkarätigen Innenverteidigern entsprechend eingedämmt wird.

Aber schon wieder fangen wir an, über die Lichtgestalt des portugiesischen Fußballs zu sprechen. Vielleicht kommt nach der Gruppenphase jedoch die endgültige Wachablösung, wenn sich Leão, Vitinha und andere als spielentscheidende Akteure hervortun.

EM 2024, Gruppenphase: Spielplan - Gruppe F:

DatumUhrzeitStadionBegegnung
18. Juni 202418 UhrBVB-Stadion Dortmund, DortmundTürkei - Georgien
18. Juni 202421 UhrLeipzig Stadium, LeipzigPortugal - Tschechien
22. Juni 202418 UhrBVB-Stadion Dortmund, DortmundTürkei - Portugal
22. Juni 202415 UhrVolksparkstadion, HamburgGeorgien - Tschechien
26. Juni 202421 UhrVolksparkstadion, HamburgTschechien - Türkei
26. Juni 202421 UhrArena AufSchalke, GelsenkirchenGeorgien - Portugal

 

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