FC Sevilla - Inter Mailand, das Finale aus drei Perspektiven: Wie zwei Gescheiterte zu Sevillas Europa-League-Helden wurden

Max Schrader
22. August 202009:04
Luuk de Jong erzielte im Finale zwei Treffer.imago images / Poolfoto
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Der 3:2-Sieg über Inter Mailand bescherte dem FC Sevilla den sechsten Europa-League-Titel (die Highlights im Video) der Klub-Geschichte. Verantwortlich für den Triumph waren vor allem drei Personen: Doppeltorschütze Luuk de Jong, Trainer Julen Lopetegui - und Inter Mailands Romelu Lukaku. Das Finale aus drei Perspektiven.

1. Der letzte Beweis des Luuk de Jong

In der 12. und 23. Minute stand Sevillas Stürmer Luuk de Jong da, wo ein Mittelstürmer stehen muss - richtig. Mit seinen zwei Treffern drehte der ehemalige Stürmer von Borussia Mönchengladbach das Spiel zugunsten von Sevilla.

Erfolgserlebnisse, die ihm während seiner Zeit in Deutschland nicht vergönnt waren. Zwischen Juli 2012 und Januar 2014 knipste er lediglich achtmal für Gladbach, zu wenig für einen damals zwölf Millionen Euro teuren Stürmer. Dabei sah seine Visitenkarte bei der Verpflichtung nicht schlecht aus: 59 Tore in drei Saisons für Twente Enschede.

Nach dem Abgang von Marco Reus zum BVB forderte der damalige Gladbach-Trainer Lucien Favre von Manager Max Eberl einen schnellen Stürmer. Anstatt ihm seinen Wunsch zu erfüllen, verpflichtete Eberl aber de Jong, der neben Mike Hanke und Igor de Camargo zum dritte Stoßstürmer im Kader wurde. Das Gladbacher Spiel war im 4-4-2 vor allem auf Steilpässe ausgerichtet, die für einen schnellen Stürmer ideal gewesen wären. De Jong musste Rollen übernehmen, die er noch nie ausgefüllt hatte.

Luuk de Jong erzielte im Finale zwei Treffer.imago images / Poolfoto

Luuk de Jong: Vom Gladbach-Flop zum Europa-League-Sieger

So kam es, wie es kommen musste: Das Experiment scheiterte. De Jong wurde erst ein halbes Jahr zu Newcastle United verliehen und dann für sieben Millionen Euro an die PSV Eindhoven verkauft. In der Heimat fand er wieder zur alten Stärke zurück, gefördert auch durch eine für ihn passende Rolle. In 204 Spielen gelangen ihm 112 Treffer und 57 Vorlagen. Als Leader ging de Jong voran und hatte großen Anteil an drei Meistertiteln.

Daher war es im vergangenen Sommer umso überraschender, dass der mittlerweile 29-Jährige erneut zu einem Verein wechselte, dessen System ebenfalls nicht für ihn maßgeschneidert war. Unter Julen Lopetegui funktioniert de Jong aber und ist zur Stelle, wenn er gebraucht wird. Im Halbfinale besiegelte sein Treffer den Einzug ins Finale, das er mit einem Doppelpack entschied.

2. Romelu Lukaku: Der tragische Held

Es hätte für Lukaku alles so schön sein können. Mit seinem Elfmeter-Treffer brachte er Inter in Führung und stellte gleichzeitig den Torrekord von Cristiano Ronaldo ein. Es war zudem sein siebter Treffer im sechsten Europa-League-Spiel.

60 Minuten später hatte der Belgier dann die Großchance auf seinen 35. Pflichtspieltreffer in dieser Saison. Alleine auf Sevilla-Keeper Yassine Bounou zulaufend brachte er den Ball nicht am Schlussmann vorbei. Knapp zehn Minuten später trat Lukaku erneut unglücklich in Erscheinung. Den Fallrückzieher von Diego Carlos lenkte er mit seinem rechten Fuß ins eigene Netz. Sein Eigentor war zugleich der Siegtreffer für Sevilla und besiegelte Inters Niederlage. Die folgende Siegerehrung schwänzte er frustriert.

Romelu Lukaku: Bei Inter Mailand zum Führungsspieler gereift

Für Lukaku war es der tragische Schlusspunkt einer eigentlich überragenden Saison. "Romelu macht gerade Außergewöhnliches", wurde er von Trainer Antonio Conte vor dem 5:0-Halbfinalsieg gegen Donezk gelobt. "Ich freue mich für ihn, weil er das verdient, aber er muss sich beim Team bedanken, das ihm die Freiheiten gibt, die er vorher nie hatte."

Lukaku hat seit seinem Wechsel zu Inter im vergangenen Sommer eine enorme Entwicklung vollzogen. Vom angeblich übergewichtigen Profi bei Manchester United ist er bei Inter zum Führungsspieler gereift. Sinnbildlich hierfür war eine Szene aus dem vergangenen Dezember. Der damals 17-jährige Sebastiano Espostio bekam von Lukaku einen Elfmeter überlassen, damit er das erste Tor für seinen Jugendverein erzielen konnte.

Doch trotz seiner überragenden Entwicklung blieb Lukaku, wie schon in den Jahren zuvor, eines verwehrt: Ein Titel.

Seite 3: Die Rehabilitation des Julen Lopetegui

Beim Abpfiff konnte Sevilla-Trainer Julen Lopetegui seine Tränen einfach nicht zurückhalten. Es wurde deutlich: Die letzten knapp zwei Jahre waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.

Weil er als Trainer der spanischen Nationalmannschaft vor der Weltmeisterschaft 2018 in Russland seinen Wechsel zu Real Madrid angekündigt hatte, wurde er noch vor dem Turnier vom Verband ersetzt. Die Entlassung bei den Königlichen folgte nur wenige Monate später, nachdem es im Clasico gegen den FC Barcelona eine 1:5-Klatsche gab und das Team nur noch auf dem neunten Tabellenrang lag.

Neun Monate später heuerte der mittlerweile 53-Jährige beim FC Sevilla an. Gleich bei seinem ersten Training bekam Lopetegui einen Ball aus kurzer Distanz ins Gesicht und blieb benommen liegen.

Julen Lopetegui beim FC Sevilla: Der neue Unai Emery?

Doch der Fußballlehrer ließ sich nicht von den Umständen ablenken und arbeitete noch besessener. Mit einem Blitzstart katapultierte sich Sevilla zeitweise an die Tabellenspitze. Am Ende der Saison schaffte der Klub als Tabellenvierter die Champions-League-Qualifikation, nur vier Tore hinter dem drittplatzierten Atletico Madrid.

Im Europa-League-Finale gegen Inter ließ sich Lopetegui einen ausgeklügelten Plan einfallen, zu dem auch sein geliebtes Pressing gehörte. Inters Stürmer Lukaku und Lautaro Martinez wurden jeweils gedoppelt und konnten so kaum Gefahr ausstrahlen.

Sevillas Präsident Pepe Castro wagte bereits den Vergleich mit Ex-Trainer Unai Emery, der ebenfalls als vermeintlich Gescheiterter nach Sevilla gekommen war und dann dreimal die Europa-League gewann. Lopeteguis erster Titel in diesem Wettbewerb war seine persönliche Rehabilitation.