Ägypten ist das neue Brasilien

Von Haruka Gruber
Abd Rabou gewann 2008 die Afrikameisterschaft und wurde zum besten Spieler gewählt
© Imago

Ägypten ist Afrikas Fußball-Nation Nummer 1 - dennoch zeigt die Bundesliga kein Interesse an den Toptalenten vom Nil. Ganz im Gegensatz zur Premier League.

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Innovation, Kreativität, Flexibilität. Schlagworte, mit denen Wirtschaftswissenschaftler und Politiker gerne um sich werfen, wenn sie nach Lösungen aus einer ökonomischen Krise befragt werden.

Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder etwa taufte nach einer dreijährigen Stagnation das Jahr 2004 einfach in das "Jahr der Innovation" um, auf dass in Deutschland eine Debatte um die Wichtigkeit von Ideen und Neuerungen geführt werde.

Die Botschaft dahinter: Wer sich im Haifischbecken des internationalen Wettbewerbs durchsetzen will, muss sich anpassen. Mitdenken. Kreativer sein als andere.

Bundesliga: Seit 2001 kein Europapokal-Sieg

Das kann man so auch auf die Bundesliga anwenden. Seit 2001 gewann kein deutscher Klub einen Europapokal, in dieser Saison schieden bereits vor Weihnachten Bremen in der Champions League, sowie Schalke, Berlin und Dortmund im UEFA-Cup aus.

Doch statt aus der internationalen Malaise Lehren zu ziehen und neue Wege aus dem Stillstand zu suchen, setzen viele Klubs nach wie vor auf Altbewährtes.

Sprich: Wer zum Beispiel neue Spieler verpflichten will, bucht gerne als erstes ein Flugticket nach Südamerika, um in Brasilien oder Argentinien nach den nächsten Kakas und Messis zu fahnden - obwohl auf dem überhitzten südamerikanischen Markt Schnäppchen rar gesät sind und die Konkurrenz aus England, Spanien und Italien finanziell mehr bieten kann.

Selbst Branchenprimus FC Bayern erliegt gerne mal dem Hype und fällt hier und da auf die Nase (Julio Dos Santos, Jose Sosa, Breno).

Kein Interesse an Ägypten

Der deutsche Fußball hat weniger Geld als andere große Ligen. Der deutsche Fußball hat weniger Erfolg als andere große Ligen.

Umso fahrlässiger erscheint es daher, dass viele deutsche Vereine dennoch den großen Ligen nacheifern - statt auf Innovation, Kreativität und Flexibilität zu setzen und die vielen, bisher wenig erschlossenen Fußball-Oasen zu entdecken.

Das Paradebeispiel: Ägypten.

Das Land der Pharaonen hat sich fast unter Ausschluss der deutschen Öffentlichkeit zur dominierenden Fußball-Nation Afrikas entwickelt. 2008 gewann die Nationalmannschaft zum zweiten Mal in Folge den Afrika Cup, in der nicht zu unterschätzenden afrikanischen Champions League stand in den vergangenen acht Jahren sieben Mal ein ägyptischer Klub im Finale.

"Ägypter prädestiniert für Deutschland"

"In Deutschland scheint es keinen zu interessieren, was sich in Ägypten entwickelt", wundert sich daher auch Rainer Zobel im SPOX-Interview.

Ex-Bayern-Profi Zobel, in den vergangenen zehn Jahren bei drei ägyptischen Klubs (Al Ahly Kairo, Ittihad Alexandria, ENPPI Kairo) als Trainer engagiert, ergänzt: "Dabei wären die ägyptischen Spieler prädestiniert für die Bundesliga. Sie sind günstig, dafür aber sehr begabt, gut ausgebildet, taktisch anders als viele Afrikaner diszipliniert und ähneln daher von der Mentalität den Deutschen."

Im Nationalteam spielen etwa mit Ahmed El Mohamdi, Hosny Abd Rabou und Mahmoud Abdel Razek (Künstlername: "Shikabala") drei junge Spieler, die allesamt zu den Toptalenten Afrikas zählen - und selbst für Bundesliga-Klubs im unteren Drittel finanzierbar sein sollten.

"Ägypten ist eine der besten 20 Fußball-Nationen der Welt, daher hat Qualität auch ihren Preis. Aber Ägypten ist ein Markt, wo ich einen Spieler noch zu fairen Konditionen bekomme. Weitaus attraktiver als in Südamerika", sagt Sascha Empacher von "Spocs", einer der führenden Sport-Management-Firmen in Afrika.

Essien und Drogba ausgestochen

El Mohamadi, ein Allrounder auf dem rechten Flügel, wurde bei den U-21-Afrikameisterschaften 2007 zum besten Spieler gewählt und bekam daraufhin sogar ein Angebot von Real Madrid.

"Ich habe El Mohamadi damals trainiert. Mit 19 war er noch zu jung für den Schritt. Aber jetzt ist er mit 21 Stammspieler der Nationalmannschaft. Er wäre für fast jeden Bundesligisten eine Bereicherung", sagt Zobel.

Ein Schritt weiter ist der defensive Mittelfeldspieler Abd Rabou (24), der nach einem hervorragenden Afrika Cup 2008 zum besten Spieler des Turniers gewählt wurde. Und das vor Stars wie Michael Essien, Yaya Toure oder Didier Drogba. Shikabala (22) wiederum hat seine Stärken in der Offensive und gilt als einer der besten Techniker Nordafrikas.

Noch mal zur Erinnerung: Sie alle kosten - wie man aus dem Umfeld hört - kein Vermögen und sind erpicht darauf, nach Europa zu wechseln.

Gedankenschranke im Kopf

"Ich kann es mir einfach nicht erklären, warum sich die Bundesliga solche Jungs nicht anschaut. Zumal sich in den 90ern mit Hany Ramzy oder Radwan Yasser einige Ägypter in der Bundesliga gut geschlagen haben. Aber vielleicht gibt es bei den Managern noch immer eine Gedankenschranke", mutmaßt Zobel.

Ein weiterer möglicher Faktor: Mit Mohamed Zidan, Mido und Mohamed Aboutrika gelten die drei bekanntesten ägyptischen Fußballer allesamt als schwierige Charaktere. Zidan und Mido wegen ihrer teils unreifen Art, Aboutrika wegen seines tiefen islamischen Glaubens.

"Aboutrika ist der vielleicht beste Spieler Afrikas, aber er lebt sehr fromm und würde nie in die westliche Welt wechseln. Er weigert sich sogar, mit einer Frau am Tisch zu essen", erzählt Zobel. Doch dies seien Ausnahmen, nicht die Regel.

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Deutschland schläft, England wacht auf

Der deutsche Vereinsfußball muss im internationalen Vergleich aufholen. Mit einem kreativen, unkonventionellen Scouting den finanziell besser situierten Topligen einen Schritt voraus sein. Und doch wird ein Markt wie die ägyptische Liga nur stiefmütterlich behandelt - wenn überhaupt.

Zobel: "Die Mischung aus Unkenntnis, Traditionalismus und Vorurteilen führt dazu, dass es die Bundesliga-Klubs nicht für nötig befinden, etwas an ihren Routinen zu ändern."

Im Gegensatz zur Premier League. Vom sensationellen Saisonstart des ägyptischen Nationalstürmers Amr Zaki bei Wigan Athletic aufgeweckt, gehen immer mehr englische Klubs gezielt auf den ägyptischen Markt.

Keiner wollte Zaki

Blackburn hat El Mohamadi bereits zu einem Probetraining eingeladen, bei dem der Youngster überzeugte. Ein Transfer im Winter scheint wahrscheinlich. Für Abd Rabou hat neben Blackburn auch Hull City angefragt, und Shikabala wird mit Middlesbrough in Verbindung gebracht.

Der Bundesliga könnten also wieder drei Talente durch die Lappen gehen, nachdem pikanterweise Zaki im Sommer einigen deutschen Vereinen angeboten worden war. "Wir haben mit Bundesligisten über ihn gesprochen, doch es kam keine Resonanz", erzählt Empacher.

Zur Info: Zaki liegt mit acht Toren auf Platz drei der Premier-League-Torjägerliste und vervielfachte in wenigen Wochen seinen Marktwert. Zu seinen Interessenten sollen Real Madrid oder Manchester City gehören.

Empacher: "Wie will denn die Bundesliga den Wettbewerbsnachteil gegenüber der Premier League und den anderen großen Ligen verringern, wenn sie nicht kreativer ist als die Konkurrenz?"

Steckbrief: Ägyptens Nationalmannschaft