Oliver Kahn sitzt mit dem Rücken an den linken Torpfosten gelehnt. Der Blick geht ins Leere, die Handschuhe liegen in irgendeiner Ecke. Kahn steht in diesem Augenblick des 30. Juni 2002 für Millionen Deutsche. Der Traum vom vierten Weltmeistertitel ist geplatzt.
Während sich der Titan und seine Mannschaft wenige Tage später auf dem Frankfurter Römer nicht wirklich über ihren zweiten Platz freuen können, gerät in Brasilien ein ganzes Land in Ekstase.
Verantwortlich für beide Schicksale ist derselbe Mann - Ronaldo Luis Nazario de Lima, kurz: Ronaldo. Sein Doppelpack im WM-Finale bleibt unvergessen.
Il Fenomeno wird zur Legende
Der Titelgewinn in Japan und Südkorea ist der Höhepunkt einer außergewöhnlichen Karriere; einer Karriere, die am Montag auf einer Pressekonferenz ihr Ende fand: "Es war eine schöne, wunderbare, emotionale Karriere, mit vielen Niederlagen und unendlichen Siegen. Ich habe mir viele Freunde gemacht", resümiert Ronaldo vor unzähligen Journalisten in Sao Paulo. Es ist das Ende einer Ära.
Für viele wurde Ronaldo schon während seiner aktiven Zeit zur Legende, für die Kinder der 90er Jahre ist er ein Held. Jeder wollte wie Ronaldo sein, auf dem staubtrockenen Bolzplatz im Hinterhof wie auf der Playstation im Wohnzimmer. Il Fenomeno war überall.
Über 400 Tore stehen unter dem Strich auf Ronaldos Konto. Es hätten noch einige mehr sein können, doch die Geschichte von Ronaldo ist auch die Geschichte einer quälend langen Liste von Verletzungen. Seine Knie bereiten ihm immer wieder Probleme und zwingen Ronaldo zu monatelangen Pausen.
Ronaldo: Traumtore en masse
Beim Thema Ronaldo und Verletzungen stößt man unweigerlich auf die WM 1998 in Frankreich. Noch am Tag des Finalspiels gegen Frankreich (0:3) wurde Brasiliens Sturmhoffnung im Krankenhaus untersucht und angeblich für nicht einsatzfähig befunden.
Doch Ronaldo lief auf und lieferte eine erschreckend apathische Vorstellung ab. Später hielten sich lange Gerüchte, Ronaldos Ausrüster Nike habe ihn zum Auflaufen gezwungen. Ronaldo dementierte die Vorwürfe Jahre später zwar, ein fader Beigeschmack bleibt.
Ruhmreiche Klubs zieren Ronaldos Visitenkarte, vom PSV Eindhoven über Barcelona, Real Madrid, Inter Mailand bis hin zum AC Milan und es sind die einzigartigen Tore, die im Gedächtnis bleiben.
Einmal der Wackler im UEFA-Cup-Finale mit Inter gegen Lazio-Keeper Luca Marchegiani vor dem 3:0. Dazu das 50-Meter-Solo im Barca-Trikot gegen SD Compostela. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden.
Turbulente Rückkehr in die Heimat
Auch in seinem Privatleben sorgt der heute 34-Jährige immer wieder für Aufsehen. Ronaldo ist vierfacher Vater, zwei Ehen scheiterten. Dazu kam 2008 der Transvestiten-Skandal, den Ronaldo im Nachhinein als "schlimmste Entscheidung meines Lebens" bezeichnet.
Anfang 2009 kehrt Ronaldo in seine Heimat zurück und heuert beim Traditionsklub Corinthians Sao Paulo an. Der Hype ist groß, ein halbes Jahr später gewinnt der Klub den brasilianischen Pokal. Auf Dauer bleibt der Erfolg mit den Corinthians jedoch aus. Mit zunehmender Zeit wächst bei den Anhängern der Unmut.
Blog Postet Eure Lieblingserinnerung an Ronaldo!
Zu weit ist Ronaldo von seiner Blüte-Form entfernt, sein beim Trikotüberstreifen sichtbar werdendes Übergewicht beschert dem Weltstar Hohn und Spott. Der Misserfolg der Mannschaft wird auch an ihm festgemacht.
Den Höhepunkt erreicht die Entwicklung nach dem Ausscheiden im Libertadores Cup Anfang Februar. Steinwürfe gegen den Mannschaftsbus, Ausschreitungen, wütende Fan-Proteste. Den Herbst seiner aktiven Laufbahn hatte sich der dreimalige Weltfußballer des Jahres anders vorgestellt. Zudem plagte ihn auch in Brasilien das Verletzungspech.
Gewichtsprobleme wegen Krankheit
Noch im Herbst vergangenen Jahres feierte Ronaldo auf einer Pressekonferenz eines seiner vielen Comebacks mit einer Rauchbombe und sorgte bei allen Anwesenden mit seiner Aktion für verdutzte Gesichter.
Wenige Monate später ist derselbe Raum wiederum der Ort eines großen Ereignisses. Unter Tränen gibt Ronaldo sein Karriereende bekannt.
Seine Söhne Ronald und Alex begleiten ihn, die gut vorbereiteten Worte fallen Ronaldo sichtlich schwer.
Letztlich spielte die Gesundheit nicht mehr mit: "Vor vier Jahren wurde in meiner Zeit bei Milan festgestellt, dass ich unter Hypothyreose leide. Ich hätte zur Behandlung eigentlich Hormone nehmen müssen, aber das wäre Doping gewesen. Vielen wird es jetzt leidtun, sich über meine Gewichtsprobleme lustig gemacht zu haben. Aber ich nehme das keinem übel. Ich wollte dies erst am letzten Tag meiner Karriere öffentlich machen."
Vielen Dank für alles, Ronaldo!
So findet Ronaldos Karriere ein abruptes Ende.
Die Fußballwelt verneigt sich vor einem Mann, der nicht nur eine Zeit, sondern auch ein großes Stück Sportkultur geprägt hat.
Einem Mann, den die spanische "Marca" den "besten Stürmer der Geschichte" nennt.
Auch wenn das damals 2002 aus deutscher Sicht nicht ganz so schön war: Muito obrigado por tudo, Ronaldo!
Ronaldo im Steckbrief