"Der HSV ist ein richtig geiler Verein"

Adrian Fink
24. Oktober 201620:40
Heiko Westermann wechselte vor der Saison 2015/16 nach Amsterdamgetty
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Nach der Saison 2014/15 hat Heiko Westermann der Bundesliga den Rücken gekehrt. Über die Zwischenstation Real Betis ist der 33-Jährige bei Ajax Amsterdam gelandet. Im SPOX-Interview nennt er die Gründe für seinen Wechsel in die Eredivisie, spricht über seine Zeit bei Schalke 04 und dem HSV und erklärt den Mythos HW4.

SPOX: Herr Westermann, haben Sie es schon verarbeitet, dass Sie bei Ajax Amsterdam die Nummer 16 tragen müssen?

Heiko Westermann: (lacht) Das ist in Ordnung, HW4 steht ja für meine Zeit in Hamburg. Das hat damals HSV Total ins Leben gerufen und ich habe das anfangs gar nicht ernst genommen, aber mit der Zeit hat sich das etabliert. Der Mythos HW4 wird ewig bleiben, aber das Kapitel HSV ist geschlossen. Deshalb wollte ich die Rückennummer bei Ajax gar nicht mehr. Außerdem: Vier mal vier ergibt ja wieder 16.

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SPOX: Seit Ihrem Wechsel im Juli kamen Sie kaum über Kurzeinsätze hinaus. Haben Sie sich vor Ihrem Wechsel mehr Spielpraxis versprochen?

Westermann: Auf jeden Fall. Da ich mich bei Ajax aber erstmal eingewöhnen muss, kommt diese Situation nicht überraschend. Trotzdem ist klar: Ich bin Vollblut-Fußballer und will mehr spielen.

SPOX: Der Tiefpunkt der bisherigen Saison war das Ausscheiden in der Champions-League-Qualifikation gegen Rostow. Wie sehr hat das der Stimmung geschadet?

Westermann: Da haben wir ein schlechtes Spiel gemacht und dafür haben wir zu Recht richtig um die Ohren bekommen. Auch intern war die Enttäuschung riesig, weil wir einfach nicht das gezeigt haben, wofür Ajax eigentlich steht - nämlich den Ball mit wenigen Kontakten laufen zu lassen. Aber es hilft nichts, jetzt wollen wir in der Europa League weit kommen und national zählt bei Ajax ohnehin nur der Titel. Dieses Selbstverständnis war auch ein Grund für den Wechsel von Sevilla nach Amsterdam.

SPOX: Während Ihrer Zeit beim spanischen Aufsteiger Betis Sevilla avancierten Sie zum Stammspieler. Warum ging es damals nicht weiter?

Westermann: Es gab auf der Führungsebene einige Wechsel: Präsident, Manager und Trainer wurden allesamt ausgetauscht. Betis wollte einen kompletten Cut und alle Spieler, die der Vorgänger geholt hat, sollten den Verein verlassen. Obwohl ich sagen muss, dass ich in Sevilla ein richtig schönes Jahr verbracht und viele tolle Erfahrungen gesammelt habe.

SPOX: Gab es nach Sevilla auch Angebote aus der Bundesliga?

Westermann: Ja, aber darum habe ich mich nie bemüht.

SPOX: Warum?

Westermann: Ich wollte nochmal etwas Neues sehen und deshalb habe ich mich gegen eine Rückkehr nach Deutschland entschieden. In insgesamt zehn Jahren Bundesliga bei der Arminia, Schalke und dem HSV habe ich als Spieler in Deutschland schon Vieles erlebt.

SPOX: Von 2007 bis 2010 spielten Sie für Schalke. Dort sind die Erwartungen traditionell sehr hoch. Wie haben Sie diesen Druck bei Königsblau erlebt?

Westermann: Die Erwartungshaltung war damals auch schon riesig. Aber es gab einen entscheidenden Unterschied: Wir waren als Mannschaft gefestigt und dieser Druck perlte am Team ab. Dieses Jahr muss Schalke mit seinem Etat auf jeden Fall oben mitspielen, aber die zahlreichen Wechsel vor der Saison gehen nicht spurlos an einer Mannschaft vorbei und derzeit haben einige Konkurrenten Schalke abgehängt. Trotzdem gehe ich davon aus, dass sie in den internationalen Rängen landen.

SPOX: Auf der Trainerbank ist Schalke seit Jahren auf der Suche nach einer langfristigen Lösung, auch Sie haben in Ihren drei Jahren vier Coaches erlebt. Kann das überhaupt gut gehen?

Westermann: So eine Rotation ist immer ein Problem, sowohl für die Spieler als auch für den Verein. Obwohl ich auf Schalke nur kompetente Trainer erlebt habe.

SPOX: 2010 wechselten Sie zum HSV und nachdem Sie bei Schalke zum Kapitän ernannt wurden, haben Sie auch in Hamburg schnell die Binde bekommen. Warum sind Sie der geborene Leader?

Westermann: Ich knicke bei Problemen nicht sofort ein, sondern bin einer der Ersten, der Verantwortung übernimmt und die Mitspieler führt. Von diesem Schlag gibt es aber mehrere Spieler. Ich persönlich interpretiere diese Führungsrolle als Aufgabe auf dem Platz und will lieber meine Leistung zeigen, als dass ich intern alle zwei Wochen Alarm schlage.

SPOX: In der Öffentlichkeit fungieren Sie aber stets als Sprachrohr Ihrer Mannschaft. Wie nervenaufreibend ist es in schlechten Zeiten, der Überbringer von schlechten Nachrichten zu sein?

Westermann: Das war besonders beim HSV schwierig. Wäre es normal gelaufen, wären wir auf Platz fünf gelandet. Aber es lief wenig zusammen und da musste ich mich als Nationalspieler und Kapitän jedes Mal aufs Neue hinstellen.

SPOX: So pendelten Sie gefühlt wöchentlich zwischen Publikumsliebling und Sündenbock...

Westermann: ...ich belüge mich nicht selbst: Es war keine einfache Zeit beim HSV. Fußball war zeitweise nur noch Nebensache und hat keinen Spaß gemacht. Die Ausnahme war die Zeit unter Thorsten Fink, weil es bei ihm endlich wieder um Fußball ging. Ihm war egal, was sonst passiert und das hat er auf die Spieler übertragen.

SPOX: Wie fällt Ihr sportliches Fazit beim HSV aus?

Westermann: Es war nicht alles so schlecht, wie es vielleicht ausgesehen hat. Obwohl mich die Zeit beim HSV schon etwas zurückgeworfen hat, ist der HSV ein richtig geiler Verein mit super Fans.

SPOX: Welche Rolle nehmen dabei die Medien ein?

Westermann: Es mischen viele Tageszeitungen mit und ich hatte das Gefühl, dass es für den Verein extrem schwierig ist, unter diesem Druck junge Spieler zu entwickeln. Mir war das teilweise auch zu viel und es gab Phasen, in denen ich gar keine Zeitung mehr gelesen habe. Nach zweieinhalb Jahren hatte ich keine Lust mehr, mich für Sachen zu verantworten, für die ich nichts kann und habe das Kapitänsamt abgegeben.

SPOX: Wie kann man sich als Spieler gegen diesen Medieneinfluss wehren?

Westermann: Gegen diese Mediengewalt kommst du alleine nicht an, da ist der Verein gefragt. Als HSV-Spieler wirst du an einem Tag hochgejubelt und am nächsten Tag bist du der Depp. Auch auf Schalke waren die Medien präsent, aber beim HSV ist das ein anderes Kaliber.

SPOX: Verglichen mit Schalke hat sich auch das Trainerkarussell noch viel schneller gedreht. Allein in Ihren fünf Jahren hatten Sie elf Trainer.

Westermann: Das muss man sich mal vorstellen! Durchschnittlich erhielt ich jedes halbe Jahr neue Anweisungen und das teilweise mitten im Abstiegskampf. Es ging nicht mehr um ein System, sondern um reinen Ergebnis-Fußball.

SPOX: Was ist für den HSV in dieser Saison drin?

Westermann: Der HSV hat einen guten Kader, der im Mittelfeld abschneiden kann. Alles Weitere werde ich jeden Samstag von der Couch aus verfolgen.

SPOX: Trainerwechsel, Krisen und Kritik - wie befreiend war der Wechsel nach Sevilla, wo Sie einfach wieder neu anfangen konnten?

Westermann: Der Vertrag wurde in beiderseitigem Einverständnis nicht verlängert und ich wollte etwas Neues kennenlernen. In Deutschland habe ich für die Traditionsklubs Bielefeld, Schalke und HSV gespielt. Ich muss mich zu 100 Prozent mit meiner Aufgabe identifizieren und bei Betis war Fußball wie eine Religion.

SPOX: Wäre eine Rückkehr in die Bundesliga denkbar?

Westermann: Ich bin jetzt 33 Jahre alt und habe noch zwei Jahre Vertrag. Natürlich kann noch Einiges passieren, aber ich will nach meinem Karriereende keine komplett kaputten Knochen haben.

SPOX: Gibt es schon Planungen für die Zeit nach Ihrer aktiven Karriere?

Westermann: Ich habe einige Optionen und werde wohl kaum arbeitslos sein. (lacht) Vorerst will ich aber Spanisch und Business Englisch fließend lernen. Ich setze mich nicht künstlich unter Druck.

SPOX: Können Sie sich vorstellen, als Trainer zu arbeiten?

Westermann: Das ist ein 24-Stunden-Job, das kann ich mir im Moment überhaupt nicht vorstellen. Vielleicht ändert sich das irgendwann, aber ich will in den nächsten Jahren möglichst viel Zeit mit meinen Kindern verbringen. Wenn ich die Schuhe an den Nagel hänge, nehme ich mir ein paar Monate Zeit, um meine Zukunft zu klären. Aber eins ist klar: Ich will weiterhin in der Fußball-Branche bleiben.

Heiko Westermann im Steckbrief