Lukas Görtler im Interview: "Ich habe Pep Guardiola nach jedem einzelnen Training genervt"

Florian Regelmann
11. Oktober 202208:39
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Lukas Görtler ist einer der spannendsten deutschen Fußballprofis. Der 28-Jährige hat sich als Kapitän beim FC St. Gallen zu einem der besten Spieler in der Schweiz entwickelt - er beschäftigt sich aber auch mit der Geschichte der Menschheit, Schlafforschung und Umweltthemen.

Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Görtler über seinen Karriereweg und verrät, warum Pep Guardiola ihn einmal wahnsinnig machte und welches Telefonat ihn für immer mit Uli Hoeneß verbinden wird.

Außerdem Thema: Der Klimawandel und wie er persönlich versucht, die richtige Balance zu finden.

Herr Görtler, welches Buch lesen Sie gerade?

Lukas Görtler: Momentan ist es ein bisschen schwierig, weil ich Französisch lerne. Deshalb stecke ich meinen Kopf gerade vor allem in Französisch-Lehrbücher statt in Romane. Ich lese generell sehr viel, aber meistens geht es bei mir in Richtung Sachbücher. Ich mag Bücher, die mir etwas über die Welt erklären und aus denen ich etwas lernen kann. Mein Lieblingsbuch ist "Eine kurze Geschichte der Menschheit" von Yuval Noah Harari, einem israelischen Historiker. Was hat die Menschheit zu dem gemacht, was sie ist? Warum haben wir uns so entwickelt? Was sind wir morgen? Er stellt viele interessante Fragen, mit denen ich mich beschäftige. Ich habe auch weitere Werke von ihm gelesen, die auf dem ersten Buch aufbauen. In "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert" geht es dann wirklich um das Hier und Jetzt. Das finde ich total spannend. Was mir auch gut gefallen hat, ist "Das große Buch vom Schlaf" von Matthew Walker.

Haben Sie danach etwas umgestellt?

Görtler: Ich schlafe seit der Lektüre auf jeden Fall viel regelmäßiger und länger, ich habe danach erst so richtig die Bedeutung eines gesunden Schlafs für unser Leben verstanden. Wie verdammt wichtig es ist, jeden Tag zwischen sieben und neun Stunden Schlaf zu haben, für das allgemeine Lebensgefühl, aber auch um Verletzungen oder Krankheiten zu verhindern. Mir sind meine acht Stunden Schlaf pro Tag seitdem extrem wichtig. Generell versuche ich, immer zu schauen, wie ich Dinge in meinem Leben optimieren kann. Wie ich mir gute Gewohnheiten aneignen und die schlechten Gewohnheiten ablegen kann. Ich habe zum Beispiel auch zwei Bücher über das Atmen gelesen. Wie atmen wir? Wie sollten wir atmen? Du kannst oft durch kleine Umstellungen dein Leben schon um einiges verbessern.

Sie sind sehr umtriebig und sollen sogar Vorlesungen an der Uni St. Gallen besuchen, zu denen jetzt nicht jeder freiwillig gehen würde.

Görtler: (lacht) Das stimmt. Einmal war ich bei einer Vorlesung zur Relativitätstheorie von Albert Einstein. Die Uni bietet regelmäßig sehr interessante Vorlesungen an, auch für Menschen, die dort nicht studieren. Ich habe ein Faible für naturwissenschaftliche Themen und die Relativitätstheorie habe ich noch nie begriffen, also bin ich mal hin und habe es mir angehört. Meine Interessen sind da wirklich sehr breit gefächert. Auch das Thema Glücksforschung ist etwas, mit dem ich mich immer wieder gerne beschäftige.

Was ist denn das größte Glück, das Ihnen je widerfahren ist?

Görtler: Das ist eine schwierige Frage. Ich kann kein Erlebnis benennen, für mich ist das größte Glück wohl tatsächlich, dass ich gesund bin. Dass ich eine tolle Familie habe, die auch gesund ist. Dass ich in einer so privilegierten Situation bin, frei leben und als Fußballprofi meiner Leidenschaft nachgehen kann. Wobei ich das Dasein als Fußballprofi vom Glücklichsein ausklammern würde, das wäre ja schlimm, wenn ich nur als Fußballprofi glücklich wäre. In jüngerer Vergangenheit ist sicher die Beziehung zu meiner Frau ein großes Glück. Aber meine Nichten und Neffen haben mir auch schon viele glückliche Momente geschenkt.

Warum hat Uli Hoeneß Sie dahingehend so sehr geprägt?

Görtler: Es hat nicht direkt etwas mit dem Thema Glück zu tun, mehr mit Begriffen wie Menschlichkeit und Nächstenliebe. Als ich beim FC Bayern war, saß Uli Hoeneß noch im Gefängnis und durfte dann in der Nachwuchsabteilung als Freigänger arbeiten. Ich hatte einen Termin bei ihm, weil ich ein Angebot aus Kaiserslautern vorliegen hatte und gerne wechseln wollte. Ich kam in sein Büro und durfte mich schon mal setzen, er musste aber noch ein Telefonat zu Ende führen. Es ging um einen ehemaligen Bayern-Spieler aus der zweiten Mannschaft, der Schulden hatte, für den sich aber niemand mehr interessiert hat, wenn man ehrlich ist. Außer Uli Hoeneß. Er hat mit dem Banker telefoniert und aus seiner privaten Tasche die Schulden beglichen. Wenn du da auf dem Stuhl sitzt und das mit anhörst, macht das schon etwas mit dir. Er hat das nicht gemacht, um irgendwie gut dazustehen. Er hat es gemacht, weil er einfach helfen wollte. Das hat mich sehr inspiriert.

Wie lief denn dann Ihr Gespräch?

Görtler: Erstmal nicht so gut für mich. Er hat mir in einem langen Monolog sehr deutlich gesagt, dass die Bayern meinen Wechselwunsch nicht erfüllen können. Das war hart für mich. Ich war am Boden zerstört. Für mich war die Chance, Profi zu werden, zum Greifen nahe. Für mich war das nicht selbstverständlich. Ich hatte zu der Zeit gerade mein erstes Spiel für die Profis gemacht und ich habe das alles nur geschafft, weil ich es durch viel Einsatz erzwungen habe. Mir ist nie etwas zugeflogen. Dann kam die Gelegenheit, endlich nicht mehr in der 4. Liga zu spielen und dann sollte es aber nicht sein.

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Görtler: "Uli Hoeneß hier, schläfst Du noch?"

Wie ging es weiter?

Görtler: Ich bin mit meinem Berater zum Essen gegangen und war unendlich traurig. Ich habe es mir nochmal durch den Kopf gehen lassen und entschieden, dass ich das so nicht stehen lassen kann. Ich konnte das so nicht akzeptieren. Also habe ich allen Mut zusammengenommen, bin wieder hingefahren, diesmal ohne Berater, und habe nochmal bei Uli Hoeneß an der Tür geklopft, ob er nochmal ein paar Minuten für mich hat. Ich habe ihm dann meine ganze Geschichte erzählt, wie ich vor zwölf Monaten noch im Büro gearbeitet habe und dass ich mir jetzt meinen großen Traum erfüllen könnte. Es hat ihm wohl imponiert, wie ich dafür gekämpft und mein eigenes Glück in die Hand genommen habe. Er hat mir versprochen, dass er mich gehen lässt, wenn sie einen Nachfolger finden und er mich dann anrufen würde.

Und er hat angerufen.

Görtler: Ja, das muss zwei Wochen später gewesen sein. Ich war am Abend davor mit meinen Kumpels in Bamberg unterwegs und habe noch gepennt, als am nächsten Morgen um 9 Uhr das Handy klingelte. Unbekannte Nummer. Ich dachte, dass es bestimmt meine Oma ist, die mich fragen will, ob ich zum Essen vorbeikomme. Aber am anderen Ende der Leitung hieß es: "Uli Hoeneß hier, schläfst Du noch?" Ich glaube, ich bin noch nie so aus dem Bett aufgesprungen. "Nein, nein, ich bin schon länger wach", habe ich geantwortet. (lacht) Da hat er mir dann erzählt, dass ich gehen darf, wenn es für mich noch relevant ist.

Sie sprechen Ihren etwas untypischen Karriereweg an. Welchen Bürojob hatten Sie?

Görtler: Ich habe zweieinhalb Jahre lang eine Ausbildung zum Informatik-Kaufmann gemacht und dann eineinhalb Jahre als kaufmännischer Projektleiter gearbeitet. Ich muss mal überlegen, was ich damals konkret gemacht habe. (lacht) Es ging um die Einführung von IPads in die Fertigung. Zu der Zeit war es sehr unsicher, wie es für mich weitergehen würde. Natürlich wollte ich Profi werden, aber wenn du mit 19, 20 Jahren nur in der Regionalliga aktiv bist, dreimal pro Woche trainierst und am Wochenende feiern gehst, ist das jetzt nicht zwingend der Weg zur Profikarriere. Zum Glück habe ich aber meine Chance bekommen.

Lukas Görtlers Karrierestationen

SaisonVerein
2012-2014FC Eintracht Bamberg
2014-2015FC Bayern München II (1 Bundesligaspiel)
2015-20171. FC Kaiserslautern
2017-2019FC Utrecht
seit 2019FC St. Gallen

Der heutige Trainer von Manchester United, Erik ten Hag, hat einen großen Anteil daran. Er war damals Trainer der zweiten Mannschaft der Bayern.

Görtler: Er hat mich angerufen und zum Probetraining eingeladen, ich habe aber abgelehnt.

Warum das denn bitte?

Görtler: Mein Bruder hatte Jahre zuvor mal ein Probetraining bei den Bayern gehabt, da sah es die ganze Zeit so aus, als ob sie ihn nehmen würden. Aber dann bekam er doch eine Absage. Das war in meinem Kopf. Und außerdem habe ich den Sinn ehrlicherweise nicht gesehen, nochmal ein Probetraining zu machen. Ich hatte in den vergangenen zwei Jahren ja viermal gegen Bayern gespielt, viermal gegen Erik ten Hag. Das letzte Spiel in München, bei dem ich ein Tor und ein Assist gemacht hatte, war nur wenige Wochen her. Was soll ich da jetzt in einem Probetraining noch besser machen? Entweder will er mich oder er will mich nicht.

Das hätte sich aber nicht jeder getraut.

Görtler: Das war sicher mutig von mir. Ich hatte auch ein bisschen Angst dabei, etwas zu verlieren, aber im Nachhinein hat es ihm gefallen, dass ich so selbstbewusst aufgetreten bin. Er bat mich, trotzdem nach München zu kommen. Nicht zum Probetraining, aber um mich als Mensch besser kennenlernen zu können. Das habe ich gemacht und nach einem sehr guten Gespräch hat er sofort gesagt, dass er mich unbedingt haben will.

Erik ten Hag holte Sie später auch von Kaiserslautern nach Utrecht, zog aber sehr schnell zu Ajax weiter. Dennoch kennen Sie ihn sehr gut. Was macht ihn aus?

Görtler: Erik ten Hag ist für mich einer der besten Trainer der Welt, definitiv der Beste, den ich je erlebt habe. Er hat einen Plan, einen sehr konkreten Plan, den er seiner Mannschaft perfekt vermittelt. Er ist sehr akribisch und perfektionistisch, da ähnelt er auch Pep Guardiola, und taktisch einfach für mich unerreicht. Er kann dir zu jeder Zeit genau erklären, wie du dich in welchen Situationen verhalten musst, wo du hin laufen musst, welchen Raum du besetzen musst. Seine Analysen sind bestechend gut. Und er bringt dir ein unglaubliches Maß an Vertrauen und Wertschätzung gegenüber. Es war schade, dass ich ihn in Utrecht nicht so lange als Coach hatte, ich hätte liebend gerne mal länger unter ihm gespielt.

Dann müssen Sie eben zu United wechseln.

Görtler: (lacht) Kein Scherz, ich habe ihm erst vor Kurzem geschrieben, als das Transferfenster noch offen war. Nach dem Motto: "Ich habe gehört, Pogba geht vielleicht weg, melde dich, wenn du einen Achter brauchst, ich stehe parat." Er hat scherzhaft geantwortet, dass er ein paar Scouts schickt. Als er United-Trainer wurde, habe ich ihm gratuliert und geschrieben, dass ich stolz bin, zweimal unter ihm trainiert zu haben. Ich habe meiner Frau noch gesagt, dass ich gespannt bin, ob er sich meldet, er hat so viel Stress bei United und so wichtig bin ich ja nun wirklich nicht. Aber es dauerte nur 20 Minuten, da hatte ich eine lange Nachricht auf dem Handy, in der er mich gefragt hat, wie meine Hochzeit war und dass er hofft, weiterhin in Kontakt zu bleiben, weil ich für ihn ein besonderer Mensch bin. Die Geschichte sagt viel über ihn aus. Er ist ein außergewöhnlicher Mensch für mich.

Sie haben aber auch in St. Gallen einen herausragenden Coach in Peter Zeidler. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Görtler: Er ist weniger der Typ ten Hag, der alle Einzelszenen im Spiel seziert und alles auseinander nimmt. Für ihn geht es mehr um die grundlegende Einsatzbereitschaft, um das ganz hohe Gegenpressing - ich habe nie unter Jürgen Klopp gespielt, aber es geht mehr in diese Richtung Fußball. Wir stehen immer hoch, wir geben immer Gas, wir greifen immer an. Wenn man sehen will, was Peter Zeidler für eine herausragende Qualität hat, muss man sich nur unsere Spiele anschauen. Seit er in St. Gallen ist, spielen wir jedes Jahr den attraktivsten und coolsten Fußball. Und das mit einer Mannschaft, die vom Budget eher weiter unten angesiedelt ist.

Lukas Görtler bekommt Anweisungen von Erik ten Hag.imago images

Görtler: Guardiola? "Wäre am liebsten im Boden versunken"

Spiele vom FC St. Gallen sind tatsächlich immer Entertainment pur.

Görtler: Er ist ein Trainer, der mit seiner Idee vom Fußball die Fans begeistert und die Stadien füllt. Das macht er perfekt. Man sieht es auch wieder in dieser Saison, wir haben zehn Spiele gemacht, ohne einziges Unentschieden. Entweder dominieren und gewinnen wir, oder es geht mal schief, aber es ist auf jeden Fall ein Spektakel. Er hat seinen Plan, seinen Stil, davon rückt er auch nicht ab, wenn wir mal ein paar Spiele verlieren. Wir haben Plan A und Plan A. Er besitzt die totale Überzeugung, das ist eine große Stärke.

Wir müssen auch über Ihre Erfahrungen mit Pep Guardiola als junger Spieler sprechen. 2015 machten Sie unter ihm gegen Leverkusen Ihr bislang einziges Bundesligaspiel. Was ist Ihre Lieblingsstory mit Pep?

Görtler: Da habe ich zwei. Generell war es so, dass ich eigentlich gar nicht der erste Kandidat war aus der zweiten Mannschaft, der bei den Profis mittrainieren sollte. Da waren andere vor mir. Aber als einer verletzt ausfiel oder ein anderer meinte, das wäre ihm zu viel Stress und Druck, bei den Profis mitzutrainieren, kam meine Chance. Hermann Gerland mochte mich, weil ich zwar nicht der talentierteste war, aber immer richtig Gas gegeben habe. So durfte ich dann hoch. Anfangs durfte ich einmal in der Woche bei den Profis dabei sein. Irgendwann habe ich angefangen, nach jedem Training zu Pep zu gehen und zu sagen: "Pep, darf ich morgen wiederkommen?" (lacht) Ich habe ihn nach jedem einzelnen Training genervt. Das hat ihm offenbar gut gefallen. Manchmal meinte er, dass er noch gar nicht weiß, was sie morgen machen würden, aber ich dürfe gerne kommen. Am Ende war ich drei, vier Monate lang jeden Tag beim Training dabei.

Und die zweite Geschichte?

Görtler: Die war schlimm. Es war relativ am Anfang meiner Zeit bei den Profis. Ganz am Ende der Einheit gab es eine simple Abschlussübung. Wir sollten vom Mittelkreis Diagonalbälle auf die rechte Seite nach außen schlagen, so wie du es in deinem Leben schon tausend Mal gemacht hast. Eigentlich echt keine große Sache, Flanke, Abschluss im Sechzehner, fertig. Oh Gott, ich weiß es noch genau. Es waren Ferien und deshalb auch viele Fans beim Training. 3000? 5000? Auf jeden Fall eine Menge. Ich spiele also den ersten Ball ... er kommt nicht an. Normalerweise kommt dann einfach der Nächste an die Reihe, aber Pep wollte, dass ich es nochmal probieren sollte. Ich war unfassbar nervös. Und auch der zweite Ball landete irgendwo, aber nicht da, wo er hin sollte. Pep hat aber nicht locker gelassen und mich das immer weitermachen lassen, ein drittes, viertes, fünftes, sechstes Mal. Es war furchtbar. Ich wäre am liebsten im Boden versunken. Ich habe keinen Fuß mehr vor den anderen gesetzt bekommen.

Das war ja auch alles neu für Sie.

Görtler: Ich war kurz davor noch in Bamberg und jetzt stand ich da mit den Weltstars und dem Welttrainer auf dem Rasen. Nach dem Training hat mich Pep zur Seite genommen und erklärt, dass er mich nicht bloßstellen wollte. Er wollte mich auf die Drucksituation vorbereiten, die ich auch im Spiel bewältigen muss. Er wollte, dass ich lerne, in solchen Momenten ruhig zu bleiben. Er hat gesehen, wie nahe es mir ging und sich extrem um mich gekümmert, im Nachhinein war das toll.

Sie wirken wie jemand, der später selbst mal Trainer werden könnte. Ist das ein Ziel?

Görtler: Ich kann mir das in der Tat sehr gut vorstellen, bin aber auch zwiegespalten. Auf der einen Seite bin ich mir ziemlich sicher, dass mir der Trainerberuf eines Tages Spaß machen würde. Ich denke auch, dass ich Talent dafür hätte, weil ich ein guter Kommunikator bin, gerne die Menschen um mich herum besser mache und da gewisse Fähigkeiten besitze. Gleichzeitig weiß ich, dass die eine große negative Sache im Fußball, dass du nämlich jedes Wochenende fremdbestimmt bist, natürlich als Trainer genauso da ist wie als Spieler. In gewisser Weise sogar noch schlimmer. Will ich das? Ich bin wahrscheinlich der Typ, der nach der aktiven Karriere erstmal ein oder zwei Jahre auf Reisen gehen und die Welt sehen will. Aber vielleicht reicht mir das auch wieder nach einem Jahr und ich bin heiß auf eine Rückkehr in den Fußball. Gut möglich.

Noch haben Sie viele Jahre als Spieler vor sich, Sie sind mit 28 Jahren jetzt im besten Fußballer-Alter, wie man so schön sagt. Sie sind ein Star in der Schweiz. Wie sehr wünschen Sie sich den Schritt in eine größere Liga, gerade die Bundesliga?

Görtler: Ich bin jemand, für den eine ehrliche Kommunikation ganz wichtig ist. Ich habe der Vereinsführung in St. Gallen gesagt, dass ich unglaublich glücklich hier bin. Ich hatte als Fußballer noch nie ein so hohes Standing wie hier. Ich fühle mich pudelwohl und kann mir vorstellen, sehr lange hier zu bleiben, deshalb habe ich auch einen langfristigen Vertrag bis 2026 unterschrieben. Ich muss sicher nichts Verrücktes machen, um meine Karriere irgendwie zu pushen. St. Gallen hat die Latte sehr hoch gelegt, da muss schon etwas sehr Besonderes kommen. Aber die ehrliche Antwort ist auch, dass ich mich als Fußballer unglaublich entwickelt habe und dass ich natürlich ehrgeizig bin. Wenn eines Tages ein Angebot kommt, das mich sportlich und finanziell nochmal auf eine andere Ebene hieven würde, dann höre ich mir das sicher an. Und dass für mich als Deutscher die Bundesliga reizvoll wäre, ist auch kein Geheimnis. Aber ich bin nicht auf der Suche.

Sie glänzen in St. Gallen nicht nur spielerisch und als Captain, Ihnen liegt auch das Thema Umwelt sehr am Herzen. Warum engagieren Sie sich so?

Görtler: Der Klimawandel ist das große Thema unserer Generation. Ich mache mir große Sorgen, dass wir in eine Katastrophe hineinschlittern, wenn wir nicht schleunigst Dinge verändern. Ich mache mir Sorgen, dass wir in 25 Jahren dastehen, uns anschauen und sagen müssen: Wie konnten wir nur so dumm sein? Aber dann ist es vielleicht zu spät und wir können nichts mehr ändern. Ich sehe auch jeden Tag, dass das Thema zwar schon viel Aufmerksamkeit bekommt, aber dass es doch nicht zu allen durchdringt.

Wie meinen Sie das?

Görtler: Wenn ich mir meine Altersgruppe anschaue oder vor allem die Altersgruppe eins drunter, die jungen Spieler bei uns in der Mannschaft, dann muss ich leider feststellen, wie wenige das Thema überhaupt auf dem Schirm haben. Wie Kleinigkeiten als selbstverständlich angenommen werden, die aber einen großen Schaden anrichten können. Es ist unglaublich schwierig, Menschen dazu zu bringen, zu verzichten. Da muss auch jeder für sein Leben entscheiden, was für ihn ein Kompromiss sein kann, aber ich versuche einfach, bei einigen Punkten mit einem guten Beispiel voranzugehen und Dinge vorzuleben. Vielleicht kann ich damit ein paar Leute inspirieren.

Haben Sie Beispiele?

Görtler: Als ich nach St. Gallen gekommen bin, habe ich mich dafür eingesetzt, dass wir Plastikflaschen aus dem Klub verbannen. Ich habe ausgerechnet, dass wir pro Jahr rund 15.000 PET-Flaschen verbrauchen - das ist doch verrückt. Da ist es doch viel sinnvoller, wenn jeder Spieler eine eigene Alu-Flasche bekommt und wir einen Wasserspender installieren. Deshalb bin ich zum Präsidenten nach oben ins Büro gegangen und habe das vorgeschlagen. Seitdem sind die Plastikflaschen bei uns Geschichte.

Fahren Sie nur noch mit dem Rad zum Training?

Görtler: Ja, ich fahre fast immer mit dem Rad. Wenn wir nachts von einem Spiel aus Sion wieder mit dem Bus am Trainingsgelände ankommen, liebe ich es, die zehn Kilometer zu mir nach Hause zu radeln. Als ich bei einem Spiel in Vaduz mal gesperrt war, bin ich die 60 Kilometer auch mit dem Rad zum Spiel gefahren und danach wieder zurück. Wir hatten im Klub sogar Fahrräder, aber die noch nicht richtig in Gebrauch waren. Zusammen mit einem Mannschaftskollegen habe ich sie dann aufgepumpt und hergerichtet, einmal kamen immerhin zwölf Jungs mit dem Fahrrad. Damit retten wir nicht die Welt, aber würde jeder Mensch jeden Tag 1,6 Kilometer mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zurücklegen, wie es der Durchschnitt in Dänemark tut, könnten wir jährlich 400 Millionen Tonnen CO2 sparen. In den Niederlanden liegt der Durchschnitt übrigens sogar bei 2,6 Kilometern, es ist also möglich.

Lukas Görtler ist Kapitän beim FC St. Gallen.imago images

Görtler: "Da kann ich schlecht auf andere Leute schimpfen"

Sie haben auch Ihre Ernährung umgestellt, Sie sind seit einigen Jahren Vegetarier und ernähren sich oft vegan.

Görtler: Ich habe vor sechs Jahren damit angefangen, weniger Fleisch zu essen und mit der Zeit generell auf tierische Lebensmittel zu verzichten. Ich habe relativ schnell gemerkt, dass mir gar nichts fehlt. Im Gegenteil. Ich habe mich nicht mehr so müde gefühlt, ich war sogar energetischer. Das heißt aber auch nicht, dass ich davor total kaputt war und ohne Fleisch laufe ich nur noch Marathons, so ist es natürlich nicht. Aber es hat mir gutgetan. Ich bin aber niemand, der mit dem moralischen Zeigefinger auf andere Menschen zeigt. Ich bin weit davon entfernt, perfekt zu sein. Ich reise zum Beispiel sehr gerne.

Also fliegen Sie viel.

Görtler: Ich fliege ab und zu, darauf will ich auch nicht verzichten müssen. Da kann ich aber dann schlecht auf andere Leute schimpfen, die Fleisch essen, aber dafür vielleicht nicht in den Urlaub fliegen. Aber wenn ich ein paar Leute zum Nachdenken anrege und sie statt an fünf Tagen in der Woche nur noch an zwei Tagen Fleisch essen, hat das auch schon einen Effekt. Es gibt eine Alternative, wenn die Menschen das verstehen, reicht es mir schon.

Wir haben am Anfang des Gesprächs über das Thema Glück gesprochen. Sie haben in St. Gallen eine Aktion ins Leben gerufen, die kranken Kindern hilft. Worum geht es da?

Görtler: Das Projekt heißt "sangallä bewegt". Entstanden ist die Idee zu meiner Zeit in Utrecht, als wir pro Jahr ein paar Mal das Kinderkrankenhaus besuchten. Diese Besuche haben mir sehr viel bedeutet und gegeben. Ich habe realisiert, wie ich mit ganz wenig Aufwand, nämlich einfach mit ein paar Stunden meiner Zeit, Kindern, denen es gerade nicht so gut geht, den schönsten Tag ihres Lebens schenken kann. Ich habe auch in St. Gallen immer wieder mal kranke Kinder zum Training eingeladen, wenn ich von ihren Geschichten erfahren habe. Ich wollte aber, dass es erstens nicht meine Geschichte ist, sondern dass es eine Geschichte der ganzen Mannschaft wird. Und ich wollte es größer machen und organisierter. So ist "sangallä bewegt" entstanden. In diesem Jahr haben wir über Events, Verlosungen oder Versteigerungen 50.000 Schweizer Franken an Spenden für ein Kinderspital eingenommen. Ich habe alles selbst organisiert und muss zugeben, dass ich etwas unterschätzt habe, wie groß so ein organisatorischer Aufwand sein kann. Aber es ist es wert. Deshalb werden wir es auch auf jeden Fall irgendwie weiterführen, es gibt einem so unendlich viel.