Im Interview mit SPOX und GOAL spricht der Offensivspieler über den Wechsel in die USA und die Begleiterscheinungen, die das neue Leben in den Staaten mit sich bringt.
Der 29-Jährige erzählt zudem vom Hype um Lionel Messi und erklärt, weshalb man in Stuttgart seinen Vertrag nicht mehr verlängerte.
Herr Thommy, nach vier Jahren beim VfB Stuttgart sind Sie im Sommer 2022 kurz vor Ihrem 28. Geburtstag zu Sporting Kansas City in die MLS gewechselt. Die Stadt liegt relativ mittig in den USA und ist kein klassisches Touristenziel. Wie lebt es sich dort?
Erik Thommy: Ich war fast schon in jeder deutschen Großstadt, aber keine ist vergleichbar mit Kansas. Hier gibt es zwar eine halbe Million Einwohner, aber alles ist sehr großflächig. Daher stehe ich auch so gut wie nie im Stau. Man braucht mit dem Auto, egal wohin, maximal 20 Minuten. Kansas ist eine traditionsverbundene Stadt, hier laufen ab und an auch Cowboys herum. Die Menschen sind extrem nett und gastfreundlich.
Inwiefern?
Thommy: Sie sind einfach offener als in Deutschland und sehr hilfsbereit. Wir sind erst kürzlich umgezogen. Kaum waren wir da, luden uns unsere neuen Nachbarn zum Barbecue ein. Sie haben uns seit unserer Ankunft enorm unterstützt. Und sobald wir das nächste Mal grillen, rufen wir sie natürlich herüber. Das ist in den USA auch so üblich, die Nachbarschaft ist hier einfach enger. Meine Frau ist jetzt schon ab dem frühen Morgen mit den anderen Frauen unterwegs.
Gab es anfangs einmal eine Situation, in der Sie realisiert haben: Jetzt bin ich wirklich in den USA, das wäre in Deutschland so nicht passiert?
Thommy: Man wird hier überall angesprochen. Du steigst in einen Aufzug und wirst direkt in ein Gespräch eingebunden, während in Deutschland dann ja meist betretenes Schweigen herrscht. Man merkt schnell, dass dies ein Teil der Offenheit ist, von der ich sprach.
Wie bei jedem Land grassieren auch rund um die USA die klassischen Klischees. Wie war es bei Ihnen zuvor und wie ist es jetzt?
Thommy: Wirkliche Vorurteile hatte ich grundsätzlich nicht. Ich habe einfach alles auf mich zukommen lassen. Ich glaube, in Deutschland denkt man, dass sich die Amerikaner überwiegend von ungesundem Fast Food ernähren. Das stimmt zu einem gewissen Teil auch. Es gibt aber auch viele, die sehr sportlich sind und sehr bewusst gesund essen. Die Supermärkte sind riesig und man bekommt wirklich alles. Was man vor allem aus den US-Filmen kennt und auch der Realität entspricht, sind die sechs- oder siebenspurigen Highways, die typischen XXL-Trucks und die gelben Schulbusse.
Kansas City ist für sein Football-Team bekannt, die Chiefs sind amtierender Super-Bowl-Sieger. Wird man als Fußballer überhaupt auf der Straße erkannt?
Thommy: Football ist klar die Sportart Nummer 1 und alle lieben die Chiefs. Trotzdem wird man ab und zu angesprochen und nach einem Foto oder Autogramm gefragt. Ansonsten lebt es sich dahingehend für mich ruhiger als in Deutschland. Man kann mehr seinen Interessen nachgehen, sodass die Leute einem nicht bei allem auf die Finger schauen.
In Ihrer Mannschaft spielen mit dem ehemaligen Kölner Robert Voloder und Ex-HSV-Kapitän Tim Leibold zwei weitere Deutsche. Voloder war schon vor Ihnen da. Half er Ihnen bei der Eingewöhnung?
Thommy: Ja, er hat mir anfangs einiges erklärt. Obwohl natürlich überall Englisch gesprochen wird, war zu Beginn schon eine kleine Sprachbarriere da. Da half es, wenn jemand Deutsch spricht und übermittelt. Mittlerweile hängen wir drei zwei bis dreimal die Woche auch in der Freizeit ab, gehen Kaffee trinken, ins Restaurant, spielen Topgolf oder abends Karten. Unsere Frauen sind auch meistens dabei.
Mit 27 in die MLS zu wechseln, ist eher ungewöhnlich. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erstmals vom Angebot aus Kansas City hörten?
Thommy: Wenn mir jemand vor meiner Karriere gesagt hätte, dass ich einmal in den Staaten landen würde, hätte ich geantwortet: Ich doch nicht! Ich war damals mit vielen Vereinen im Austausch. Als die Offerte aus Kansas kam, wollte ich mir das unvoreingenommen anhören, ohne jedoch ernsthaft an diesen Wechsel geglaubt zu haben.
Wieso kam es anders?
Thommy: Ich hatte mit den Verantwortlichen sehr gute Gespräche und war extrem überrascht, wie viel sie bereits über mich wussten. Sie kannten meine Qualitäten als Spieler, also Stärken und Schwächen, wussten aber auch einiges über meinen Charakter und Lebensstil. Dazu stimmen einfach die Rahmenbedingungen. Der Trainer ist schon seit vielen Jahren hier. Auch die Trainingsbedingungen sind spitze und absolut vergleichbar mit den Top 5 in der Bundesliga.
Apropos: Die Verantwortlichen haben Ihnen die Anlage per Facetime gezeigt, während Sie in Deutschland saßen. Wie lief das genau ab?
Thommy: Es hört sich komisch an, aber da ist tatsächlich jemand mit seinem Handy durch die Trainingsanlage gelaufen und hat alles gezeigt und erklärt. Ich konnte ja nicht schnell mal nach Kansas fliegen, daher haben wir das so gemacht. Schon da wurde aber ersichtlich, wie unglaublich groß und modern das alles ist. Auch das Stadion ist erst 2011 eröffnet worden. Das gab mir das Gefühl, dass es sich hier nicht um einen willkürlichen Verein handelt, sondern vielmehr, dass dort bereits ein mehr als ordentlicher Grundstein gesetzt wurde.
Also gab es für Sie keine Zweifel mehr an dem Transfer?
Thommy: Ich habe nie gezweifelt und seitdem diesen Schritt auch nie bereut. Wenn man so eine lebensverändernde Entscheidung trifft, darf man auch keine Zweifel haben. Natürlich wäre ich auch gerne in Deutschland geblieben, aber ich wollte diese einzigartige Chance auch nicht verpassen.
Aber dennoch gerne irgendwann einmal wieder nach Deutschland zurückkehren?
Thommy: Ja.
Der Trainer, der schon seit November 2009 im Amt ist, heißt Peter Vermes. Unter ihm haben Sie jetzt schon mehr Spiele absolviert als unter jedem Ihrer Profi-Trainer zuvor.
Thommy: Echt? Das ist ja mal interessant. Das wusste ich noch nicht.
Sie stehen derzeit bei 48 Spielen mit sieben Toren und neun Vorlagen. Klingt gut, oder?
Thommy: Ist gut, aber hätte noch besser sein können! Für uns als Team läuft es diese Saison nicht ganz optimal, jedoch fühle ich mich persönlich sehr wohl auf dem Platz. Ich bin aktuell in einer guten Verfassung und der Trainer weiß, was er von mir bekommt. Die Fitness ist immer am wichtigsten. Ich glaube, das liegt auch daran, dass wir hier eine Menge englische Wochen und sehr viele Spiele haben.
Eines davon ging kürzlich mit 2:3 verloren - gegen Inter Miami, den Klub von Lionel Messi. Der Weltmeister stand aber nicht im Kader. Waren Sie enttäuscht, dass Sie nicht mit ihm zusammen auf dem Feld standen?
Thommy: Auf der einen Seite hätte man gerne gegen den besten Spieler der Welt gespielt und sich mit ihm messen wollen. Auf der anderen Seite standen die Chancen aber höher, das Spiel für uns zu entscheiden - auch wenn es uns hinten raus nicht gelang.
Wie sehr spüren Sie den Messi-Hype in der MLS, rund 2350 Kilometer von Miami entfernt?
Thommy: Sein Wechsel hat schon für enormen Wirbel gesorgt, ihn kennt ja auch jeder - selbst die immer noch zahlreichen Menschen, die sonst nichts mit Fußball am Hut haben. Seitdem sind die Einschaltquoten gestiegen und Leute wie Leonardo DiCaprio oder LeBron James gehen wegen ihm ins Stadion. Die Liga wuchs schon zuvor, Messi hat der ganzen Sache aber natürlich einen riesigen Auftrieb gegeben. Die Stadien sind voller, die Trikotverkäufe sind angestiegen. Der Fußball in den Staaten wird für die Menschen grundsätzlich immer interessanter.
Messi oder Cristiano Ronaldo - wie sieht es bei Ihnen aus?
Thommy: Beide sind natürlich außergewöhnliche Fußballer. Für mich ist Ronaldo einer, der vielen jungen Leuten etwas mitgeben konnte - vielleicht sogar mehr als Messi. Gerade in Sachen Ernährung, Vorbereitung, Nachbereitung und Leidenschaft zum Sport. Messis Eleganz und Spielintelligenz auf dem Platz ist allerdings mit niemandem vergleichbar.
Blicken wir ein wenig zurück: In der Saison 2019/20 spielten Sie auf Leihbasis bei Fortuna Düsseldorf. Als Sie dann nach Stuttgart zurückkehrten, brachen Sie sich den Ellbogen. War das so ein bisschen der Anfang vom Ende für Sie beim VfB? Ihr Vertrag wurde ja dann nicht verlängert.
Thommy: Das hatte viele Gründe. Einer davon war aber sicherlich diese schwere Verletzung zu einem sehr unglücklichen Zeitpunkt - genau nach meiner Rückkehr und während der Sommervorbereitung 2020 in einem Testspiel gegen den FC Liverpool.
Wie ist das genau passiert?
Thommy: Das war in Kitzbühel im Trainingslager. Es hatte sehr stark geregnet. Rund um das Spielfeld waren überall Banden aufgestellt. Ich bekam in einem Zweikampf einen Schubser, habe mit meinem Arm meinen Kopf geschützt und bin voll gegen die Bande gekracht. Es hatte geknackst und tat sehr weh, daher war schnell klar, dass da etwas nicht stimmt. Ich hatte echt große Schmerzen. Noch vor Ort wurde ich operiert. Leider verlief diese OP nicht optimal, später musste ich mich einer zweiten unterziehen und fiel schließlich rund ein halbes Jahr aus.
Was geschah anschließend?
Thommy: Ich habe mich zurückgekämpft, aber der VfB hatte unter Sven Mislintat und Pellegrino Matarazzo seine Philosophie verändert. Es wurde nun mehr auf junge Spieler gesetzt, denen mehr Vertrauen geschenkt wurde als unter anderem mir. Ich kam daher in den letzten eineinhalb Jahren nicht mehr auf die Spielzeit, die ich mir wünschte oder auch verdient hätte.
Wie enttäuscht waren Sie vom Aus in Stuttgart?
Thommy: Ich fand es schon sehr schade, weil ich mich dort sehr wohl gefühlt habe und Stuttgart für mich auch ein Stück weit Heimat war. Ich verfolge den VfB immer noch und stehe oft extra etwas früher auf, um mir die Spiele anzuschauen.
Ihre beste Zeit in Stuttgart hatten Sie unter Tayfun Korkut. Warum schaffte er das, was anderen offenbar nicht gelang?
Thommy: Ich habe vom damaligen Trainerstab mit den Co-Trainern Steven Cherundolo und Ilija Aracic das benötigte Vertrauen erhalten und konnte einfach mein Spiel spielen, ganz frei auflaufen. Diese Konstellation war wirklich super. Wir haben unter ihm ja auch sehr erfolgreich Fußball gespielt.
Es heißt seit jeher beim VfB, das Umfeld könne schwierig sein - Stichwort "Bruddler". Wie haben Sie das erlebt?
Thommy: Man hat die Stimmungslage natürlich immer mitbekommen, wenn wir über einen längeren Zeitraum nicht erfolgreich waren - auch wenn man das manchmal gar nicht mitbekommen wollte. Dass dann die Fans zu Recht sauer sind, ist bei einem solch riesigen Traditionsverein normal. Da steckt so viel Leidenschaft dahinter. Die Emotionen werden automatisch von den Rängen auf das Spielfeld übertragen. Daher habe ich es trotz mancher sportlicher Dellen immer genossen, in Stuttgart zu spielen. Die VfB-Fans sind einzigartig.