Köpfchen an und Vollgas

Die Tottenham Hotspurs haben die Chance auf ihren ersten Ligatitel seit 1961
© getty

Dank Mauricio Pochettino sind die Tottenham Hotspur in dieser Saison ganz nah am ersten Ligatitel seit über 50 Jahren. Dabei besticht das Team mit einer klugen Personalpolitik und einer durchdachten Taktik. Am Samstag treffen die Spurs im North-London-Derby auf den FC Arsenal (ab 13.45 Uhr im LIVETICKER).

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Fast regungslos steht Mauricio Pochettino während eines Spiels an der Seitenlinie. Meist im schwarzen Mantel gekleidet, mit verschränkten Armen und tiefgezogenen Augenbrauen. Dabei scheint es, als würde der Argentinier durchweg konzentriert in die Ferne blicken. Nur ab und zu fährt er einen Arm aus oder setzt zu einem gellenden Pfiff an, um seine Spieler auf Korrekturen aufmerksam zu machen. Zusätzlich fällt dann gerne ein forderndes ''Vamos! Vamos!'. In der Regel zieht er sich nach solchen 'Ausbrüchen' umgehend auf die Bank zurück und ruht ein paar Minuten.

So beherrscht der aktuelle Tottenham-Trainer nach außen wirken mag - innerlich brennt er über 90 Minuten lichterloh. Das belegen alte Aufnahmen von Trainingseinheiten in Southampton, bei denen der Coach zuweilen in die Knie sinkt, wenn ihm eine Aktion missfällt. Mit vollem Körpereinsatz nimmt er Anteil, hadert, schimpft. Nur am Spieltag sucht er konsequent seine innere Mitte.

Wildes System und kontrolliertes Chaos

Seine Mannschaft spielt aber wie sich Pocchetino im Training gibt. Seit inzwischen eineinhalb Jahren ist er für die Spurs verantwortlich und mittlerweile sitzt seine Spielidee wie ein maßgeschneiderter Anzug. Und dieser trägt die Marke Vollgas: Ständig fliegt abgegrätschter Rasen durch die Luft, pausenlos wird attackiert. Der Ball bewegt sich im höchsten Tempo und die Spieler sind immer auf der Suche nach dem nächsten Abschluss.

Auf den ersten Blick ein wildes Durcheinander, doch bei genauerer Betrachtung erkennt man ein kontrolliertes Chaos, ein striktes System; ein erfolgreiches noch dazu.

Denn mitten im riesigen Spektakel Premier League, bei dem zahlreiche Superstars über den Rasen schreiten, Investoren mit Millionen um sich schmeißen und TV-Verträge den Superlativen keine Grenzen setzen, bekämpft Pochettino mit seiner Elf ein Vorurteil, das schon seit Jahren der englischen Liga anhaftet. Dass die Taktiktafel nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Dass Namen schwerer wiegen als tatsächliche Qualität.

Wenig Geld, aber Kane

Dass Finesse und intelligente Einkaufspolitik aber auch in England über Erfolg oder Misserfolg bestimmen können, zeigt sich in der starken Saison der Spurs. Mit dem Überraschungsteam Leicester City wirbelt Tottenham die obere Tabellenregion gewaltig durch und hat dieses Jahr nach langer Zeit eine realistische Chance, den ersten Ligatitel seit 1961 abzuräumen. Platz zwei, 54 Punkte, die zweitmeisten Treffer erzielt, die wenigsten gefangen - und im Europa-League-Achtelfinale wartet Borussia Dortmund.

Die richtig großen Namen findet man allerdings bei der spendablen Konkurrenz. Vor dieser Saison nahmen die Spurs vergleichsweise wenig Geld in die Hand und erwirtschafteten sogar ein Transferplus von rund 16 Millionen Euro. Ein wichtiger Faktor war der Verbleib von Harry Kane, der in der vergangenen Spielzeit bereits den Zielspieler und Leitwolf mimte, jetzt aber noch konsequenter in Pocchettinos System eingebunden ist.

"Für kein Geld der Welt"

Neben seiner überdurchschnittlichen Spielintelligenz bringt Kane besondere Torjägerqualitäten mit. Auf 27 Ligatore kam er im Kalenderjahr 2015 - ein neuer Bestwert bei den Spurs. Aktuell steht er bei 16 Saisontreffern. Die immer wieder aufkeimenden Gerüchte um einen Wechsel erstickte Pochettino erst im Januar erneut mit Nachdruck. "Für kein Geld der Welt" werde der achtfache englische Nationalspieler verkauft.

Doch es ist nicht alleine der Stürmerstar, der für den Höhenflug der Lilywhites verantwortlich ist. Denn in dieser Saison spuckte die herausragende Scouting- und Nachwuchsabteilung des Klubs noch weitere talentierte Jungspieler aus - mitten ins Rampenlicht der Premier League.

Alli und Dier sind die Zukunft

Da wäre zum einen Dele Alli. Kein Pass ist dem 19-Jährigen zu riskant, kein Zuspiel zu aussichtslos. Mutig öffnet Alli die Spielsituationen, verliert auch unter Druck nicht die Übersicht. Mit seinem feinen Auge ist er vor allem für die Organisation der Offensive zuständig. Sieben Vorlagen brachte der pfeilschnelle Mittelfeldspieler bereits an den Mann.

Eine ähnliche Rolle kommt Eric Dier zu, der ebenfalls für den Rhythmus der Spurs zuständig ist. Als Gegenpart zu Alli kümmert sich Dier um die defensive Ordnung. Auf seiner neuen Position ist der 22-Jährige für die Balance im Spurs-Spiel verantwortlich und dirigiert vor allem das Verschieben gegen den Ball.

Die Versetzung Diers aus der Verteidigung ins Mittelfeld war so etwas wie das Meisterstück Pochettinos. Er sah sich zu dieser Maßnahme gezwungen, weil die Londoner im Sommer keinen zentralen Mittelfeldspieler verpflichten konnten, der Coach schnitzte sich kurzerhand seinen eigenen.

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