Vor gar nicht allzu langer Zeit arbeitete Andrew Robertson für die Tickethotline eines schottischen Amateurklubs. Nach einer erstaunlichen Reise ist er nun mit 23 Jahren Stammlinksverteidiger des FC Liverpool.
Mit den Reds trifft Robertson in der Champions League am Dienstag (20.45 Uhr im LIVETICKER) auf den FC Porto.
Ein Lauf ohne Ball von nur 14, vielleicht 15 Sekunden reichte Andrew Robertson. Reichte ihm, um die Herzen der Liverpool-Fans zu erobern. An einem Sonntagnachmittag im Januar war das, als Liverpool gegen Manchester City spielte und bereits mit 4:1 führte.
Links nahe der Mittellinie hatte Citys Bernardo Silva den Ball und Robertson machte sich auf, Herzen zu erobern. Silva spielte den Ball jedenfalls zurück zu Kyle Walker und Robertson hetzte hinterher. Doch kurz bevor er Walker erreicht hatte, spielte der den Ball zurück zu John Stones und Robertson hetzte wieder hinterher. Noch einen Tick antrittsstärker, schneller, intensiver als zuvor. Doch kurz bevor er da war, spielte Stones den Ball zurück zu Ederson und Robertson hetzte hinterher. Immer antrittsstärker, schneller, intensiver.
Und nochmal: Kurz bevor er da war, spielte Stones den Ball zu Nicolas Otamendi und Robertson hetzte hinterher - diesmal schnell genug. Er erwischte Otamendi, griff an seinen Oberkörper, zog ein bisschen, schubste ein bisschen und Otamendi ließ sich fallen. Der Schiedsrichter entschied auf Foul und die Liverpool-Fans entschieden auf verliebt. Verliebt in Andrew Robertson.
Sie begannen Robertson zu bejubeln und zu besingen. "Goosebumps", also Gänsehaut, hätte Robertson deswegen gehabt, erzählte er nachher und sagte: "Es gibt mir einen Schub, wenn sie meinen Namen singen." Das Liverpool Echo schrieb von "15 Sekunden, die Energie, Emotionen und Wille veranschaulichen". Und Robertson hatte allen Grund, sich an an seine letzten fünfeinhalb Jahre zu erinnern. Denn sie veranschaulichen diese Eigenschaften nicht minder.
Saison | Liga | Verein | Spiele | Tore | Assists |
2012/13 | Scottish League Two (viertklassig) | Queen's Park FC | 34 | 2 | 3 |
2013/14 | Scottish Premiership | Dundee United | 36 | 3 | 6 |
2014/15 | Premier League | Hull City | 24 | - | 2 |
2015/16 | Championship (zweitklassig) | Hull City | 42 | 2 | 5 |
2016/17 | Premier League | Hull City | 33 | 1 | 2 |
2017/18 | Premier League | FC Liverpool | 16 | - | 2 |
Robertson, der Ticketverkäufer
Als diese fünfeinhalb Jahre begannen, verbrachte der 18-jährige Robertson den Großteil seiner Zeit im Hampden Park, Schottlands Nationalstadion und der Heimat seines damaligen Klubs Queen's Park FC. Er spielte dort aber nicht Fußball, er saß im Büro. 40 Stunden pro Woche, Montag bis Freitag, 9 bis 17 Uhr. Telefon abheben, Ticketbestellung annehmen und abwickeln. Das war Robertsons Alltag und zweimal die Woche ging er nach der Arbeit noch zum Training, am Wochenende dann ein Match.
Robertson spielte mit Queen's Park in der vierten schottischen Liga. Amateurfußball. Bei seinem Heimdebüt für die erste Mannschaft gegen Montrose FC schauten 498 Leute zu. Wer sein Ticket telefonisch orderte, hatte wohl Robertson an der Leitung. Er hoffte unterdessen auf Scouts unter den wenigen hundert Zuschauern. Scouts, die ihn in den professionellen Fußball transferieren. Zwölf Monate hatte Robertson, um sich diesen Traum zu erfüllen. So war er es mit den Eltern ausgemacht, wie er dem LiverpoolEcho später erzählte. Ansonsten sollte es eine Ausbildung zum Turnlehrer werden.
Der erste Anlauf zur Traumerfüllung war da schon längst geplatzt. 15 war Robertson, als er die Jugendabteilung von Celtic verlassen musste. Zu klein, zu schmächtig, hieß es. "Es war hart, weil ich seit meiner Geburt Celtic-Fan bin", sagte Robertson, "aber das half mir, ein Mann zu werden." Er ging zu Queen's Park, kämpfte sich über die Jugendabteilung in die erste Mannschaft und hatte dort dann eben ein Jahr, um sich für einen Profiklub zu empfehlen.
gettyRobertson, der Profifußballer
"Die Saison lief gut und im Januar oder Februar wusste ich, dass es Interesse an mir gibt", erinnerte sich Robertson. Am Ende der Saison kaufte ihn der schottische Erstligist Dundee United. Profifußball! Robertson überzeugte auch drei Ligen höher, debütierte in der schottischen Nationalmannschaft, wurde zum besten jungen Spieler der Saison gewählt und wechselte für 3,6 Millionen Euro in die Premier League zu Hull City. Dort stieg er ab, auf und wieder ab und dann wollte ihn Liverpool.
"Ein Angebot von Liverpool ist ein No-Brainer, darüber braucht man nicht nachdenken", sagte Robertson damals. Trainer Jürgen Klopp habe ihn nach seiner Geschichte gefragt, erzählte Robertson nach dem Transfer für neun Millionen Euro. "Und ihm gefiel meine Reise von den Niederungen des schottischen Fußballs hierher."
In Liverpool angekommen wurde Robertsons Reise aber beschwerlicher, unwirtlicher. An den ersten 14 Spieltagen dieser Premier-League-Saison stand Robertson nur viermal im Kader und lediglich 180 Minuten auf dem Platz. Links in der Viererkette spielte stets Alberto Moreno, doch Anfang Dezember verletzte sich der Spanier am Knöchel. Auf einmal war Robertson gefragt, er stand gegen Brighton & Hove Albion in der Startelf. Und dann wieder und wieder und wieder.
Robertson, der Vampirblutsauger
Im Januar gegen Manchester City lief Robertson dann los und eroberte die Herzen der Fans. Bald darauf feierte er beim 5:0-Sieg gegen den FC Porto sein Champions-League-Debüt. "Er war sehr gut, offensiv und defensiv", sagte Klopp danach. "Ich finde, es war sein bisher bestes Spiel." Diese Aussage hielt aber nur zehn Tage, dann brillierte Robertson gegen West Ham United.
Defensiv stabil und offensiv kombinationsfreudig präsentierte er sich. Sadio Manes Tor zum 4:1 bereitete er mit einer perfekten Hereingabe vor. "Seine Flanken würden sogar Vampiren das Blut aussaugen", sagte BBC-Experte Garth Crooks danach. Robertson wurde zum Spieler des Spiels gewählt. "Er macht das sehr, sehr gut", hieß es dann noch über Robertson - und zwar aus dem Mund von Alberto Moreno. Er ist längst wieder fit, doch sitzt er nur auf der Bank.
Robertson machte sich über die vergangenen Wochen nicht nur sportlich unverzichtbar, sondern auch als Typ. Die Fans lieben "seine raue Leidenschaft und totale Hingabe", schrieb der Liverpool Echo. Nichts zeigt das besser als dieser Lauf von 14, vielleicht 15 Sekunden gegen Manchester City.