Im Sommer ist es fünf Jahre her, dass Manchester United mit der Europa League 2017 zuletzt einen Titel gewann. Gar neun Spielzeiten werden bald in der Premier League vergangen sein, seit sie das bislang letzte Mal von den Red Devils gewonnen wurde. Diese Fakten führen zusammen mit der negativen sportlichen Entwicklung gerade auch in dieser Saison dazu, dass ManUnited eine große Zensur bevorsteht, die vor keinem im Klub Halt machen wird.
Während dabei die Zukunft von zahlreichen Spielern im Kader ungewiss ist, dürfte einer seinen Platz relativ sicher haben: Harry Maguire, der 2019 mit einer Ablösesumme von 87 Millionen Euro zum zweitteuersten Neuzugang der Vereinsgeschichte und auf Anhieb Kapitän des Teams wurde. Ginge es jedoch nach der gefühlten Mehrheit der United-Anhänger, müsste Maguire als Erster den Verein verlassen.
Niemand im gesamten englischen Fußball ist derart Prügelknabe wie der Innenverteidiger. Die sozialen Medien sind voll mit sogenannten Memes, also selbst erstellten Beiträgen mit humoristischem Anstrich. Und, so hat es zumindest den Anschein, mit jedem weiteren Maguire-Auftritt kommen neue dazu.
Dass sich Maguire, nachdem er nach seinem Wechsel von Leicester City einen guten Start in Manchester erwischt hatte, auf dem absteigenden Ast befindet, ist so unbestritten wie die sportliche Sinnkrise der Red Devils. Die Kritik, die der 29-Jährige mit Vertrag bis 2025 jedoch einstecken muss, ist sehr derbe.
Manchester United: Harry Maguire wehrt sich gegen Kritik
"Er ist einfach scheiße", sagte beispielsweise Rafael van der Vaart in seiner Funktion als TV-Experte für den niederländischen Sportsender Ziggo Sport. "Wo haben sie nach ihm gesucht? Man findet Spieler wie ihn bei jedem Amateurklub in Holland." Nach der 0:4-Klatsche gegen Liverpool am Dienstag äußerte sich mit Roy Keane eine Klub-Legende ebenfalls unmissverständlich: "Sein Passspiel und seine Abwehrleistung waren inakzeptabel, nicht gut genug für Manchester United."
Beim Länderspiel Englands gegen die Elfenbeinküste Ende März im Wembley-Stadion artete das Einhauen auf Maguire weiter aus. Der Abwehrmann wurde vom eigenen Publikum ausgebuht, nach Spielende suchten seine Mitspieler und Trainer Gareth Southgate die Konfrontation mit den Zuschauern und kritisierten das Verhalten vehement.
"Ich würde nicht jedes Spiel für United in der Startelf stehen, wenn ich jedes Spiel schlecht oder nicht gut genug spielen würde. Es gibt einen Grund, warum mich beide Trainer in jedem Spiel in die Startelf gestellt haben", ging Maguire zuletzt in die Offensive.
Ralf Rangnick, nach Ole Gunnar Solskjaer Maguires zweiter Coach in Manchester, begründete dessen Leistungen im Februar auch damit, dass sich der 42-malige Nationalspieler noch mehr an die neue Rolle in einer Viererkette gewöhnen muss. Von Maguire wird nun verlangt, proaktiv und nach vorne zu verteidigen. "Das ist etwas Neues für ihn und es wird einige Zeit dauern, bis er sich darauf eingestellt hat. Er ist auch ein Spieler, der sich weiterentwickeln und besser werden muss, wie alle anderen Spieler auch. Er ist aber unser Kapitän und ich sehe keinen Grund, das zu ändern", sagte Rangnick.
Harry Maguire bei Manchester United: Ein Blick auf die Daten
Dass Maguire in der laufenden seine schwächste Saison für ein mannschaftlich schwaches United spielt, redet auch er nicht schön: "Ja, natürlich würde ich sagen, dass ich in dieser Saison ein paar schlechte Spiele gemacht habe", sagte Maguire. Doch wie sehr ist der Aufschrei bei seinen Leistungen überhaupt inhaltlich gerechtfertigt?
Ein Blick auf seine Leistungsdaten in der aktuellen Spielzeit macht klar: Wenngleich die Form und das Ausmaß der Kritik freilich weit überzogen sind, ist Maguire tatsächlich in vielen Kernkompetenzen auf seiner Position allenfalls Mittelmaß.
Unter allen 74 Verteidigern der Premier League, die mindestens 1500 Minuten auf dem Platz standen, beging Maguire in seinen 28 absolvierten Ligaspielen (27 davon in der Startelf) beispielsweise drei Fehler, die zu gegnerischen Torschüssen oder Toren führten - nur vier Spieler rangieren dort mit je vier Fehlern vor ihm. Mit 4,6 gewonnenen Zweikämpfen pro Spiel landet Maguire auf Rang 43 im hinteren Mittelfeld. Dieselbe Platzierung nimmt er in der Kategorie Balleroberungen ein (5,3 pro 90 Minuten).
Harry Maguire: In diesen Bereichen schneidet er schlecht ab
Vergleicht man Maguires Werte mit allen 377 Verteidigern mit mindestens 1500 Einsatzminuten in den Top-5-Ligen Europas, schneidet er besonders in drei Bereichen schlecht ab: Mit sieben Zweikämpfen pro Spiel kommt er nur auf Platz 273, bei den abgefangenen Bällen (1,1) und den Balleroberungen im Defensivdrittel (3,0) stehen die Ränge 245 und 249 zu Buche.
Die Top 100 knackt er dagegen lediglich bei den gewonnenen Luftzweikämpfen (Platz 58 mit 2,7), den Ballverlusten (Platz 93 mit 8,7), der Zweikampfquote (Platz 27 mit 65,8 Prozent) sowie der Passquote (Platz 91 mit 86,4 Prozent). Premier-League-intern ist es einzig die Zweikampfquote, mit der er in die Top 10 kommt - jedoch belegt er mit seinen durchschnittlich sieben geführten Zweikämpfen pro Spiel nur Platz 48 im 74-Mann-Ranking.
Weitere Pluspunkte im PL-Vergleich sammelt Maguire mit der erwähnten Passquote sowie seinen Pässen pro 90 Minuten (55). Auch bei der Anzahl an Luftzweikämpfen und den davon erfolgreich bestrittenen ist Maguire im vorderen Mittelfeld zu finden (Platz 24 und 17).
Harry Maguire: Teaminterne Kritik bei Manchester United?
Dass Maguire mit diesen Statistiken sowie seinem zuletzt oft mangelhaften Stellungsspiel und Tempo selbst innerhalb des United-Kaders auf Gegenwind stößt, berichtete die britische Zeitung Times Anfang März. Teile der Mannschaft sollen demnach Bedenken geäußert haben, da die Leistungen des Kapitäns "nicht den Standards des Vereins" entsprächen.
"Es muss einen Wiederaufbau für die Zukunft geben", sagte Rangnick nach der Blamage gegen den Rivalen aus Liverpool. "Wenn man weiß, welchen Fußball man spielen und welche Profile man für die einzelnen Positionen haben will, dann geht es darum, die Spieler zu finden und sie zu überzeugen, mitzukommen."
Maguire wird dem Umbruch nicht zum Opfer fallen. Doch er wird sich steigern und an den starken Maguire aus Leicester oder der frühen Phase bei United anknüpfen müssen, wenn er beim neuen Trainer Erik ten Hag und dessen Rangnick-ähnlicher Spielidee weiterhin so häufig auflaufen möchte wie derzeit. Vielleicht entkommt er dann auch der Meme-Flut im Internet.
Manchester United: Harry Maguire seine Leistungsdaten in der Saison 2021/22
Kategorie | Wert | Premier-League-Vergleich |
Zweikämpfe | 7,0 | 48. von 74 |
Zweikampfquote | 65,8 Prozent | 9. von 74 |
Gewonnene Zweikämpfe | 4,6 | 43. von 74 |
Ballaktionen | 67 | 39. von 74 |
Ballverluste | 8,7 | 16. von 74 |
Passquote | 86,4 Prozent | 18. von 74 |
Fehlpässe | 7,5 | 19. von 74 |
Balleroberungen | 5,3 | 43. von 74 |
Abgefangene Bälle | 1,1 | 44. von 74 |