Wenn Karl-Heinz Rummenigge ins Reden kommt, dann wird es gerne lateinisch oder französisch und manchmal auch romantisch wie Anfang Februar 2020. Es galt, eine Winter-Transferphase ohne Neuzugang Revue passieren zu lassen.
"Das Einzige, was Hasan gerne bewerkstelligt hätte, wäre dieser Spieler von Chelsea gewesen, weil er sich von der Qualität her fast schon in diesen Spieler verliebt hat", sagte Rummenigge also. Dieser Spieler von Chelsea war Callum Hudson-Odoi. Wie man heute weiß: das womöglich längste Transferziel der Klub-Geschichte.
Sportvorstand Hasan Salihamidzic relativierte Rummenigges Aussage zwar, indem er versicherte: "Die einzige, in die ich verliebt bin, ist meine Frau." Aber er sei schon auch "sehr, sehr überzeugt von den Qualitäten, die dieser Spieler mitbringt. Er hat eine Finesse, die wir brauchen, um guten, erfolgreichen und teilweise eben auch spektakulären Fußball zu spielen."
Von seiner damaligen Frau Esther Copado trennte sich Salihamidzic diesen Frühling, der quirlige Flügelstürmer Hudson-Odoi aber soll immer noch in seinem Fokus stehen. Nachdem ein Transfer im Januar 2019 gescheitert war, probierte es Salihamidzic im Oktober 2020 erneut. Kürzlich berichtete die tz, dass Hudson-Odoi bis heute auf der Liste des FC Bayern stünde, obwohl er immer noch auf seinen großen Durchbruch wartet.
FC Bayern wollte Callum Hudson-Odoi mehrmals verpflichten
Als Salihamidzic im Herbst 2018 auf Hudson-Odoi aufmerksam wurde, hatte der damals 18-Jährige gerade seine ersten Pflichtspiele hinter sich. Langfristig größere Einsatzchancen sah er aber beim FC Bayern, wo die Verträge der alternden Arjen Robben und Franck Ribery ausliefen und eine Flügel-Neuausrichtung bevorstand. Hudson-Odoi schlug Chelseas Angebot für eine Vertragsverlängerung aus und drängte auf einen Wechsel nach München.
Die vom FC Bayern angeblich gebotenen 40 Millionen Euro reichten Chelsea aber nicht, also musste er bleiben. In der Rückrunde kam Hudson-Odoi regelmäßig zum Einsatz, ehe er sich die Achillessehne riss. Die Sommer-Vorbereitung verpasste er, verlängerte unterdessen aber doch noch seinen Vertrag bis 2024.
Überzeugt von einer Zukunft bei Chelsea hatte ihn Trainer Frank Lampard. "Ich glaube, dass er ein echter Weltklasse-Spieler wird", schmeichelte ihm die Klubikone. Mit einem angeblichen Wochengehalt von rund 167.000 Euro stieg das Eigengewächs ohne viele Einsätze zum Spitzenverdiener auf. Nach seiner Genesung kam er meist nur von der Bank, zwischenzeitlich fiel er erneut wochenlang verletzt aus.
Als der FC Bayern im darauffolgenden Herbst 2020 panisch nach Verstärkungen suchte, rückte Hudson-Odoi wieder in den Fokus. Erneut verweigerten die Münchner Chelseas Konditionen: Für eine Leihe forderte Chelsea der Bild zufolge nun Strafzahlungen bei zu wenigen Einsätzen sowie eine Kaufverpflichtung in Höhe von 77 Millionen Euro ab einer gewissen Anzahl von Spielen.
Callum Hudson-Odoi: Champions-League-Sieger auf der Bank
Auch in der Saison 2020/21 pendelte Hudson-Odoi zwischen Startelf, Bank und Reha-Zentrum. Bei den entscheidenden K.o.-Spielen auf dem Weg zum Champions-League-Titel kam er nicht zum Einsatz. Der neue Trainer Thomas Tuchel lobte Hudson-Odoi zwar wiederholt für sein Talent, wunderte sich aber gleichzeitig über sein unausgeschöpftes Potenzial.
"Jungs mit so viel Qualität wie er hören manchmal ein bisschen zu oft, wie gut sie sind. Aber man muss es auch beweisen", sagte Tuchel. Bei einem Spiel gegen den FC Southampton wechselte Tuchel Hudson-Odoi zur Halbzeit ein - und eine halbe Stunde später wieder aus. "Einstellung, Energie und Gegenpressing" hätten ihm missfallen.
Immer wieder musste Hudson-Odoi die ungeliebte Rolle als rechter Schienenspieler in Tuchels 3-4-2-1-System ausfüllen, viel lieber kommt der Rechtsfuß auf dem linken Flügel oder als einer der beiden Zehner zum Einsatz. In die englische Nationalmannschaft wurde er seit Herbst 2019 nicht mehr berufen.
Thomas Tuchel fordert: "250 Spiele auf höchstem Niveau"
Immer drängender stellt sich die Frage: Wann kommt er denn endlich, der große Durchbruch? "Der Einzige, der das beantworten kann, ist Callum", sagte Tuchel vergangenen Herbst bei der Pressekonferenz vor einem Spiel gegen Schlusslicht Norwich City, bei dem Hudson-Odoi ein Startelf-Platz in Aussicht stand. "Ob das der Wendepunkt wird? Er muss es beweisen. Er muss die nächsten 250 Spiele auf höchstem Niveau spielen, dann war es der Wendepunkt. Aber ist es ein Wendepunkt, wenn er morgen ein herausragendes Spiel macht? Nein."
Tatsächlich schoss er gegen Norwich ein Tor und stand auch in den darauffolgenden Spielen meist in der Startelf. Trotz ordentlicher Leistungen ließ seine Effektivität aber weiterhin zu wünschen übrig. Bis heute gelangen Hudson-Odoi in 72 Premier-League-Spielen nur vier Tore und zwölf Assists.
Seit Anfang März kam kein Scorerpunkt dazu, weil er wegen verschiedener gesundheitlicher Probleme weite Teile der Rückrunde verpasste. Wieder schmerzte die Achillessehne, außerdem hatte er unter den Folgen einer Corona-Infektion zu leiden und dann war da noch diese "komische Geschichte", wie Hudson-Odoi neulich in einem Interview mit der klubeigenen Website erzählte: "Ich habe mir im Rücken einen Nerv eingezwickt. Das hat auf meinen ganzen Körper ausgestrahlt. Ich hatte in meinen Beinen keine wirkliche Kraft. Ich konnte den Ball nicht einmal zehn Meter passen."
Callum Hudson-Odoi: Leistungsdaten in der Premier League
Saison | Spiele | Minuten | Tore | Assists |
2017/18 | 1 | 27 | - | - |
2018/19 | 10 | 391 | - | 1 |
2019/20 | 22 | 851 | 1 | 5 |
2020/21 | 23 | 1054 | 2 | 3 |
2021/22 | 15 | 966 | 1 | 3 |
Newcastle United hat wohl Interesse an Hudson-Odoi
Um schnellstmöglich fit zu werden, machte Hudson-Odoi diesen Sommer nur eine Woche Urlaub. Die restliche Zeit schuftete er am Trainingsgelände in Cobham. "Meine Achillessehne und mein Rücken sind wieder stark, alles ist perfekt", sagt Hudson-Odoi. "Ich habe mehr Muskelmasse aufgebaut, um breiter zu werden. Wenn mich Gegner attackieren, bin ich stark genug, um sie abzublocken."
Für wen der mittlerweile 21-Jährige in der kommenden Saison Gegner abblocken wird, ist unterdessen noch offen. Mit Raheem Sterling von Manchester City steht Chelsea kurz vor der Verpflichtung eines weiteren Offensivspielers, der den Konkurrenzkampf verschärfen wird. Auch Timo Werner, Christian Pulisic, Hakim Ziyech, Mason Mount und Kai Havertz kämpfen im Offensivbereich um Spielanteile.
Angeblich buhlen einige Premier-League-Klubs um Hudson-Odoi, allen voran das neureiche Newcastle United. Der FC Bayern hat zwar aktuell keinen Bedarf an einem neuen Flügelstürmer, das könnte sich bei einem möglichen Abgang von Serge Gnabry aber ändern.
"Wir haben in der Vergangenheit schon oft Transfers gehabt, die im ersten Schritt nicht geklappt haben, dann aber im zweiten", sagte Rummenigge bei seiner Romantik-Rede vor dreieinhalb Jahren. Zum Beispiel: Sadio Mane, der acht Jahre nach der ersten Annäherung am Ende des Tages doch noch nach München wechselte.