"Er war überragend!", lobte Trainer Jesse Marsch seinen Mittelfeldstrategen Marc Roca nach dem 3:0-Sieg gegen den FC Chelsea am 3. Spieltag der Premier League. Der Neuzugang vom FC Bayern München startet bei Leeds United voll durch. In den bisherigen sechs Spielen bis zur Unterbrechung der Premier League nach dem Tod von Königin Elisabeth II. stand der Spanier in der Startelf und war dabei ein wichtiger Leistungsträger der Whites.
Marsch weiter: "Durch seine Aggressivität konnte er die vor ihm liegende Offensive immer wieder retten und mehrere gefährliche Konter vereiteln." Sprach Marsch da wirklich von demselben Marc Roca, der beim FC Bayern München oft nur auf der Bank saß und vor allem für seine defensive Anfälligkeit kritisiert wurde?
Mit einem großen Erbe war Marc Roca im Sommer 2020 von Espanyol Barcelona zum deutschen Rekordmeister gewechselt. Spielmacher Thiago Alcantara war damals vom FCB zum FC Liverpool gegangen und es sollte ein Nachfolger kommen. Den Startelf-Platz füllte zwar Leon Goretzka aus, doch der deutsche Nationalspieler ist ein ganz anderer Spielertyp als der gewechselte Thiago.
Nachdem sich Wechsel von Thomas Lemar (Atlético Madrid) oder Marcelo Brozovic (Inter Mailand) zerschlugen, verpflichtete man am jetzt schon legendären Deadline Day 2020 das Talent Marc Roca. Doch das befeuerte nur die Vergleiche mit Thiago. Beide sind nicht nur Spanier, sondern ähneln sich auch im Spielertyp sehr.
Marc Roca beim FC Bayern: Er passte nicht zu Kimmich
Marc Roca ist ein Spieler, der sich mit dem Begriff "Spielmacher-Sechser" wohl am besten beschreiben lässt. Er hat seine Stärken nicht in der Defensive, um hinter einem anderen Spieler aufzuräumen. Gleichzeitig ist er aber auch nicht besonders schnell wie beispielsweise Goretzka, um immer wieder die Tiefe aus dem Mittelfeld heraus zu attackieren. Roca ist ein Spielgestalter.
Im eigenen Ballbesitz hat er ein gutes Raumgefühl, ist eigentlich immer anspielbar und besitzt dann eine gute Ballsicherheit. Mit starken Pässen in die Tiefe oder auf die Flügel kann er Angriffe einleiten. Er weiß aber auch, wann er lieber den Fuß vom Gas nimmt und das Spiel beruhigen muss. Eine derartige Spielkontrolle in einem Spieler ging den Bayern in Thiago verloren - Roca war also ein logischer Ersatz.
Doch die Wahrheit ist, dass auch Thiago schon nicht perfekt mit Platzhirsch Joshua Kimmich harmonierte. Nach dessen Umstellung ins defensive Mittelfeld gab es auf Seiten des heutigen Liverpool-Stars enorme Anpassungsprobleme. Immer wieder wollten sich beide Spieler in denselben Räumen aufhalten, dadurch ging die Balance im Mittelfeld verloren. Zuvor spielte Thiago mit Arbeitern wie Xabi Alonso, Javi Martinez oder eben Goretzka an seiner Seite, die ihm die Spielgestaltung überließen. Dasselbe Schicksal ereilte dann auch den designierten Nachfolger.
Marc Roca: Leistungsdaten nach Verein
Verein | Spiele | Tore | Vorlagen |
Espanyol Barcelona (2016 - 2020) | 121 | 3 | 6 |
FC Bayern München (2020 - 2022) | 24 | 0 | 0 |
Leeds United (seit 2022) | 7 | 1 | 0 |
Marc Roca: Vom Bankwärmer zum Leeds-Spielmacher
Da Roca qualitativ nicht an Thiago heranreichte, sondern als Talent kam und noch aufgebaut werden musste, wurde eine Kombination nicht zwingend möglich gemacht. Roca saß auf der Bank - und war eher ein Kimmich-Backup als ein Komplementärspieler. Bei 24 Einsätzen kam er nur auf 974 Pflichtspielminuten (rund elf volle Partien).
Im Sommer 2022 folgte dann der Wechsel zu Leeds United, wo er den zu Manchester City gewechselten Kalvin Philipps ersetzen sollte. An seine Seite bekam er einen weiteren Neuzugang: Tyler Adams. Der ehemalige Leipziger ist ein Arbeiter, ein Kämpfer und vor allem eins: kein Spielmacher. Die beiden Kollegen ergänzen sich hervorragend.
Roca und Adams spielten alle sechs Premier League-Spiele als Doppel-Sechs, wobei Adams' Spielertyp eigentlich eher dem eines Achters entspricht. Anstatt ein Zuarbeiter für Kimmich zu sein, ist Roca nun die Schaltzentrale des Leeds-Offensivspiels. Immer wieder spielt er aus der Tiefe Bälle nach vorne.
Marc Roca als Profiteur von Jesse Marschs Fußball
Einen weiteren großen Anteil am derzeitigen Erfolg des Spaniers hat auch Jesse Marsch. Der ehemalige Leipziger etablierte nach der etwas wilderen Zeit unter Marcelo Bielsa den "RB-Fußball" bei Leeds United. Das bedeutet: Hohes Gegenpressing, Nach-Vorne-Verteidigen und schnelles Umschalten. Diese Art zu verteidigen kommt Rocas Qualitäten sehr entgegen.
Denn während er beim FC Bayern Probleme dabei hatte, andribbelnde Spieler zu tacklen und Duelle so für sich zu entscheiden, darf er unter Marsch nun aktiv nach vorne draufgehen. Dort ist sein Zweikampfverhalten deutlich besser, Roca gewinnt rund zwei Drittel seiner Duelle und macht damit eine seiner Schwachstellen zu einer Stärke.
Als Ballmagnet in Umschaltmomenten ist er für den Marsch-Stil ebenfalls perfekt geeignet. Er schickt die Flügelstürmer hinter die Kette oder verlagert den Angriff. Seine 7,2 progressiven Pässe (Pässe, die über neun Meter zum gegnerischen Tor gehen) pro 90 Spielminuten sind ein absoluter Topwert - damit ist er bei den besten ein Prozent der Mittelfeldspieler in den Top-5-Ligen. Auch die dabei erzielte progressive Distanz von rund 316 Metern pro Spiel ist Spitzenklasse, denn damit gehört er zu den besten vier Prozent derselben Gruppe.
Roca bei Leeds: Richtiger Ort, richtige Zeit
Die zwei Saisons von Marc Roca beim FC Bayern waren einfach geprägt von einer einfachen Formel: zur falschen Zeit am falschen Ort. Sowohl in seiner Karriere als auch im Entwicklungsstand der Münchner. Das genaue Gegenteil ist jetzt bei Leeds United der Fall.
Er kommt in einen Kader, der ihn braucht und den er perfekt ergänzt. Gleichzeitig hat er einen Trainer, der auf ihn setzt, ihn fördert und seine Schwächen zu Stärken macht.
Für die Whites als Team läuft es nach einem guten Saisonstart etwas schlechter. Aus den vergangenen drei Partien konnte man nur einen Punkt ergattern. Doch Rocas Formkurve zeigt steil nach oben. Roca ist schon nach sechs Spielen ein wichtiger Faktor in Leeds Uniteds Spiel geworden. Bei den Bayern wurde er möglicherweise einfach nur falsch eingesetzt.