An Entschlossenheit mangelt es Jack Grealish fürwahr nicht. Das stellte er am Dienstag beim Achtelfinal-Hinspiel von Manchester City in der Champions League beim FC Kopenhagen erneut unter Beweis. Pep Guardiola gab dem 28-Jährigen seinen ersten Startelfeinsatz seit fünf Wochen und Grealish ergriff die Gelegenheit mit beiden Händen, war ein wichtiger Faktor dafür, dass City in der Anfangsphase deutlich überlegen agierte.
Kevin De Bruyne erzielte mit einem coolen Abschluss die Führung, bevor Bernardo Silva fast ein Eigentor erzwang, während City die Gastgeber in den ersten 20 Minuten unter Dauerdruck setzte. Doch dann nahm das Unheil für Grealish seinen Lauf. Er ging nach einem Foulspiel von Diogo Goncalves zu Boden und an seinem besorgten Gesichtsausdruck war sofort zu erkennen, dass es etwas Ernsteres ist.
Der englische Nationalspieler schlug aus Frust auf den Rasen, spielte aber trotz der offensichtlichen Proteste Guardiolas zunächst tapfer weiter. Grealish hielt jedoch lediglich knapp zwei Minuten durch, ehe die Schmerzen unerträglich wurden und er sich mit einem vorzeitigen Ende seines Abends abfand. Jérémy Doku kam für ihn ins Spiel.
City feierte später einen komfortablen 3:1-Hinspielsieg und hat damit vor dem Achtelfinal-Rückspiel alle Trümpfe in der Hand. Guardiola bestätigte derweil bei der Pressekonferenz nach der Partie, dass sich Grealish eine Muskelverletzung zugezogen hatte. "Es ist schade, dass Jack sich verletzt hat, aber es ist, wie es ist. Es hat ihn sehr mitgenommen", erklärte der City-Coach.
Verzweifelt wäre wohl die passendere Beschreibung für Grealishs Gemütszustand gewesen als einfach nur mitgenommen. Denn er wusste, um wie viel es in diesem Spiel auch für ihn persönlich ging. Und da er nun am Anfang der Saison-Crunchtime vorerst nicht mehr ganz so präsent in Guardiolas Gedanken sein dürfte, könnte Grealish beginnen, darüber nachzudenken, in welche Richtung sich seine Karriere aktuell entwickelt.
Manchester City und Jack Grealish: Kein wirklich gutes Match
Grealish stand vor dem Spiel in Kopenhagen letztmals Anfang Januar beim 5:0-Sieg in der dritten Runde des FA-Cups gegen Huddersfield in Citys Startelf. In den fünf Spielen danach kam er nur 17 Minuten lang zum Einsatz, da Guardiola Phil Foden und Doku auf seiner bevorzugten Position einsetzte.
Nachdem er beim Triple-Erfolg von City in der vergangenen Saison eine so wichtige Rolle gespielt und die wilden Feierlichkeiten angeführt hatte, war Grealish zuletzt meist außen vor. Es sieht sicherlich nicht gut aus, einen 117,5 Millionen Euro teuren Star Woche für Woche auf der Bank sitzen zu lassen - doch Guardiola macht deutlich, dass Grealishs Schicksal einzig und allein in dessen eigenen Händen liegt.
"Diese Saison war bisher nicht wie die letzte", sagte der Spanier auf die Frage, warum Grealish nun weniger spielt. "Aber er wird immer besser. Er macht die nötigen Schritte, um sein bestes Niveau zu erreichen und konkurriert jetzt mit Spielern auf hohem Niveau. Das ist der einzige Grund dafür. Er muss sich selbst fordern, um wieder dorthin zu kommen, wo er war, vor allem letzte Saison und die ganze Zeit bei Aston Villa. Ich freue mich schon darauf, ihm Minuten zu geben. Es ist kein großes Problem, ganz im Gegenteil. Wir brauchen ihn."
Das eigentliche Problem für Grealish ist jedoch die Tatsache, dass er in Guardiolas Team nicht mehr derselbe Spieler sein kann, der er bei Villa war. Grealish musste seine wilde Kreativität zügeln, um sich in die gut geölte City-Maschinerie einzufügen. Er wird nicht ermutigt, im Eins-gegen-Eins auf die Verteidiger zuzulaufen, und hat keinen hinterlaufenden Außenverteidiger an seiner Seite, mit dem er kombinieren kann.
Grealishs Hauptaufgabe bei City ist es stattdessen, den Ball stets in Bewegung zu halten. Und obwohl er auch darin natürlich sehr gut ist, geht der Rest seines beachtlichen Talents verloren.
Jack Grealishs schwierige Saison: Verletzung, Krankheit und persönliche Krise
Sicherlich spielt bei Grealishs offensichtlicher Leistungsdelle in dieser Saison auch Pech eine Rolle. Ende August erlitt er bei einem Zusammenprall mit Ollie McBurnie von Sheffield United die "schlimmste Verletzung, die ich je hatte", wie er es selbst formulierte.
Er verpasste sechs Spiele für Klub und Nationalmannschaft - und später, Ende November, wurde er vor Citys enorm wichtigem Heimspiel gegen Liverpool krank.
In der ersten Hälfte der Saison konnte er so keinen Rhythmus finden und über die Feiertage hatte er zudem mit einer schrecklichen persönlichen Krise zu kämpfen. Ende Dezember, beim 3:1-Sieg von City bei Everton, hatte Grealish einen seiner wenigen Einsätze über die vollen 90 Minuten in dieser Spielzeit.
Hinterher erfuhr er, dass Diebe in sein Haus in Cheshire eingebrochen waren, während er im Goodison Park spielte. Einige seiner Familienmitglieder, darunter auch seine Verlobte Sasha Atwood, waren im Haus, als die Einbrecher laut The Times Uhren und Schmuck im Wert von einer Million Pfund erbeuteten.
Die "traumatische Erfahrung" ließ Grealish und seine Familie "am Boden zerstört" zurück, wie der City-Star betonte. Und er gab auch zu, dass "das beste Jahr meines Lebens im Fußball sich jetzt nicht wie etwas anfühlt, das ich feiern kann".
Grealish bewies unglaubliche mentale Stärke, als er drei Tage später im Heimspiel von City gegen Sheffield United auflief. Verständlicherweise zeigte er aber nicht sein übliches Gesicht und wurde zu Beginn der zweiten Halbzeit ausgewechselt.
Schlecht für Grealish: Doku lieferte sofort
Grealishs Fitnessprobleme zu Beginn der Saison fielen mit der Ankunft von Doku im Etihad Stadium zusammen. Und der Belgier rechtfertigte schnell die Investition Citys in Höhe von 69 Millionen Euro.
Doku ist vielleicht der schnellste Spieler in Europa über die ersten fünf Meter und verfügt über eine beeindruckende Physis, die es ihm ermöglicht, mit Leichtigkeit an den Verteidigern vorbeizukommen. Er verleiht City eine neue Dimension in der Vorwärtsbewegung, einen X-Faktor, den Grealish in dieser Form schlichtweg nicht bieten kann. Der Unterschied zwischen ihm und Doku wurde am deutlichsten beim 2:1-Heimsieg von Guardiolas Mannschaft gegen Brighton im Oktober.
Bereits nach sieben Minuten legte Doku in beeindruckender Art und Weise das Führungstor durch Julian Alvarez auf. Er ließ seinen Gegenspieler mit einem cleveren Dribbling aussteigen, hob den Kopf und spielte einen perfekt getimten Pass auf Alvarez. In der Folgezeit setzte Doku Brightons Hintermannschaft immer wieder unter Druck und hatte selbst zwei gute Torchancen. Wenn er am Ball war, lag stets dieses Gefühl in der Luft, dass gleich Torgefahr entstehen könnte.
In der 75. Minute wechselte Guardiola schließlich Grealish für Doku ein, um die Kontrolle über das Spiel wiederzuerlangen, in dem Brighton mittlerweile wie die gefährlichere Mannschaft wirkte. Während Doku bei jeder Gelegenheit versucht hatte, seinen Gegenspieler stehen zu lassen, trug Grealish den Ball in gemächlichem Tempo die Linie hinunter, bevor er abdrehte und den Ball zu einem Mitspieler zurückspielte.
Doku ist eine explosive, unberechenbare Waffe für City, während Grealish nur einer von vielen kühlen Köpfen im Kader ist, der mit seinen technischen Qualitäten versucht, die Dinge am Laufen zu halten und Guardiola zu gefallen. Es steht außer Frage, welcher Spieler die Fans mehr begeistert und wer dem Gegner mehr Angst einjagt, wenn sein Name über die Lautsprecheranlage verlesen wird.
Jack Grealish: Ist sein Platz in Englands EM-Kader in Gefahr?
Grealish debütierte erst im Alter von 24 Jahren in der A-Nationalmannschaft Englands, nachdem er zunächst Schwierigkeiten hatte, sich in den Kader von Gareth Southgate zu spielen, als er noch bei Villa aktiv war. Seit er 2020 in der Nations League gegen Dänemark sein erstes Länderspiel bestritt, hat Grealish 34 weitere Einsätze absolviert, davon zehn bei großen Turnieren.
Die Three Lions haben keinen anderen Spieler wie Grealish, der mit seinem außergewöhnlichen Blick für Pässe Chancen aus dem Nichts kreieren kann, der in entscheidenden Phasen immer wieder kluge Fouls zieht und dadurch Entlastung schafft. Dennoch konnte er sich bis dato nicht in Southgates bevorzugter Elf etablieren.
Bei der EM 2021 stand Grealish nur einmal in der Startelf und bei der WM 2022 kam er bei all seinen fünf Einsätzen von der Bank. Southgate weiß um die Qualitäten, die Grealish in sein Team einbringen kann, scheint ihm aber in den wichtigsten Spielen nicht zu vertrauen.
Während Grealish für die beste Vereinsmannschaft der Welt vergangene Saison ein wichtiger Faktor war, war es für Southgate noch unmöglich, ihn komplett außen vor zu lassen. Aber wenn er wie aktuell nicht zum Stammpersonal bei City gehört, hat er sicherlich auch keinen garantierten Platz im englischen EM-Kader für den kommenden Sommer.
"Besser wird er nicht mehr, das sollte jetzt seine Zeit sein"
Zumal Grealish mit zwei belanglosen Auftritten gegen Australien und Nordmazedonien am Ende des Jahres 2023 nicht gerade darauf gedrängt hat, dass Southgate ihn in großen Spielen mehr einbindet. Sowohl gegen Australien als auch gegen Nordmazedonien ging er in seinen Aktionen stets auf Nummer sicher, zeigte wenig Durchschlagskraft und Kreativität. Er sah ganz sicher nicht wie der Spieler aus, der sich mit seinem Einfallsreichtum und seinem Mut am Ball bei Villa in die englische Nationalmannschaft gespielt hatte.
City brach seinen Transferrekord, um diese Version von Grealish zu verpflichten - nur, damit Guardiola dann von ihm verlangte, dass er lernt, auf eine völlig andere Art und Weise zu spielen. Infolgedessen scheint Grealish seine Einzigartigkeit verloren zu haben.
Liverpool- und Schottland-Legende Graeme Souness gehört zu denjenigen, die finden, dass Grealish sich nicht mehr weiterentwickelt, wie er im Dezember gegenüber talkSPORT betonte: "Grealish zeigt keinerlei Ambitionen, Verteidiger auszuspielen. Für mich befindet er sich an einem Scheideweg in seiner Zeit bei City. Jack ist 28. Er muss sich selbst unter die Lupe nehmen. Er sollte in seiner Blütezeit sein: Zwischen 26 und 30 hat man die nötige Erfahrung, ist gleichzeitig körperlich und mental stärker. Besser wird er nicht mehr, das sollte jetzt seine Zeit sein. Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich mir große Sorgen machen. Ich würde zum Trainer gehen und ihn fragen: 'Wo sehen Sie mich?'"
City hat Grealish noch bis 2027 unter Vertrag und es gab bisher keine Gerüchte über einen vorzeitigen Verkauf. Aber will er wirklich noch drei Jahre lang auf diesem Weg weitergehen? Ist die Aussicht auf weitere Titel das Einzige, was für Grealish zählt? Oder will er tief in seinem Inneren woanders wieder der Unterschiedsspieler sein, der er einst bei Villa war?
Wie geht es für Jack Grealish weiter?
Kurz nachdem Grealish 2021 zu City wechselte, verriet er, dass er im Jahr zuvor "wirklich kurz davor" gewesen sei, zu Manchester United zu wechseln. Der ehemalige Villa-Star war einer von mehreren Hochkarätern, die United während Ole Gunnar Solskjaers Zeit als Trainer im Old Trafford haben wollte, aber nicht bekam. Und obwohl man sicher sagen kann, dass Grealish auf der roten Seite von Manchester nicht den gleichen Erfolg gehabt hätte wie auf der blauen, hätte er wahrscheinlich mehr Raum gehabt, sich selbst zu entfalten.
Uniteds Fans haben stattdessen frustriert mit ansehen müssen, wie Jadon Sancho und Antony nach teuren Transfers nur sehr selten überzeugten, während Grealish sein gesamtes Spiel umgestellt hat, um bei City reinzupassen.
Er hätte möglicherweise ein Schlüsselproblem Uniteds lösen und einen natürlicheren Schritt nach vorne auf individueller Ebene machen können. Einen Schritt, der besser zu dem Grealish gepasst hätte, den der englische Fußball bei Villa lieben gelernt hatte.
Angesichts der erbitterten Rivalität zwischen City und United ist diese Tür nun sicherlich für immer geschlossen. Aber es gäbe keinen Mangel an potenziellen Interessenten für Grealish, wenn er sich nach neuen Herausforderungen umschauen würde. Die AC Mailand beispielsweise wurde in der Mitte seiner zweiten Saison bei City mit Grealish in Verbindung gebracht - und er könnte sicherlich gut in die Serie A passen.
Grealish braucht ein Umfeld, das ihn dazu ermutigt, seine Individualität zu entfalten. Vor allem, wenn er in der englischen Nationalmannschaft eine wichtige Rolle spielen will. Solange Guardiola bei City das Sagen hat, wird Grealish hinsichtlich der Entfaltung seines individuellen Könnens aber immer auf gewisse Weise limitiert bleiben - was sehr schade ist, denn Spieler mit seiner Persönlichkeit und seinen Fähigkeiten gibt es nicht allzu oft.
City wird hoffen, Grealish nach seiner Verletzung so früh wie möglich wieder zur Verfügung zu haben. Schließlich benötigen die Skyblues jeden Mann, um die Titel in Premier League, Champions League und FA Cup zu verteidigen. Und Grealish wird sicherlich um seinen Platz kämpfen, sobald er wieder vollständig fit ist.
Es ist jedoch an der Zeit, dass er seine ganz persönlichen Zukunftswünsche priorisiert. Nun, da er auf die 30 zugeht und die vor ihm liegenden Jahre, in denen er noch auf höchstem Level agieren kann, weniger werden.
Wenn es ihm darum geht, möglichst viele Titel mit seiner Mannschaft zu gewinnen, dann ist er natürlich am richtigen Ort. Aber wenn Grealish immer noch den Ehrgeiz hat, einer der besten Spieler im englischen Fußball zu sein, muss er sich nach anderen Aufgaben umschauen.