Vorwurf der "Spielerwäsche": Chelsea und andere Klubs tricksen mit Transfers

Von Matt O'Connor-Simpson / Falko Blöding
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Eine Reihe merkwürdiger Transfers ging in England vor dem 1. Juli über die Bühne. Der Verdacht der "Spielerwäsche" steht im Raum.

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Nach einem trägen Transferfenster im vergangenen Januar schickt sich dieser Sommer an, sehr geschäftig zu werden. Zum Beispiel ist der Blockbuster-Wechsel von Kylian Mbappé (PSG) zu Real Madrid offiziell. Und natürlich tut sich auch bei den Klubs aus der Premier League etwas. Mehrere Deals sind schon eingetütet und die Gerüchteküche brodelt immer heftiger.

Bemerkenswert ist bei den Aktivitäten im englischen Oberhaus allerdings, dass es im Moment kaum um bekannte Namen geht. Es sind eher Wechsel junger, unbekannter Spieler, die bislang über die Bühne gehen - und die sorgen durchaus für Stirnrunzeln.

Die Protagonisten heißen dabei Aston Villa, Everton und Chelsea. Den Anfang machte Tim Iroegbunam, ein 20-jähriger Mittelfeldspieler, der erst eine Handvoll Einsätze in der ersten Mannschaft Villas vorzuweisen hat und für eine Ablösesumme von umgerechnet 11,5 Millionen Euro von den Toffees geholt wurde. Am darauffolgenden Tag wechselte der junge Everton-Stürmer Lewis Dobbin für fast denselben Preis in die andere Richtung.

Chelsea verkündete kürzlich die Verpflichtung von Teenager Omari Kellyman. Er kommt von Villa und kostet 22,5 Millionen Euro - eine beachtliche Summe für einen Spieler, der erst 148 Minuten in der ersten Mannschaft gespielt hat. Der Traditionsklub aus Birmingham bediente sich dafür bei Chelsea und holte Ex-BVB-Leihspieler Ian Maatsen für 47 Millionen Euro.

Und in dieser Taktung könnte es weitergehen: In der vergangenen Woche wurde Everton mit der Verpflichtung von Yankuba Minteh (Newcastle United) in Verbindung gebracht - und die Magpies wiederum mit Toffees-Stürmer Dominic Calvert-Lewin. Die Gespräche scheiterten jedoch vorerst.

Streng genommen handelte es sich bei den Transfers um getrennte Vorgänge, doch der Zeitpunkt sorgt für Aufsehen. Einige rivalisierende Fans warfen den beteiligten Vereinen vor, die Gewinn- und Nachhaltigkeitsregeln (PSR) der Premier League zu umgehen. In den sozialen Medien wurde der Begriff "Spielerwäsche", in Anlehnung an Geldwäsche, geprägt.

SPOX erklärt, was es mit den Regeln und den aktuellen Vorwürfen auf sich hat.

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Was ist PSR?

Zu Beginn lohnt es sich, ein wenig in die Geschichte einzutauchen. PSR (Profitability and Sustainability Rules) wurde 2013 von den Vereinen der Premier League eingeführt, zwei Jahre nachdem die UEFA das Financial Fair Play aus der Taufe gehoben hatte. Der Antrag wurde nur mit knapper Mehrheit angenommen, da sechs Vereine gegen die Vorschläge stimmten und der FC Reading sich der Stimme enthielt.

Im Grunde besagen die Regeln, dass Klubs innerhalb von drei Jahren keine Verluste von mehr als 105 Millionen Pfund (knapp 125 Millionen Euro) machen dürfen. Ganz so simpel ist es jedoch nicht. Von diesen 35 Millionen Pfund (41 Millionen Euro) Verlust pro Jahr dürfen nur fünf Millionen Pfund (sechs Millionen Euro) Eigenmittel des Vereins sein. Die zusätzlichen 30 Millionen Pfund (35 Millionen Euro) können durch eine sichere Finanzierung aufgestockt werden, entweder eine Eigenkapitaleinlage oder eine unwiderrufliche Verpflichtung zur Zahlung von Anteilen. Darlehen von Eigentümern zählen nicht als "sichere Finanzierung".

Anpassungen werden auch für Vereine vorgenommen, die während des dreijährigen PSR-Abrechnungszeitraums nicht in der Premier League gespielt haben. In diesen Fällen ist der Prozentsatz der Verluste, die durch "sichere Finanzierung" ausgeglichen werden können, geringer.

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Warum haben einige Vereine ein Problem mit PSR?

PSR war schon immer ein umstrittenes Thema, wie nicht zuletzt die hohe Anzahl von Vereinen, die dagegen stimmten, beweist. In den letzten Jahren ist das Instrument zur Finanzkontrolle jedoch zu einem noch heftiger umstrittenen Thema geworden.

Dabei gibt es zwei Seiten der Medaille. Zum einen gibt es das Argument, dass die Finanzkontrolle ehrgeizige (oder besser: neureiche) Vereine bremst. Die meisten Newcastle-Fans würden dieser Ansicht wahrscheinlich zustimmen. Nach der Übernahme durch einen saudischen Staatsfonds im Jahr 2021 wurde der Klub schnell mit allen möglichen teuren Neuverpflichtungen in Verbindung gebracht. Und obwohl in den Spielerkader investiert wurde und die Magpies in der letzten Saison in die Champions League zurückkehrten, waren die Fortschritte weitaus langsamer als einst bei Chelsea und Manchester City, die von wohlhabenden Eigentümern gekauft wurden, als es noch kein PSR gab.

Im Gegensatz dazu wird Newcastle in diesem Sommer wahrscheinlich mindestens einen Schlüsselspieler verkaufen müssen, um die Bücher auszugleichen. Alexander Isak und Bruno Guimarães sind die wahrscheinlichsten Kandidaten. Aston Villa, das ebenfalls viel Geld ausgegeben hat, um die Rückkehr in die europäische Fußballspitze zu schaffen, wird wahrscheinlich dasselbe tun. Douglas Luiz steht unmittelbar vor einem Transfer zu Italiens Rekordmeister Juventus.

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Ärger um Punktabzüge und unglückliche Zeitpunkte

Die andere Seite der Kritik an PSR ergibt sich aus den Strafen, die in der vergangenen Saison gegen Premier-League-Vereine wegen Verstößen gegen die Regeln verhängt wurden. Im November letzten Jahres wurden dem FC Everton für den Zeitraum bis 2022 zunächst zehn Punkte abgezogen, nach einem Einspruch wurde die Strafe jedoch auf sechs Zähler reduziert.

Einige Monate später erhielten die Toffees einen weiteren Abzug von zwei Punkten. Auch Nottingham Forest hielt die PSR-Regeln nicht ein: Den Trees wurden vier Punkte abgezogen, wobei ihre Berufungsversuche erfolglos blieben.

Leicester City befindet sich in einer ähnlich schwierigen Lage. Im März wurde der Ex-Meister und heutige Aufsteiger von der Premier League wegen Verstößen gegen PSR-Regeln angeklagt. Während die Foxes in der vergangenen Saison einen Punktabzug vermieden, der ihre Aufstiegsambitionen hätte zunichte machen können, wird die Angelegenheit noch immer geprüft, wobei Experten davon ausgehen, dass eine Strafe unvermeidlich ist.

Der Zeitpunkt einiger dieser Entscheidungen wurde kritisiert, da die verschiedenen Punktabzüge für unnötige Unsicherheit im Abstiegskampf sorgten. Vor allem an der Härte der Strafe für Everton entzündeten sich Diskussionen. Fans organisierten Protestaktionen und Jamie Carragher, Legende bei Evertons Erzrivale FC Liverpool, meinte: "Der Zehn-Punkte-Abzug für Everton ist übertrieben und nicht richtig, wenn man bedenkt, dass der Verein in den letzten Jahren mit der Premier League zusammen an der Aufklärung gearbeitet hat", schrieb er damals bei Social Media. "Wäre es besser gewesen, auszuweichen und zu versuchen, die Sache in die Länge zu ziehen, wie es andere Vereine tun? Zweifellos haben die Konkurrenten im Abstiegskampf großen Druck auf die Premier League ausgeübt, sich mit Everton zu befassen. Aber wenn man bedenkt, dass sechs Vereine versucht haben, die Premier League zu verlassen [und der Super League beizutreten] und es keinerlei Sanktionen gab, fühlt es sich nicht richtig an."

Man muss kein Genie sein, um herauszufinden, dass die "anderen Vereine", auf die sich Carragher bezog, Manchester City und Chelsea sind. City sieht sich derzeit mit Ermittlungen wegen 115 angeblicher Regelverstöße konfrontiert, während sich die Blues gezwungen sahen, zwei vereinseigene Hotels für knapp 90 Millionen Euro an eine Schwestergesellschaft zu verkaufen, um ihre finanziellen Sorgen nach einer Reihe üppiger Transfers zu lindern. Diese beiden Probleme, die über der gesamten PSR-Debatte schweben, haben es den kleineren Vereinen der Premier League nur noch schwerer gemacht, Verständnis für die Regeln (und die Strafen) aufzubringen.

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Warum ist der Verkauf von Eigengewächsen so lukrativ?

Seitdem es PSR gibt, suchen die Klubs nach Schlupflöchern, um die Vorschriften zu umgehen. Der FC Chelsea hat dies nach der Übernahme durch Clearlake Capital ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, indem er seine Spieler mit erstaunlich langen Verträgen ausstattete. Hintergrund: So schlagen sich die Transfers geringer auf die laufenden Ausgaben nieder.

Dieser Prozess wird als Amortisierung bezeichnet, bei der die Ablösesumme eines Spielers über die Vertragslaufzeit hinweg schrittweise abgeschrieben wird. Obwohl zum Beispiel Mykhaylo Mudryk den Klub stolze 70 Millionen Euro (ohne Boni) gekostet hat, wird dieser Betrag aus buchhalterischen Gründen gleichmäßig über die Dauer seines achteinhalbjährigen Vertrags verteilt.

Eine weitere Möglichkeit für Vereine, die Einhaltung von PSR zu frisieren, ist der Verkauf von Spielern aus dem eigenen Nachwuchs. Diese Abgänge werden in der Buchhaltung als reiner Gewinn verbucht, da die Vereine keine Ablösesumme für ihre Dienste bezahlt haben. Ihr Wert wird auch nicht abgeschrieben.

Wenn Chelsea also in diesem Sommer Nationalspieler und Eigengewächs Conor Gallagher für 60 Millionen Euro verkaufen würde, könnte jeder Cent dieser Ablösesumme dazu verwendet werden, dem Verein zu helfen, die PSR-Vorschriften zu erfüllen. Die Blues haben in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Cobham-Absolventen verkauft. Andere Vereine haben dies ebenfalls in großem Stil praktiziert.

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Die Vorwürfe der "Spielerwäsche"

Dies ist die perfekte Ausgangssituation, um die Beweggründe für die eingangs erwähnten Transfers von Kellyman, Maatsen, Dobbin oder Iroegbunam zu erklären. Direkte Absprachen der Vereine zur Umgehung von PSR sind schwer zu beweisen. Aber es ist unübersehbar, dass diese Deals stets für alle Seiten von Vorteil waren.

Jeder der drei beteiligten Vereine läuft Berichten zufolge Gefahr, PSR für den Zeitraum bis zur Saison 2023/24 zu verletzen. Und das Abrechnungsfenster für diese drei Jahre endet am 1. Juli, was erklärt, warum die Vereine so erpicht darauf waren, jeden Deal vor diesem Zeitpunkt über die Bühne zu bringen.

Auch die Tatsache, dass es sich bei keinem der beiden Tauschgeschäfte um ein offizielles "Tauschgeschäft" handelte, lässt vermuten, dass PSR-Erwägungen im Spiel waren. Hätten Everton und Villa einen reinen Tausch für Iroegbunam und Dobbin vereinbart, wäre in ihren Bilanzen kein Gewinn ausgewiesen. Durch den separaten Kauf der jungen Spieler hat jeder Verein einen beträchtlichen Teil der Einnahmen in seine Bilanzen einfließen lassen und gleichzeitig seine jeweiligen Transferausgaben amortisiert.

Nach Informationen von SPOX war Everton schon seit einigen Jahren an Iroegbunam interessiert, während Villa nicht der einzige Verein war, der Dobbin verpflichten wollte. Als klar wurde, dass beide Klubs zu einem Geschäft bereit waren, erleichterte die Tatsache, dass sie ein gemeinsames Interesse an den Spielern des jeweils anderen hatten, den Abschluss des Doppelgeschäfts.

Es ist immer schwierig zu beurteilen, wie viel ein Spieler wert ist, der sich noch nicht bewiesen hat, da man im Wesentlichen für sein Potenzial bezahlt und nicht für eine nachgewiesene Erfolgsbilanz. Dennoch ist es einigermaßen schwierig, logisch zu argumentieren, wie Chelsea für Kellyman mit seinen sechs Profispielen mehr als 22 Millionen Euro hinblättern konnte.

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Besteht Aussicht auf Besserung?

Die Reaktionen auf jeden dieser Transfers waren ziemlich heftig. Nach Angaben der BBC hat ein nicht genannter Premier-League-Konkurrent die Absicht geäußert, diese Deals bei den Behörden anzuzeigen.

Die gefühlte Fairness ist nicht das einzige Problem, um das es hier geht. Selbst Spieler aus dem eigenen Nachwuchs sind finanziell so lukrativ, dass sie vermehrt als finanzielles Faustpfand benutzt werden. Statt des Durchbruchs beim "eigenen" Verein werden sie früh zu absurden Summen verkauft, damit die Zahlen stimmen.

Wenn man ehrlich ist, ist dies ein Trend, der kaum aufzuhalten ist. Ein wenig Hoffnung besteht, dass die neuen Finanzregeln, über die Anfang des Monats abgestimmt wurde, zu einer Deckelung der Gehälter führen. Außerdem wurde auch auf Chelseas Praxis mit den langen Vertragslaufzeiten reagiert und die Abschreibungsdauer auf fünf Jahre begrenzt.

Andererseits lehrt uns die Geschichte, dass die Vereine schon bald wieder andere Wege finden werden, die Regeln zu umgehen.