Tottenhams Akademie hat in der Premier-League-Ära eine Reihe durchaus bekannte Namen hervorgebracht: Von Ledley King und Peter Crouch über Danny Rose und Andros Townsend bis hin zu Kyle Walker-Peters und Harry Winks. Alle diese Spieler legten ordentliche Karrieren hin. Der größte Schatz der Spurs wurde jedoch 2009 ans Tageslicht gefördert, als Harry Kane sein Debüt gab.
Der Engländer verbrachte 14 Jahre bei den Nordlondonern und schaffte es in dieser Zeit, den legendären Jimmy Greaves an der Spitze der ewigen Torschützenliste abzulösen. Zudem ist er mittlerweile der Kapitän der englischen Nationalmannschaft.
Mit Kane an der Spitze wurden die Spurs zum Titelanwärter in der Premier League und Champions-League-Finalisten. Doch als der Weltklasse-Stürmer schließlich in einem 100-Millionen-Euro-Blockbuster-Deal zum FC Bayern München wechselte, hatte er weiterhin keinen einzigen Titel gewonnen.
Tottenham hat seit dem Triumph im Ligapokal 2008 unter Juande Ramos nichts mehr gewonnen. Die Kane-Ära hinterließ bei den Fans ein Gefühl von verschwendetem Potenzial. Die Spurs brauchen dringend ein neues Talent, das Hoffnung auf einen Titel macht.
Mikey Moore könnte nun genau dafür sorgen. Der 17-jährige Stürmer hat riesiges Potenzial und bereits erste Erfahrungen mit den Profis gesammelt. Kein Wunder, dass auch der FC Bayern und der BVB ein Auge auf ihn geworfen haben.
Die ersten Schritte
Moore wurde am 11. August 2007 in Southwark, dem Londoner Stadtbezirk am Südufer der Themse, geboren. Der Fußball wurde schnell zu seiner großen Leidenschaft und im Alter von acht Jahren wurde er bereits von den Spurs-Scouts angeworben.
Er schaffte den Spagat zwischen der Schule an der Strood Academy in Kent und seinem Training bei den Spurs. So erlebte er einen rasanten Aufstieg, weil seine technische Qualität der seiner Altersgenossen weit voraus war. Im Jahr 2022 schaffte Moore im Alter von nur 15 Jahren den Sprung in Tottenhams U18 und wurde zudem in die englische Jugendauswahl berufen.
Im November 2022 gehörte er zum Kader der englischen U16-Mannschaft, die am Football Federations Cup in Spanien teilnahm. Auch bei dem Turnier hinterließ er einen bleibenden Eindruck. Moore kam von der Bank, als die Three Lions im zweiten Spiel gegen Deutschland mit 0:1 zurücklagen - und erzielte zwei beeindruckende Solotore.
England gewann den Wettbewerb zwar nicht, aber Moore holte den Goldenen Schuh für den besten Torjäger des Turniers. Er beendete die Saison 2022/23 mit sieben Torbeteiligungen in zehn U18-Premier-League-Einsätzen für die Spurs und schnürte einen Doppelpack für die U17 beim 5:1-Finalsieg im Premier League Cup gegen Nottingham Forest.
Moore war außerdem der jüngste Tottenham-Spieler, der für die U21 auflief. Der damalige Interimstrainer der ersten Mannschaft, Ryan Mason, berief ihn damals sogar zum Training mit den Profis. In der folgenden Saison bewies Moore, dass er ein besonderes Talent ist.
Der große Durchbruch
Tottenhams Verantwortliche bekamen Wind davon, dass Moores Name europaweit auf den Listen der Scouts namhafter Konkurrenten stand - und statteten ihn deshalb im Juni 2023 mit einem langfristigen Vertrag aus.
Er belohnte das Vertrauen des Klubs mit 14 Toren in 12 U18-Premier-League-Einsätzen, dazu lieferte er noch acht Assists. Die Weichen für einen historischen Abschluss der Saison waren gestellt.
Die Profis der Spurs hatten derweil im ersten Jahr von Teammanager Ange Postecoglou mit einer beispiellosen Verletzungsmisere zu kämpfen. Moore wurde deshalb in den Kader der A-Mannschaft berufen. In den Premier-League-Spielen gegen Chelsea, Liverpool und Burnley wurde er zwar nicht eingewechselt, erhielt dann aber am 14. Mai gegen Manchester City seine Chance.
Mit 16 Jahren, neun Monaten und drei Tagen brach Moore den Rekord von Dane Scarlett als jüngster Spieler, der für die Spurs in der Premier League auflief. In der Nachspielzeit wurde er für James Maddison eingewechselt. Tottenham verlor das Spiel mit 0:2, aber Moore bezeichnete seinen Einsatz in den sozialen Medien als den "stolzesten Moment meines Lebens".
Moore wurde von den vereinsinternen Medien zu diesem Erlebnis befragt und antwortete mit erfrischender Ehrlichkeit: "Es war gut, das Tempo war so schnell. Es war, als würde ich FIFA spielen. Es war der Wahnsinn. Wenn man ins Spiel kommt und versucht, Druck zu machen, bewegen sie den Ball so schnell. Ich habe ein paar Mal den Ball berührt und hoffentlich folgt bald noch mehr. Als junger Spieler, der die Akademie durchläuft, wünscht man sich nichts sehnlicher, als sein Debüt zu geben. Es ist wahrscheinlich das beste Gefühl, das ich je hatte, wenn ich ehrlich bin."
Postecoglou richtete unterdessen über den offiziellen Medienkanal des Vereins einige besondere Worte an den Teenager. "Ich dachte, es sei wichtig, dass er sein Debüt gibt", sagte er. "Es ist eine kleine Belohnung für ihn, weil er in den letzten zwei, drei Wochen hart gearbeitet hat, um ihm diese Erfahrung zu machen. Er hat noch einen weiten Weg vor sich, er ist erst 17, aber er ist ein guter Junge und hoffentlich macht ihm das Mut."
So läuft's gerade
Beim 3:0-Sieg der Spurs am letzten Spieltag gegen Sheffield United kam Moore dann zu seinem zweiten Einsatz bei den Profis, als er erneut spät für Maddison eingewechselt wurde. Danach nahm er mit England an der U17-Europameisterschaft in Zypern teil.
Die Three Lions scheiterten im Viertelfinale im Elfmeterschießen an Italien, doch Moore konnte erhobenen Hauptes nach Hause fahren, nachdem er vier Tore erzielt hatte - zwei davon in der Gruppenphase gegen Frankreich. Der zweite Treffer des damals 16-Jährigen war ein wahrer Augenschmaus. Er dribbelte an vier Gegenspielern vorbei und schob den Ball dann unten ins Eck.
Postecoglou ist offensichtlich beeindruckt von seinem Nachwuchsspieler, Moore spielt weiterhin eine Rolle in seinen Plänen bei den Profis. In der Vorbereitung schlugen die Spurs die Hearts in einem Freundschaftsspiel mit 5:1, und Moore gelang es, sich in die Torschützenliste einzutragen - sein erster Treffer für die Profis.
Nach dem Spiel wurde er auf der offiziellen Website der Spurs zitiert: "Mein erstes Tor zu schießen, auch wenn es in einem Vorbereitungsspiel war, war wahrscheinlich das beste Gefühl, das ich bisher hatte, und dann auch noch vor den eigenen Fans zu treffen ... das war unwirklich! Das kleine Dribbling und der Abschluss... das habe ich schon in der Akademie gemacht, ich wollte einfach so weitermachen wie bisher. Auch wenn es ein Vorbereitungsspiel war, bedeutet es mir alles."
Moore wurde daraufhin auch in den Kader für die Japan- und Südkorea-Tournee berufen, bei der die Mannschaft auf Vissel Kobe und den Bayern München traf.
Seine Stärken
Der renommierte englische Trainer Harry Brooks, Direktor der RH Football Group, die weltweit mit Talenten aus dem Nachwuchsbereich und der Akademie arbeitet, sagte kürzlich im Gespräch mit The Athletic über Moore: "Mikey ist ein hervorragender Dribbler mit guter Ballbehandlung. Er hat ein großartiges Gespür für den Abschluss. Seine Mitspieler bei den Spurs schauen auf ihn - alle Angriffe laufen über ihn und er ist der Mann für die Abschlüsse. Er ist das, was ich einen 'präsenten Stürmer' nenne - man muss nicht der größte Spieler sein, man muss nur die Präsenz haben, mit der man diktiert, wie das Team angreift und Chancen kreiert. Du bist der Mann, der im Angriff den Ton angibt. Mikey wird derjenige sein, der entscheidet: 'Ich werde dieses Spiel gewinnen.'"
Moores bevorzugte Position ist der linke Flügel, wo er mit seinem starken rechten Fuß für Gefahr sorgen kann. Aber er ist auch vielseitig genug, um als offensiver Mittelfeldspieler oder als Mittelstürmer zu spielen. Die Fans der Spurs werden Moore aufgrund seines explosiven, direkten Spielstils schnell ins Herz schließen. Er besitzt ein Selbstvertrauen, das ihn von anderen Spielern in seinem Alter unterscheidet.
Woran er arbeiten muss
Die Kehrseite von Moores energieaufwendigem Spielstil ist das Verletzungsrisiko. Blessuren haben ihn in seiner jungen Karriere immer wieder ausgebremst. In der vergangenen Saison musste er sich von einem Beinbruch und einer Bänderverletzung im Knöchel erholen. In Zukunft muss er hier noch mehr auf präventive Maßnahmen setzen.
Die gegnerischen Verteidiger werden ihn auf Profi-Level künftig mit noch härten Fouls am Dribbeln stoppen. Moore sollte deshalb körperlich noch robuster werden und Fouls geschickt aus dem Weg gehen - zum Beispiel, indem er den Ball noch öfter abgibt, statt stets ins Dribbling zu gehen.
Wie Simon Davies, Leiter der Akademie der Spurs, betonte, ist Beständigkeit das Schlüsselwort für Moore. "Ich habe mit ihm darüber gesprochen, ruhig und konsequent zu bleiben und jeden Tag hart zu arbeiten, die kleinen Dinge richtig zu machen, weil die kleinen Dinge bemerkt werden", sagte er dem Evening Standard. "Er ist sehr reif für einen jungen Mann, also hoffen wir, dass sich sein Potenzial entfaltet. Aber leider haben wir keine Kristallkugel."
Der neue ... Paul Gascoigne?
Es gibt Ähnlichkeiten zwischen Moore und Adel Taarabt, dem ehemaligen Angreifer der Spurs und von QPR, der das englische Publikum zwischen 2007 und 2015 mit seiner Ballbehandlung und seiner Kühnheit verblüffte. Moore verfügt über die gleichen Fähigkeiten wie Taarabt - im Abschluss ist er aber schon jetzt besser. Obwohl Taarabt unbestreitbar ein Naturtalent war, konnte er sich in der Premier League nie richtig durchsetzen, er traf zu oft die falschen Entscheidungen.
Moore wird am häufigsten mit der Spurs- und England-Legende Paul Gascoigne verglichen, was wohl noch besser zutrifft. Jermain Defoe, einstiger Mittelstürmer der Spurs war der erste, der diesen Vergleich 2023 im Podcast No Tippy Tappy Football anstellte: "Es ist eine große Aussage, aber er erinnert mich ein wenig an Gazza. Die Art und Weise, in der er an den Leuten vorbeigleitet, ist so mühelos. Und das mit 15 Jahren!"
"Gazza" war einer der brillantesten offensiven Mittelfeldspieler seiner Generation und fast nicht zu stoppen. Er hatte auch eine gewisse Überheblichkeit, eine unterschwellige Arroganz, die ihn auf dem Spielfeld furchtlos machte.
Wie geht es weiter?
Berichten zufolge erwägen Manchester United und Manchester City jeweils ein Angebot für Moore. Auch der FC Bayern München und Borussia Dortmund sollen laut Medienberichten ihr Interesse an dem jungen Stürmer bekundet haben.
Doch Mitte August, einen Tag nach seinem 17. Geburtstag, entschied sich der Außenstürmer für einen Verbleib in London und unterschrieb einen neuen Vertrag, der ihn bis 2027 an die Spurs bindet. Ein Wechsel ist damit vorerst vom Tisch - doch die Topklubs werden ihn weiterhin im Auge behalten.
Postecoglou könnte in London der perfekte Manager für Moores kurzfristige Zukunft sein, da er ihm keinen zu hohen Druck auferlegt. Der frühere Spurs Coach Mauricio Pochettino hingegen erwähnte 2016 sein Talent Marcus Edwards in einem Atemzug mit Lionel Messi - Troy Parrott wurde damals als "der neue Robbie Keane" gepriesen, doch keiner der beiden konnte sich bei Tottenham durchsetzen. Auch bei Moore wird Geduld gefragt sein.
Nichtsdestotrotz scheint er der talentierteste Nachwuchsspieler zu sein, den die Spurs seit Kane haben. Man vergisst schnell, dass Kane viermal ausgeliehen wurde, bevor er sich schließlich bei Tottenham durchsetzte. Moore könnte einen ähnlichen Weg gehen, bevor er sich bei den Profis einen Stammplatz erkämpft.
Aber wenn er fit bleibt und sein derzeitiges Arbeitstempo beibehält, wird es wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis Moore in der Premier League die Abwehrreihen in Angst und Schrecken versetzt. Und wer weiß, vielleicht wird er in den kommenden Jahren derjenige sein, der Tottenham dabei hilft, die Zeit ohne Titel zu beenden.