Als West Ham Carlos Tévez und Javier Mascherano im Doppelpack holte: Ein mächtig fauler Coup

Von Harry Sherlock/Falko Blöding
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Ein Doppelwechsel sorgte vor fast 20 Jahren für Aufsehen. Ausgerechnet Underdog West Ham United präsentierte mit den Argentiniern Carlos Tévez und Javier Mascherano zwei der begehrtesten Talente des Weltfußballs. Da konnte doch was nicht stimmen ...

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Als Carlos Tévez und Javier Mascherano Ende August 2006 bei West Ham unterschrieben, kam das komplett aus dem Nichts. Die Hammers waren unter Alan Pardew nicht mehr als ein traditionsreicher Klub, der dem Abstiegskampf geweiht war. Und doch gelang es dem Verein, zwei der vielversprechendsten argentinischen Talente vom brasilianischen Spitzenverein Corinthians von einem Wechsel nach London zu überzeugen.

Tévez hatte gerade bei der Weltmeisterschaft in Deutschland geglänzt und wurde kurzzeitig mit einem Wechsel zu Chelsea in Verbindung gebracht, während auch Arsenal und Manchester United Interesse bekundeten. Dass er und Mascherano, ein Mittelfeldspieler, der später unter anderem für Liverpool und Barcelona spielen sollte, im Upton Park aufschlugen, war eine faustdicke Überraschung.

Eine Überraschung, die jede Menge Zweifler auf den Plan rief, als der Klub offensichtlich versuchte, die Details des Transfers unter Verschluss zu halten.

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Der Deal

Schon die Verkündung des Doppeldeals war merkwürdig. Statt fetter Schlagzeilen und Jubelstürmen in den Klubmedien gab es lediglich ein Foto des Duos an der Seite von Teammanager Alan Pardew. Der Verein sprach von einem "Coup", verkündete im selben Atemzug aber auch, dass "alle anderen Aspekte der Transfers vertraulich bleiben und nicht bekanntgegeben werden". Ach ja: Und man habe noch "mehrere europäischen Spitzenklubs" im Rennen um die Unterschriften von Tévez und Mascherano ausgestochen.

Wie aber war dies möglich? An dieser Stelle kommt der umtriebige Kia Joorabchian ins Spiel. Der Spielerberater leitete bis kurz vor dem Doppeltransfer die Firma Media Sports Investments (MSI), ein Unternehmen, das in die Rechte an Spielern investierte. Er behielt anschließend eine Beteiligung an Tévez und Mascherano, dies berichtete die BBC seinerzeit.

Joorabchian hatte nur wenige Monate zuvor behauptet, dass Tévez aufgrund einer Ausstiegsklausel in seinem Corinthians-Vertrag "zwischen 69 und 83 Millionen Pfund" kosten würde. Umgerechnet war das grob eine Summe zwischen 80 und 100 Millionen Euro. West Ham aber zahlte für ihn und seinen Mannschaftskameraden weit weniger als diese Summe. Die kombinierte Ablöse soll bei weniger als 25 Millionen Euro gelegen haben. Irgendetwas stimmte da offensichtlich nicht.

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Die Leistungen

Sportlich hatte der Deal zunächst keine positiven Auswirkungen. Die Hammers starteten katastrophal in die neue Saison. Auf einen Sieg und ein Remis zum Auftakt folgte eine Serie mit nur mageren drei Siegen aus 16 Spielen.

Nach einer Übernahme im November durch Eggert Magnusson, der den Verein für 85 Millionen Pfund kaufte, wurde Pardew einen Monat später entlassen und durch Alan Curbishley ersetzt. Im Zuge der Übernahme erklärte der neue Vorstand, dass Tévez und Mascherano über die sogenannte "Third Party Ownership" verpflichtet worden waren. Ein umstrittenes Konstrukt, bei dem drei Parteien Transferrechte an einem Spieler halten. Die FIFA verbot es 2015. Die Premier League leitete damals gegen West Ham eine Untersuchung ein. Es drohte ein Punktabzug, der den Abstieg praktisch besiegelt hätte.

In der Zwischenzeit tat sich Mascherano im englischen Oberhaus schwer. Insgesamt bestritt er für die Hammers nur fünf Premier-League-Spiele, die allesamt verloren gingen. Bei einer 0:2-Niederlage gegen Manchester City kam er einmal über 90 Minuten zum Einsatz, und nach einem siebenminütigen Auftritt gegen Everton im Dezember stand er nie wieder im Kader des Vereins. Im Januar wechselte er nach Liverpool, zunächst auf Leihbasis.

Tévez dagegen erging es anders, wenngleich auch er Eingewöhnungsprobleme offenbarte. 2006 gelang dem Stürmer kein Treffer. Sein erstes Tor markierte er im März 2007 bei einer spektakulären 3:4-Pleite gegen Tottenham Hotspur.

Das allerdings war die Initialzündung. In den letzten neun Spielen der Saison, von denen West Ham nur zwei verlor, gelangen Tévez sechs Tore, und am letzten Spieltag gegen Meister Manchester United besorgte er das vielumjubelte Siegtor. Die Hammers hatten sich tatsächlich noch gerettet.

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Die Konsequenzen

Sportlich war also alles klar. Doch es schwelte noch die Untersuchung der englischen Liga. Zunächst schloss die Premier League ihre Ermittlungen zu den Umständen des Doppeldeals ab und verhängte eine Rekordstrafe in Höhe von 5,5 Millionen Pfund (rund 7 Millionen Euro), nachdem sich die Hammers wegen eines Verstoßes gegen die Transferregeln schuldig bekannt hatten.

Denn die Spieler standen bei ihrer Verpflichtung jeweils bei Offshore-Firmen unter Vertrag, was die Hammers zu verheimlichen versucht hatten und was erst ans Licht kam, als Mascherano nach Liverpool wechselte. Die Tatsache, dass bei West Ham die Klub-Übernahme abgeschlossen war, bewahrte die Londoner jedoch wahrscheinlich vor einer weitaus härteren Strafe; Magnusson und seine Vorstandskollegen stellten sich den Ermittlungen und gaben im Wesentlichen ihre Schuld zu.

Nichtsdestotrotz strengte Absteiger Sheffield United eine Klage gegen die Hammers an. Die Argumentation der Blades: Hätte West Ham Tévez nicht verpflichtet, hätte Sheffield die Klasse gehalten. Von der Hand zu weisen war dies nicht. Sheffield war auf Rang 18 gelandet, West Ham belegte in der Endabrechnung Platz 15 und hatte drei Zähler mehr auf dem Konto.

Schließlich einigte man sich auf einen Vergleich, bei dem sich West Ham bereit erklärte, 20 Millionen Pfund (rund 25 Millionen Euro) Entschädigung an den Verein aus Yorkshire zu überweisen.

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Wie ging es weiter?

Während Mascherano also bereits an die Anfield Road abgewandert war, bahnte sich auch bei Tévez ein früher Abschied an. Manchester United war offensichtlich angetan von den Leistungen des Stürmers im Endspurt der Saison und wollte ihn holen. Aber auch dieser Deal ging nicht ohne Komplikationen über die Bühne.

MSI musste West Ham zunächst zwei Millionen Pfund (etwa 2,5 Millionen Euro) zahlen, damit der Spieler aus seinem Vertrag entlassen wurde. Anschließend wurde Tévez für eine satte Gebühr zwei Jahre lang an die Red Devils ausgeliehen.

Für United war es ein gutes Geschäft, denn Tévez war ein Leistungsträger auf dem Weg zu den Titelgewinnen in Champions League und Premier League 2008. Unter einigem Getöse wechselte er 2009 für umgerechnet knapp 30 Millionen Euro Ablöse ausgerechnet zum ungeliebten Nachbarn Man City.

Mascherano hingegen entwickelte sich mit 139 Einsätzen zu einer festen Größe in Liverpool, nachdem die Reds ihn 2008 für mehr als 20 Millionen Euro dauerhaft verpflichtet hatten. Später ging es für den Defensivspieler weiter zum FC Barcelona, bei dem er große Erfolge feierte.

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Was bleibt?

Tévez mag in seinen ersten Monaten bei West Ham keine Bäume ausgerissen haben. Aber er war da, als es darauf ankam und rettete den Verein aus einer prekären Lage. Das sorgte für besagten Frust in Sheffield und gleichzeitig dafür, dass der heute 40-Jährige bei West Hams Fans noch immer Heldenstatus genießt.

Mascherano entwickelte sich derweil zu einem Spieler, der mit Barcelona zweimal die Champions League und fünf LaLiga-Titel gewann. Das ist schon bemerkenswert, denn bei West Ham war er gefloppt und kam im Mittelfeld nicht einmal an einem gewissen Hayden Mullins vorbei.

Und dennoch: Ohne seinen umstrittenen Wechsel wäre er vermutlich nicht in Liverpool gelandet und hätte nicht diese außergewöhnliche Karriere später hingelegt.