Die kollektive Besessenheit: Als Eden Hazard die Glückseligkeit war

Von Fatih Demireli
Eden Hazard
© imago images

Eden Hazard war einst einer der besten Spieler der Welt. Beim OSC Lille war man sauer auf ihn und dennoch lag man ihm zu Füßen. Als er bei Chelsea ankam, war man schon im Kollektiv besessen. Was heute geblieben ist? Schöne Erinnerungen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die Tränen von Bastian Schweinsteiger und Co. waren noch nicht getrocknet. Beim FC Bayern war man im Verdrängungsmodus, die Allianz Arena längst aufgeräumt, um keine Anhaltspunkte vom "Finale dahoam" übrig zu lassen.

Und dann setzte Eden Hazard ein paar Tage später seinen vielleicht berühmtesten Tweet überhaupt ab.

"I'm signing for the champion's league winner", schrieb er am 28. Mai 2012. Ich unterschreibe beim Champions-League-Sieger. Und verkündete damit seinen Wechsel zum FC Chelsea, der ein paar Tage zuvor den FC Bayern in München im Elfmeterschießen auf dramatischer Weise bezwungen hatte.

Es war noch nicht die Zeit der hollywoodreifen Videoproduktionen, um einen Transfer zu verkünden. Ein Tweet, so wie der von Hazard, war schon ein Highlight.

Und es passte zu Hazard, dass er den Wechsel vom OSC Lille zum FC Chelsea selbst verkündete - und das auf diese Weise. Für Extravaganz stand er schon immer. Weit, bevor er in London zu einem der besten Spieler der Welt aufstieg.

Zinedine Zidane wollte Eden Hazard schon 2010 zu Real Madrid holen

In sieben Jahren holte er zwei Premier-League-Titel, zwei Europa-League-Titel, einmal den FA Cup, war einmal Spieler der Saison in der Premier League, viermal war er im Team des Jahres in der Premier League. Dreimal kürte man ihm zum Chelsea-Spieler des Jahres.

Alles messbare Erfolge, doch Hazard war nicht so besonders, weil er Statistiken produzierte, sondern, weil er so extravagant spielte. Er war ein Spieler, für den man ins Stadion ging. Ein Spieler, über den man am nächsten Tag sagte: "Boah, hast du das gesehen?!" Und damit fing er nicht erst bei Chelsea an, sondern schon in Lille.

Dort war er schon so gut, dass Zinedine Zidane in einem Interview mit der Marca im Jahr 2010 über den damals 19 Jahre alten Hazard sprach. Er würde den Jungen mit geschlossenen Augen zu Real Madrid holen und Florentino Perez möge sich den Burschen doch mal ansehen. Neun Jahre später war Zidane Trainer von Hazard - bei Real Madrid. Da hat er seither aber nicht mehr den Glanz früherer Tage.

Hazard: Betrunken ein Hattrick im letzten Lille-Spiel

Nicht mehr die Spielfreude, die er an der Seite von Mathieu Debuchy, Yohan Cabaye, Gervinho, Rio Mavuba und später Dimitri Payet oder Joe Cole hatte. Es war eine talentierte Truppe, aber Hazard war der Beste. Er lehrte den Gegnern das Fürchten. Er war so gut, dass er selbst betrunken noch besser als alle anderen war.

In seinem letzten Spiel für Lille gegen die AS Nancy (4:1) gelang Hazard ein Hattrick. Der erste seiner Karriere. Mitspieler Mavuba erzählte, dass er einen Abend vor dem Spiel eine Party organisierte. Hazard kickte nicht nur gut, er trank auch fest.

"Wir haben beschlossen, etwas zu trinken. Ein kleiner Drink, der sich etwas hinzog", erinnert sich Mavuba, der 2019 seine Karriere beendete: "Am nächsten Morgen war Eden immer noch betrunken. Gegen Nancy war noch nicht einmal 30 Minuten gespielt, da hatte Eden schon einen Hattrick erzielt. Der Kerl hatte nicht einmal geschlafen, er hatte die ganze Nacht getrunken und in 30 Minuten einen Hattrick hingelegt. Wir haben uns alle angeschaut und uns gesagt, dass dieser Kerl das einzig Wahre ist."

Bestellte Hazards Mutter zum Elternabend. Lille-Nachwuchschef Michel Vandamme
© imago images
Bestellte Hazards Mutter zum Elternabend. Lille-Nachwuchschef Michel Vandamme

Traumtore gegen Marseille und Liverpool

Es waren seine Tore 48 bis 50 im 194. Spiel für Lille. 53 Vorlagen kamen hinzu. Aber nochmal: Diesen Hazard darf man nicht an Statistiken messen, auch wenn sie in Lille genauso exorbitant waren. Er war der Mann der besonderen Augenblicke.

Wie im März 2011, als er gegen den Titelkonkurrenten Olympique Marseille dieses traumhafte Tor erzielte. 35 Meter Torentfernung, die Gegenspieler kleben an ihm dran, aber er schießt mit seinem angeblich schwachen linken Fuß so platziert, dass Steve Mandanda am Boden kauernd das Gegentor verarbeiten muss.

Solche Augenblicke gab es in aller Regelmäßigkeit, sodass ihn schon weit vor seinem Wechsel 2012 sämtliche zahlungskräftigen Klubs schöne Augen machten. Eine Aufzählung erübrigt sich - einfach alle. Der FC Liverpool kam hinzu, als er in einem Europa-League-Spiel die Abwehr der Reds an den Rand der Hilflosigkeit brachte.

Glen Johnson, Daniel Agger, Jamie Carragher und Emiliano Insua hatten keine Ahnung, wie sie Hazard stoppen sollten. Er produzierte Chancen um Chancen, hatte dabei mitunter ein freches Lachen auf dem Gesicht. In der 83. Minute verwandelte er dann einen Freistoß zum Sieg. Die französischen Gazetten hielten ihre Superlative nicht zurück. Warum auch? Er verdiente sich die kollektive Besessenheit seines Könnens.

"Eden, ist das alles wahr?" "Ja!"

Besessen waren sie schon 2006, als Hazard in Belgien beim AFC Tubize spielte. Sie mussten keine guten Scouts haben, um zu erkennen, dass da ein Prachtexemplar kickt. Hazard verließ die Heimat und brach nach Lille auf.

Er wusste, dass er auch dort der Beste ist und es keinen großen Eifer bedurfte, um hier zu spielen. Aber in Lille störte man sich an der demonstrierten Gelassenheit im Training und im Spiel. Michel Vandamme, damals Leiter der Lille-Akademie, bestellte die Eltern ein, um über ihren Sohn zu sprechen.

Die in Lille ansässige Zeitung Nord Eclair berichtete einst über diesen Elternabend. Als sich Vandamme über die fehlende Motivation beklagte, hat "sich seine Mutter zu ihm gedreht und gefragt: 'Eden, ist das alles wahr?' "Und er antwortete: 'Ja, es ist wahr.'"

Natürlich gab es keine Konsequenzen. Wie kann man schon so einen Jungen wegschicken? Also hat man das Beste daraus gemacht. Und er war ja auch entwaffnend ehrlich. Schon immer. In den Gesprächen, aber auch in seiner Art.

Machte Eden Hazard zum Stammspieler: Rudi Garcia (l.)
© getty
Machte Eden Hazard zum Stammspieler: Rudi Garcia (l.)

Ohrfeige in der Kabine

Er verstellte sich nicht, weil es anderen so gefiel. Auch wenn es dafür Prügel gab. Als er 2007/2008 erstmals zur Profi-Mannschaft in Lille kam, ließ er auch die gestandenen Profis spüren, dass da kein angepasster Nachwuchsbursche kommt.

"Hazard kam zu seinem ersten Training mit runtergezogenen Socken, offenen Schnürsenkeln und ohne Schienbeinschoner auf den Platz", erzählt Lilles Gregory Tafforeau bei der Sun: "Er hat dann so trainiert, als ob er schon ein ganz alter Hase im Klub wäre. Das hat die älteren Spieler richtig genervt."

In einem Fitnesstraining kam es dann zum Eklat. Lille-Star Franck Beria ohrfeigte Hazard vor versammelter Mannschaft. Eine Besserung? Nein. "Zwei Tage später hat er nochmal einen ordentlichen Schlag von Nicolas Plestan kassiert. Der Junge hat geheult", so Tafforeau. Plestan schlug wohl heftiger zu, denn die Botschaft kam nun an. "Danach haben wir gemerkt, wie er sein Verhalten geändert hat", sagt der ehemalige Lille-Profi.

Dass sich Beria und Plestan für ihre Dreistigkeit, jemanden körperlich zu demütigen, auf die Schulter klopfen, weil sie vielleicht denken, dass Hazard dank ihnen zum Profi war, wäre fatal. Offene Schnürsenkel - die gab es auch bei Chelsea, wie sein ehemaliger Teamkollege Loic Remy mal bei SPOX und GOAL erzählte.

"Bei meiner ersten Trainingseinheit bei Chelsea kam er mit offenen Schnürsenkeln auf den Platz und begrüßte mich", so Remy und erzählt: "Ich dachte, dass die Trainingsintensität bei Chelsea, bei solch einem großen Klub, sehr hoch sein würde. Ich setzte mich sehr unter Druck, weil ich 100 Prozent Leistung bringen wollte. Dann schaute ich auf Eden: Er verteidigte nicht gut in dieser Einheit, er verlor viele Bälle. Am Ende des Trainings fragte ich ihn: 'So trainierst du?' Und er sagte nur: 'Keine Sorge, ich bin der Boss'. Aber nicht auf eine arrogante Art und Weise, wie es manchmal rüberkommt, wenn er spricht."

Wohin geht die Reise?

Hazard blieb immer ein Schlawiner. Klar, wurde er irgendwann erwachsener. Aber der Lausbub aus La Louvière, wo er geboren wurde, lebt bis heute in ihm weiter.

Es ist ein Drama, dass dieser Eden Hazard bei Real Madrid nie dieses Gefühl der Glückseligkeit entfachen konnte, wie es ihm über Jahre in Lille und bei Chelsea gelang. 115 Millionen Euro ließ sich Perez den Ausnahmespieler im Sommer 2019 kosten. Heute ist die Rede davon, dass Hazard im Sommer gehen muss, damit Real Platz im Gehaltsbudget für Kylian Mbappe hat.

Dass er sich im Sommer verändert, scheint möglich. Mit 31 ist er noch nicht so alt, als dass man ein Abgesang auf ihn singen müsste. Einen Abnehmer dürfte sich schon finden. Bei Chelsea und Lille, die sich im Champions-League-Achtelfinale (21 Uhr im LIVETICKER) nun gegenüberstehen, hat man ihn nie vergessen.

Sogar über eine Rückholaktion wurde laut nachgedacht. Zu schön sind die Erinnerungen an glorreiche Zeiten. Er war viel zu gut, um ihn aus den Erinnerungen zu verdrängen. Warum also nicht jetzt noch einmal zurückholen? Sollte es so kommen, werden wir es sicher bei Twitter erfahren: unter @hazardeden10.