Thierry Henry bei Juventus Turin: Von unerkannten Stärken und falschen Positionen

Von Tobias Lorenz
Thierry Henry absolvierte für Juve lediglich 19 Spiele.
© imago images / PanoramiC

Bevor Thierry Henry beim FC Arsenal durchstartete und zur Legende avancierte, versuchte sich der frühere Weltklasse-Stürmer bei Juventus Turin. Die Liason mit der Alten Dame hielt jedoch nicht lange, weil die Italiener den Franzosen falsch einsetzten.

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Nach dem Wechsel kehrt rasch Ernüchterung ein. Die Verantwortlichen haben mit ihm andere Pläne und der Trainer erkennt seine Position nicht.

Der 21-jährige ist unglücklich, die Lust Fußball zu spielen, sie scheint verflogen. Und das nur rund neun Monate, nachdem er im Sommer 1998 als Ergänzungsspieler den Weltmeistertitel im eigenen Land und damit den ersten Mega-Erfolg seiner noch jungen Karriere feierte. An der Seite all der Legenden, angeführt von einem überragenden Zinedine Zidane. Einmal so ein so großer Spieler werden wie sie, einmal auch im Mittelpunkt, auf der großen Bühne stehen - der Traum scheint niemals in Erfüllung zu gehen. Doch von vorn.

Januar 1999. In Turin herrscht eine ausgelassene Stimmung. Die Verantwortlichen haben soeben den jungen Thierry Henry vom AS Monaco losgeeist und ihn sich umgerechnet 12,5 Millionen Euro kosten lassen. Der junge Franzose erhielt kurioserweise die Rückennummer 6, er sollte die Zukunft auf der linken Außenbahn der Bianconeri sein. In der Mannschaft, in der auch Zizou spielt, wird er auch ein Star, denkt sich der Youngster. Doch nur vier Monate später ist auf einmal alles anders.

Thierry Henry trug bei Juve die Rückennummer 6.
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Thierry Henry trug bei Juve die Rückennummer 6.

Bei Juventus "habe ich es nicht mehr genossen"

"Ich habe es nicht mehr genossen. Es hat sich angefühlt, als hätte ich mein Verlangen, Fußball zu spielen, verloren", gibt Henry zu einem späteren Zeitpunkt seiner Karriere zu. Nicht nur, dass er sich nicht gänzlich wohlfühlte. Peu a peu kristallisierte sich eines heraus: Henry wurde von der Alten Dame nicht als neuer, aufstrebender Star gekauft, sondern sollte lediglich als Tauschware für einen anderen Stürmer fungieren.

"Juve wollte Marcio Amoroso (der aber letztlich nach Parma und später zu Borussia Dortmund wechselte, Anm. d. Red.) verpflichten und ich sollte Udinese als Ersatz dienen", erklärt Henry, der jedoch einen großen Bewunderer im Klub hatte: "Carlo Ancelotti wollte mich nicht verkaufen oder verleihen. Die Vereinsbosse haben anders gedacht und ich habe gespürt, dass es keinen Glauben in meine Fähigkeiten gab."

Von Juventus zu Udine? Eine Karriere-Entwicklung, die nach dem Geschmack von Henry eigentlich anders verlaufen sollte. Der Franzose denkt sich: Nicht mit mir! "Ich habe zwar das Angebot von Udinese abgelehnt, aber gefragt, ob ich irgendwo anders hin kann. Sie haben zugestimmt."

Denn auch spielerisch war er offenbar für die Verantwortlichen in der piemontesischen Großstadt mehr als verzichtbar. 16-mal darf er das weiß-schwarze Trikot tragen, das vor Tradition nur so strotzt. Nur drei Treffer gelingen ihm. Zu wenig, um die Verantwortlichen zum Umdenken zu zwingen.

Unter Ancelotti musste Henry auf dem linken Flügel ran

Ob seine Zeit in Turin anders verlaufen wäre, wenn es nicht kurz nach seiner Ankunft einen Trainerwechsel gegeben hätte? Für Henry durchaus denkbar. "Lippi wollte, dass ich als Stürmer spiele", erklärt Henry.

Doch als dieser aufgrund der schlechten Saison des italienischen Traditionsvereins trotz seiner vorherigen Verdienste um den Verein wenige Wochen nach Henrys Ankunft den Stuhl räumen muss und vom früheren Bayern-Trainer beerbt wird, findet sich Henry schnell auf der linken Seite wieder. "Ich musste die ganze linke Seite beackern." Henry, der Flügelspieler im Ancelotti-System? Im 3-5-2? Die Position, die heute bei Juventus der Brasilianer Alex Sandro bekleidet? Sogar als Linksverteidiger in einer Viererkette muss der junge Franzose auflaufen.

"Ich dachte nicht, dass er in der Mitte spielen kann. Er hat mir nie gesagt, dass er das kann", rechtfertigte Ancelotti sich Jahre später in Philippe Auclairs Buch "Thierry Henry: Lonely at the Top" für seine Maßnahmen.

Thierry Henry: Seine Statistiken bei Juventus Turin in der Serie A

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Ein Angebot aus London - späte Reue in Turin?

Es passt nicht, zwischen Henry und Juventus. Da kommt den Chefs in Turin ein Angebot aus London gerade recht. Angenommen. Arsene Wenger will seinen Landsmann unbedingt haben und legt am Ende rund 16 Millionen Euro auf den Tisch. In Turin ist die Stimmung - wie im Januar bei der Verpflichtung - wieder bestens, man hat sogar noch beinahe vier Millionen Euro Gewinn gemacht - ein Traum für den damaligen Sportdirektor Luciano Moggi.

Auch ein Traum für Henry. Der Coach, der ihm 1994 in Monaco zu seinem Profi-Debüt verholfen hatte, hat ihn nicht vergessen, ihn stets beobachtet. Wenger wusste genau, was er tat, als er ihn nach London lotste. Doch auch der Anfang in der Premier League ist schwer. Nach den verkorksten Monaten in der Serie A muss Henry vieles neu lernen, sich wieder Selbstvertrauen erarbeiten.

"Ich wollte zeigen, dass ich weiß, was zu tun ist. Aber als ich dann vor dem Tor stand, habe ich nichts getroffen", beschreibt Henry seine ersten Spiele im Gunners-Trikot, in denen er teilweise vorderster Front eingesetzt wurde. "Es gab einen Punkt, an dem ich zu Wenger gehen wollte und ihm sagen, dass er mich wieder - wie in meiner Zeit in Monaco - als klassischen Linksaußen einsetzen soll." Doch soweit kommt es nicht.

Nach acht Spielen platzt der Knoten: Er erzielt seinen ersten Treffer. Auch, weil er sich eines geschworen hatte: "Ich habe mir davor selbst gesagt, dass ich die Situation annehmen muss, dass ich nach Turin nicht ein zweites Mal scheitern kann." Und er spürt es, er wird schnell besser. Natürlich auch, weil er von den Besten der Besten seiner Zeit lernen konnte: "Im Team musste ich mich mit Dennis Bergkamp, Kanu und Davor Suker messen."

Die Initialzündung für seine spätere Weltkarriere. Unter Wenger reift er heran, wird zu einem der besten Angreifer auf dem Planeten. Warum es in Turin nicht geklappt hat, darüber philosophiert der heutige Fußball-Rentner und Rekord-Torschütze des FC Arsenal heute teilweise noch immer. Aber so enttäuscht über seinen Karriereverlauf wie im Sommer vor 18 Jahren war er später nie wieder. Ganz sicher.