Alexandre Pato war 2007 der teuerste Teenie-Fußballer der Welt, dem Brasilianer wurde eine Karriere wie Lionel Messi und Cristiano Ronaldo vorausgesagt. Doch der frühere Star des AC Milan hatte seine beste Phase als Fußballer bis er 22 war. Was ist nur schiefgelaufen in Patos Karriere? Eine Annäherung.
Mitte Juni war Alexandre Pato mal wieder landesweit in den Schlagzeilen. Bei der Amtseinführung des neuen brasilianischen Kommunikationsministers Fabio Faria war der Stürmer des FC Sao Paulo als Ehrengast geladen. Pato ist Farias Schwager.
Natürlich war auch Jair Bolsonaro, Brasiliens rechtsextremer Präsident, bei der Amtseinführung seines neuen Ministers dabei. Im Gegensatz zu Pato trug der Präsident, der in der vergangenen Woche eine Infektion mit Covid-19 publik machte, keinen Mund-Nasen-Schutz. Während seiner Ansprache grüßte Bolsonaro den Fußballer und erinnerte daran, dass er persönlich es ja mit Sao Paulos Lokalrivalen Palmeiras halten würde.
Alexandre Pato kaufte sich selbst aus seinem Vertrag in China heraus
30 Jahre ist Alexandre Pato mittlerweile, im April sagte er der Gazzetta dello Sport, dass er gerne noch einmal nach Europa zurückkehren würde, am liebsten selbstverständlich zum AC Milan, noch immer Sehnsuchtsort des Angfreifers.
Auch wenn der AC Milan schon lange nicht mehr das Milan Alexandre Patos ist. Aber Alexandre Pato ist ja auch schon lange nicht mehr 17 und schon gar nicht mehr der Weltfußballer der Zukunft.
Alexandre Pato ist heute ein Spieler, der seine besten Jahre als Fußballer hatte bis er 22 war, der sehr oft verletzt war, bei Corinthians, Chelsea und Villarreal selten spielte und noch weniger traf, sich später mit 2,5 Millionen Euro aus seinem Vertrag in China herauskaufte, um zurück in die Heimat kehren zu können und nun darauf wartet, dass in Brasilien irgendwann auch wieder an Fußball gedacht werden und er sich womöglich noch einmal für einen Klub in Europa empfehlen kann.
Was ist nur schiefgelaufen in Patos Karriere? Ist dies eine Geschichte des Scheiterns, des Pechs oder einer Fehleinschätzung?
Doch der Reihe nach. Im August 2007 überwies der AC Milan, gerade noch eine der besten Adressen im Weltfußball, 24 Millionen Euro an Internacional Porto Alegre für den blitzschnellen 17-jährigen Dribbler, der mit beiden Füßen aufs Tor schoss und oft genug auch traf.
Mit seinen 1,79 Metern lag der Brasilianer körperlich ungefähr in der Mitte zwischen Lionel Messi und Cristiano Ronaldo, den anderen beiden etwas älteren vielversprechendsten Superstars der Zukunft. Alexandre Pato liebte, wie der junge Messi, die Höchstgeschwindigkeitsdribblings. Er kam, wie der junge Cristiano Ronaldo, vorwiegend über die Außenbahnen und verfügte über einen guten Distanzschuss. Auch er brauchte weniger als den Platzbedarf eines Bierdeckels, um seine Gegenspieler auszuspielen.
Alexandre Pato bei Milan: Teenie unter Veteranen
Ein halbes Jahr zuvor hatte Pato bereits die in Brasilien deutlich höher angesehene Klub-WM gewonnen. Sein Treffer im Halbfinale gegen Al Ahly Kairo hatte ihn zum jüngsten Torschützen bei einem FIFA-Turnier gemacht. Nun war er auch der teuerste Minderjährige der Welt.
Pato kam in eine Mannschaft, die gerade mit dem 39-jährigen Kapitän Paolo Maldini und Trainer Carlo Ancelotti Champions-League-Sieger geworden war und in der schon sieben Brasilianer spielten: Torwart Dida (damals 33), Verteidiger Cafu (37), die Mittelfeldspieler Serginho (36) und Emerson (31), Regisseur Kaka (25), dessen Bruder Digao (21) und Ronaldo (31) - der nach seiner Zeit bei Real Madrid noch auf eine eineinhalbjährige Stippvisite zurück nach Italien gekommen war.
Das AC Milan von 2007 war eine Mannschaft der Veteranen, in der Weltmeister Andrea Pirlo mit seinen 28 Jahren noch zu den Jüngeren gehörte. Der 25-jährige Kaka, im Dezember 2007 zum letzten Weltfußballer vor der zehnjährigen Regentschaft von Messi und CR7 gewählt, war vor Patos Ankunft jüngster Milan-Stammspieler. Trainer Ancelotti ließ die Stars an der langen Leine, trainierte dosiert, den Rest besorgte das mythenumobene Milan Lab: die Medizin- und Athletikabteilung, in der die Spieler permanent analysiert wurden, galt damals als wahrer Jungbrunnen.
Alexandre Pato: Playboy oder Bibel?
Die Veteranen nahmen den Jungen gut auf. "Ich wurde in der Kabine zwischen Paolo Maldini und Ronaldo gesetzt. An meinem ersten Tag reichte mir Ronaldo einen Playboy: 'Du kannst Dich meiner Gruppe anschließen - oder Kakas Gruppe', sagte er zu mir und zeigte auf Kakas Platz, der mit religiösen Symbolen behängt war", erzählte Pato Jahre später bei Fox Brasil über seine Ankunft bei Milan.
Heute teilt Pato auf seinem Instagram-Profil regelmäßig Bibelzitate, doch damals war die Entscheidung schnell gefallen - zumal Ronaldo der Held seiner Jugend gewesen war. Zwar sorgte Pato nie für echte Skandale, zwar stürzte er sich auch nicht öfter ins Nachtleben als seine Teamkollegen, doch das klischeebehaftete Image des brasilianischen Feierprofis wurde Pato lange nicht los. Was auch daran liegen könnte, dass seine erste Ehe weniger als ein Jahr hielt und er später eine äußerst lebhafte On-Off-Beziehung mit Barbara Berlusconi einging, der Tochter des damaligen Milan-Patrons Silvio.
Auf dem Platz sorgte Pato - benannt übrigens nach seiner Geburtsstadt Pato Branco (auf Deutsch weiße Ente) - dagegen in seinen ersten Jahren bei Milan nur für Furore. Wobei er die ersten Monate nur zusehen durfte. Erst mit 18 bekam er in Italien eine Spielerlaubnis. Am 13. Januar 2008 stand er dann im Spiel gegen den SSC Neapel gleich in der Startelf.
In Ancelottis berühmter Tannenbaumformation gab Pato in der 4-3-2-1-Grundordnung an der Seite von Kaka den noch offensiver agierenden Wirbelwind-Spielgestalter hinter Stoßstürmer Ronaldo. Abgesichert wurde dieser kreative Dreizack von Pirlo, Clarence Seedorf und Massimo Ambrosini. Milan gewann 5:2, es war die ganz große Show, Ronaldo traf doppelt, außerdem Kaka und Seedorf. In der 74. Minute setzte Pato den Schlussakkord dieser rasanten Partie.
Alexandre Pato war der Mann für die ersten Spiele
Schon bei seinem Profidebüt für Internacional in der brasilianischen Serie A hatte Pato im ersten Spiel getroffen, sogar in der ersten Spielminute. In den folgenden Jahren sollte Pato zum Mann der ersten Spiele werden: Für Corinthians traf er 2013 ebenso im ersten Spiel wie 2014 für den FC Sao Paulo. 2016 erzielte er für Chelsea in seinem ersten Spiel sogar mit seiner ersten Ballberührung sein erstes Tor. Jedoch folgten danach keine Tore, nur noch ein weiterer Einsatz und nicht viel mehr Ballberührungen für die Blues. Nicht viel besser lief es im gleichen Jahr beim FC Villarreal.
Erst bei Tianjin Tianin in China endete der Running Gag mit Patos Debüttreffern. Dafür traf Pato in China danach umso mehr.
Doch noch sorgte Pato nicht in China für Furore, sondern bei Milan. Und zunächst sah es so aus, als ob er, meist als zweite Spitze oder als oft auf die Flügel ausweichender Fantasista eingesetzt, alle Erwartungen erfüllen würde. Pato wirbelte nur so durch die Serie A, mit seinen Haken, Finten und blitzschnellen Richtungswechseln aus seinen ersten Jahren bei Milan ließen sich unbegrenzte YouTube-Compilations füllen. Neun Ligatoren in seiner ersten halben Saison folgten 15 in seiner ersten vollen Spielzeit 2008/2009. Da stand er sogar in 36 von möglichen 38 Ligaspielen auf dem Platz.
Verletzungsbedingt sanken in der Folge die Einsätze, die Torquote blieb aber recht hoch: Als eine mit Zlatan Ibrahimovic, Kevin-Prince Boateng, Thiago Silva und Mark van Bommel verstärkte Mannschaft in der Saison 2010/2011 Milan den bislang letzten Scudetto schenkte, traf Pato in 25 Spielen 14-mal.
Sein vielleicht spektakulärstes Karrieretor gelang ihm in der folgenden Saison in der Champions League gegen den FC Barcelona. 18 Sekunden waren im Camp Nou gespielt, als Antonio Nocerino einen Zweikampf in der eigenen Hälfte gewann und den Ball mit etwas Glück auf Pato spitzelte. Der legte ihn sich kurz noch zurecht und startete ab Sekunde 19 durch: Seidou Keita, Javier Mascherano, Sergio Busquets waren ohne Chance, drei Sekunden später schob er den Ball, ohne auch nur einen Hauch Tempo herausgenommen zu haben, an Victor Valdes vorbei ins Tor, nach 24 Sekunden stand es 1:0.
Alexandre Pato: Vergeudete er sein Talent?
Und doch wurde schon damals die Frage gestellt, ob er sein übermäßiges Talent leichtfertig vergeuden würde, ob es ihm am nötigen Biss fehlen würde, um ganz nach oben zu kommen: "Als ich dich das erste Mal spielen sah, dachte ich mir, dass ein Tor pro Partie zu wenig sei für einen Spieler deiner Klasse. Auch heute abend hättest Du drei Tore schießen können. Manchmal scheint es, als ob Du dich mit zu wenig zufrieden geben würdest", sagte Carlo Ancelotti, Patos erster Trainer bei Milan und bis heute väterlicher Freund, ihm 2011 bei Sky Italia live ins Gesicht.
Bei Corinthians fiel Pato später in Ungnade, als er in einem Pokalspiel den entscheidenden Elfmeter mit aufreizender Lässigkeit in die Arme des Torwarts schoss. Pato, für 15 Millionen Euro von Milan geholt, wurde nach nur einer Saison zum FC Sao Paulo verliehen.
Das Jahr bei Corinthians war aber immerhin das einzige verletzungsfreie in Patos Karriere. War der Angreifer also zu oft verletzt, hatte er einfach nicht den Körper eines Weltfußballers? Allein in den Saisons 2010/2011, 2011/2012 und der Hinrunde der Saison 2012/2013 fehlte er Milan 337 Tage, fast immer wegen rätselhafter Muskelprobleme, die Spezialisten in ganz Europa nicht in den Griff bekamen.
Anders als beispielsweise Arjen Robben, den jede Muskelverletzung mental gefühlt noch stärker machte, litt Pato sehr unter der Ungewissheit. "Eine kleine Verletzung wurde zu einer sehr großen Sache. Ich verlor das Vertrauen und fühlte mich zunehmend einsam", beschrieb Pato selbst einmal seine Selbstzweifel jener Jahre.
Alexandre Pato: War er total überschätzt?
Jedoch: Bevor Pato 2016 zum zweiten Mal nach Europa kam, hatte er zwei ordentliche, aber auch recht unspektakuläre Spielzeiten für den FC Sao Paulo hinter sich. Sein Engagement bei Chelsea hatte er vor allem den guten Kontakten des Vermittlers Kia Joorabchian zu den Chelsea-Bossen zu verdanken, Trainer Guus Hiddink wollte ihn eigentlich gar nicht. Doch auch im anschließenden halben Jahr beim gehobenen Mittelklasseklub Villarreal konnte er kaum Akzente setzen. Erst in China, in einer Liga, in der seine Gegenspieler ihm grotesk unterlegen waren, wurde Pato wieder zum Torjäger. Aber nach den zwei Jahren bei Tianjin Tianhai und 36 Toren in 60 Spielen, musste sich Pato selbst für 2,5 Millionen Euro aus seinem Vertrag herauskaufen, um zurück zum FC Sao Paulo zu gehen. Angebote aus Europa gab es keine.
Möglicherweise war Pato also auch einfach nur total überschätzt? "Als er 18 war, hat Pato alles geglaubt, was man über ihn sagte. Aber er hat sich nicht entwickelt. Er hat nie zehn Spiele hintereinander auf hohem Niveau gemacht. Ich sehe ihn nicht als herausragenden Spieler, er lebt von einigen brillanten Momenten, schafft es nicht, seine technischen Qualitäten in ein ganzes Spiel einzubringen", ätzte Tostao, 1970 Peles Sturmpartner beim WM-Triumph der Selecao und mittlerweile einer der profiliertesten Fußballkritiker Brasiliens.
Die Wahrheit, sie wird auch in diesem Fall wohl irgendwo in der Mitte liegen.
Alexandre Patos Karriere in Zahlen:
Klub | Zeit | Einsätze | Tore | Vorlagen |
SC Internacional | 2006/2007 | 13 | 8 | 1 |
AC Milan | 2008 - 2012 | 150 | 63 | 18 |
Corinthians Sao Paulo | 2013 - 2014 | 39 | 12 | 1 |
FC Sao Paulo | 2014 - 2015/seit 2019 | 94 | 29 | 13 |
FC Chelsea | 2016 | 2 | 1 | - |
FC Villarreal | 2016 - 2017 | 24 | 6 | 5 |
Tianjin Tianhai | 2017 - 2019 | 60 | 36 | 8 |