Auswärtsspiel – die SPOX-Kolumne: Was Chaosklub Genua mit einem neuen Fußball-Universum zu tun hat

Der CFC Genua ist der älteste Klub Italiens und steckt fast hoffnungslos im Abstiegskampf.
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Der CFC Genua ist der älteste Klub Italiens und steckt fast hoffnungslos im Abstiegskampf. Doch langfristig soll der Klub im Zentrum eines neuen Fußball-Konstruktes werden, das an Leipzig und Red Bull erinnert. Dabei helfen sollen zwei Deutsche, die ebenfalls mal in Leipzig waren.

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Enrico Preziosi ist eigentlich schon längst weg. Und darüber ist man beim CFC Genua, sowohl im Lager der Fans als auch im Klub, ganz glücklich. Über fast zwei Jahrzehnte regierte der Unternehmer beim Klub aus Ligurien und führte ihn zum finanziellen Ruin und sportlich auf die Intensivstation.

Als er im Herbst 2021 verkaufte, war man froh, dass die Regentschaft Preziosis endlich vorbei war. Aber der wohlhabende Spielzeugverkäufer ist in Genua immer noch allgegenwärtig.

Zuletzt sprach Preziosi in der Repubblica über die Situation bei seinem akut abstiegsbedrohten Ex-Klub. "Ich habe einen Trainer mit Eiern vorgeschlagen, aber sie wollten nicht auf mich hören", sagte der 74-Jährige, der weiß, wie es geht, Trainer zu holen - und sie zu entlassen. In 18 Jahren vollzog er 19 Trainerwechsel. Würden die Sommerpausen nicht im Weg stehen, wären es wohl mehr geworden.

Man kann sich also sicher sein, dass Alexander Blessin unter Preziosi längst Geschichte wäre. Wenn er ihn überhaupt geholt hätte. In Genua kam die Aussage übrigens nicht gut an: Gerade viele Fans, die Blessin seit dessen Ankunft Ende Januar in ihr Herz geschlossen haben, wüten in den sozialen Medien und Internetforen.

Der CFC Genua ist der älteste Klub Italiens und steckt fast hoffnungslos im Abstiegskampf.
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Der CFC Genua ist der älteste Klub Italiens und steckt fast hoffnungslos im Abstiegskampf.

CFC Genua: 80 Spieler stehen auf der Gehaltsliste

Der CFC Genua ist der älteste Klub Italiens und hat naturgemäß einen gewissen Erfahrungsvorsprung zu den Konkurrenten. Aber was der Genoa Cricket and Football Club, wie der Klub offiziell heißt, in den letzten Jahren alles erlebt hat, ist dann doch zu viel des Guten. Es waren nicht nur die fortwährenden Trainerwechsel, sondern auch mit jedem neuen Mann die neuen Ideen auf dem Transfermarkt.

Es gibt in den europäischen Topligen keinen anderen Verein, der eine so hohe Spielerfluktuation wie Genua hat. Samt Leihspielern hat der Klub rund 80 (!) Spieler auf der Gehaltsliste. Wenn der Sommer einkehrte und die Leihverträge endeten, wunderte sich der eine oder andere Trainer, als plötzlich ein völlig unbekannter Spieler auf dem Trainingsgelände auftauchte, das auf einer Parklandschaft eines Anwesens aus dem 16. Jahrhundert in Pegli befindet. Früher gingen Aristokraten ein und aus, heute trainieren hier die Profis des CFC.

Preziosi hat viel mit dem Chaos zu tun. Und es musste sich etwas tun, um einen Verein, der aus einer sehr finanzkräftigen Gegend kommt, eine nachweislich lange Historie aufweist und ununterbrochen seit 15 Jahren in der Serie A spielt, zu gesunden. Alexander Blessin, dem die Gazzetta dello Sport mal ein G hinten an den Nachnamen hängte, um daraus ein "Blessing", also einen Segen, zu machen, ist ein Etwas, das dem Klub helfen soll.

Aber Blessin war Anfang des Jahres nur einer der Schritte aus dem Ruin. Den Anfang machte das US-Unternehmen 777 Partners. Die milliardenschwere Holding, die sich wie ein Flugzeug anhört und tatsächlich in Boeing-Maschinen investiert, sicherte sich für eine nicht genannte Summe 99,9 Prozent aller Anteile.

Neue Genua-Chefs: Der Klub stand vor der Pleite

Dass die Summe nicht genannt wurde, lag an Preziosi, der sich eine Verschwiegenheitsklausel sichern ließ. Die US-Chefs hielten sich an die Vereinbarung, dementierten aber die Summe von 150 Millionen Dollar nicht. Doch umso mehr sie eintauchten, umso mehr merkten sie, wie katastrophal der Klub geführt wurde. Inzwischen wurde die Sprache verschärft. Zuletzt ließ 777 Partners gar über lokale Medien mitteilen, dass ohne das Zutun ihrerseits der Klub keine Lizenz für die Serie A bekommen hätte. Preziosi dementiert das.

Josh Wander, das Gesicht der Holding, will über die Vergangenheit aber nicht allzu viel sprechen. Er blickt lieber in die Zukunft. Und dabei macht er es nicht anders als viele anderen Investoren. Natürlich spricht er über "Perspektive", über "Stabilität", über das "Potenzial" und bei einem Klub in der Größenordnung Genuas natürlich auch über den Plan, "irgendwann international" für Furore zu sorgen. Wander, über dessen Werdegang nicht allzu viel bekannt ist, spricht von "vier bis fünf Jahren", bis man in Europa spielen will.

Als sie im Oktober 2021 übernahmen, scharten sich die Amerikaner eine Task Force um sich herum, um sportliche Entscheidungen zu treffen. Das eigene Know-How fehlte, das Vertrauen in die noch aktiven Verantwortlichen ebenso. Die Berater sagten ihnen aber, dass der Kader zu alt sei und Trainer Davide Ballardini, der schon zum vierten Mal auf der Genua-Bank saß und bei keinem dieser vier Versuche eine komplette Saison arbeitete, auch kein Mann für einen Aufbruch sei.

Sie schickten Ballardini, der das ohnehin gewohnt war, also weg und holten Andriy Shevchenko. Der Ukrainer ist ein Held in Italien, außerdem spielte die Ukraine eine recht ordentliche Europameisterschaft. "Sie besiegten Mannschaften, die besser waren als sie", sagte Wander damals. Beeindruckt davon, dass das im Fußball offensichtlich geht.

Bei Shevchenko sprachen sie auch von einem langfristigen Projekt. Er sollte das neue Genua mitformen, aber kurzfristig holte er in zwei Monaten nur einen Sieg in der Coppa Italia und keinen in der Liga - und musste gehen.

Bei den Genua-Spielern herrschte große Freude nach dem Sieg gegen Juventus Turin.
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Bei den Genua-Spielern herrschte große Freude nach dem Sieg gegen Juventus Turin.

Genua-Sportchef Johannes Spors: Anfänge in Hoffenheim

Die Entscheidung über die Entlassung traf aber dann schon Johannes Spors. Der Deutsche ist seit Dezember 2021 Sportdirektor, nachdem er zuvor schon bei Vitesse Arnheim den Job sehr ordentlich machte und dann von einem engagierten Headhunter nach Genua gelotst wurde. Der 39-Jährige war eigentlich auf dem Weg, Lehrer zu werden, bis er - wie es der Zufall so wollte - über ein Projekt Kontakt mit der TSG Hoffenheim kam, anfangs als Videoanalytiker agierte und später Chefanalytiker und Chefscout wurde. So gut, dass RB Leipzig ihn 2015 als Chefscout verpflichtete. Eine Saison ging es dann noch zum Hamburger SV.

Gerade Leipzig und Hamburg sind sicher keine einfachen Kaliber. Die Mittel sind da, die Erwartungen sind groß. Von daher konnte sich Spors in Genua schon darauf einstellen, dass er viel zu tun haben wird, um den Erwartungen von intern und extern gerecht zu werden. Er wollte nicht bis zum Saisonende warten, um mit dem Prozess des Neuanfangs zu beginnen, sondern nutzte schon die Winterpause um gleich neun - zumeist junge - Spieler zu holen. Dass die in dieser Atmosphäre unerfahrenen Spieler nicht sofort funktionieren, wurde einkalkuliert.

Holten die Konkurrenten erfahrene Spieler, investierte Genua im Winter über 20 Millionen Euro für Kelvin Yeboah (21, Sturm Graz), Silvan Hefti (24, Young Boys), Morten Frendrup (20, Brondby) und Johan Vasquez (23, UNAM). Geliehen wurden Leverkusens Nadiem Amiri (25) oder Rom-Talent Riccardo Calafiori (19). Als Trainer holte Spors - natürlich mit dem Segen aus Übersee - Alexander Blessin, den er aus gemeinsamen Zeiten in Leipzig kennt.

Blessin hatte als Fußballer keine allzu auffällige Karriere. Sieben Bundesliga-Spiele für den VfB Stuttgart, einmal in der Süper Lig für Antalyaspor - ansonsten gab es keine Erstliga-Einsätze. Seine Trainer-Karriere versprach mehr Potenzial als die des Profis.

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