Iker Casillas trug Pullunder über dem Holzfällerhemd. Guti kam im grauen Cashmere-Pulli und Sergio Ramos erschien mit fiesem Leder-Jackett und Biker-Boots. Die Stars von Real Madrid hatten sich am vergangenen Mittwoch in Schale geworfen, um mit Klub-Boss Florentino Perez und Sportdirektor Jorge Valdano Titel-Prämien auszuhandeln.
Der erste Kapitän kam verhältnismäßig "langweilig" daher. Schwarzer Flanell-Anzug über dem weißen Hemd. Möglichst unauffällig bleiben. Keine Angriffsfläche bieten. Es darf auch ruhig ein bisschen spießig sein. Das ist Raul Gonzalez Blanco.
Seit fast 16 Jahren spielt der Sohn eines leidenschaftlichen Atletico-Anhängers in der ersten Mannschaft von Real Madrid, seit sieben Jahren ist er Kapitän. Solange hat sich noch kein Spieler in diesem Amt gehalten.
Keine Skandale
Dabei konterkariert Rauls Charakter die Merkmale des Weltvereins auf allen Ebenen. Sein Glamour-Faktor tendiert gegen Null. Raul lebt mit Frau Mamen und fünf Kindern fernab des Trubels am Stadtrand von Madrid. Als naiver Teenager wurde er von den Schürzenjägern Predrag Mijatovic und Davor Suker ins Madrider Nachtleben eingeführt. Als die Presse davon Wind bekam und mit der Veröffentlichung pikanter Fotos drohte, entschuldigte sich Raul via TV für seinen "Fauxpas".
Skandale in Rauls Leben als Spieler von Real Madrid sind nicht bekannt, auch wenn die Medien seit Jahren alles versuchen, um welche zu finden.
"Die Medien in Spanien sind noch viel krasser als in Deutschland. Hier hast du täglich fünf, sechs Sportzeitungen plus die ganzen Boulevard-Magazine. Und wie oft haben die in Rauls Leben herumgekramt...Für die Zeitungen ist es wichtig, wie einer scheißt und wie oft er seine Frau betrügt. Raul ist immer ruhig geblieben. Das kann man ihm gar nicht hoch genug anrechnen", sagt Ricardo Moar, Sportdirektor von Deportivo La Coruna, im Gespräch mit SPOX.
"Die Situation ist nicht ideal"
Mit der ihm eigenen Gelassenheit erträgt Raul auch seine aktuelle sportliche Krise. Erst acht Mal stand er in dieser Saison in der Primera Division in der Startelf. Beim 3:1 in La Coruna durfte Raul nur ran, weil sieben Spieler ausfielen und Real mit vier Bubis aus der zweiten Mannschaft ins Riazor gereist war.
"Wenn man so selten spielt wie ich, kommt man normalerweise ins Grübeln. Die Situation ist nicht ideal für mich. Aber ich bin nicht so überrascht. Mir war bewusst, dass ich einmal in eine solche Situation kommen werde", sagt Raul.
"Es spricht für seinen Charakter, dass er keine große Welle macht", sagt Moar. "Aber er muss einsehen, dass er nicht mehr der Jüngste ist und seine Zeit allmählich abläuft. Er ist immer noch torgefährlich und daher der ideale Joker für Pellegrini. Aber er hat keine Explosivität mehr, ist langsam geworden. Benzema und Higuain stehen klar vor ihm."
Fans pro Higuain
Vor allem Higuain steht in der Gunst der Fans weit oben. Der Argentinier hat eine exzellente Torqoute: elf Treffer in den letzten zehn Spielen. Auch bei seinem Comeback gegen Espanyol traf der 22-Jährige.
In einer "Marca"-Umfrage sprachen sich über 70 Prozent für Higuain, und nur 28 Prozent für Raul als Sturmpartner für Benzema aus.
Raul beteuert, keinerlei Probleme mit Coach Pellegrini zu haben: "Ich würde gerne öfter spielen, aber ich muss zugeben, dass meine Teamkollegen ohne mich einen guten Job machen. Ich werde auch in Zukunft alles dem Erfolg der Mannschaft unterordnen, solange ich Teil dieses Vereins bin. Ich habe das Gefühl, dass ich immer noch einen hohen Stellenwert im Verein habe."
Kalkulierter Macht-Missbrauch?
Daran besteht kein Zweifel. Rauls Verdienste für den Verein sind enorm. Kaum ein Rekord ist vor ihm sicher geblieben. Selbst Luis Aragones, der als spanischer Nationaltrainer Rauls Karriere in der Furia Roja beendete, sagte einmal über ihn: "Er ist der Blutspender für Real und die seleccion."
Doch der Blutspender hat es mittlerweile nicht nur auf dem Platz schwer. Immer öfter werden Stimmen laut, die Rauls Einfluss in der Real-Familie kritisieren. Er missbrauche seine Macht und gehe sprichwörtlich über Leichen, um sein Standing hochzuhalten, so der Vorwurf.
"Raul ist nicht nur Spieler, er arbeitet als Schatten-Sportdirektor. Er mischt sich überall ein. Keiner im Verein hat mehr Einfluss. Er entscheidet über Spieler-Verträge, sagt an, wann Trainingseinheiten für Fans und Medien geschlossen bleiben und verbietet den Ärzten, Auskunft über seinen Gesundheitszustand zu geben", schrieb die angesehene Zeitung "El Pais".
Als David Villa nach dem EM-Titel 2008 kurz vor einem Wechsel zu Real stand, soll Raul sein Veto eingelegt haben. "Raul ist gegen die Verpflichtung von David Villa. Er fürchtet um seinen Stammplatz. Außerdem können Raul, Guti und Michel Salgado Villa nicht verzeihen, dass er mit der Nummer 7 im Nationaltrikot aufläuft. Diese Nummer gehöre Raul", schrieb "La Nueva Espana".
England, USA oder Katar
Raul hat sich zu den Anschuldigungen nie geäußert. Er hat kein Interesse an Schlammschlachten. Wer ihm nahesteht, schätzt Raul als integren Sportler, der akzeptiert, wenn seine Zeit abgelaufen ist und die Konkurrenz besser ist.Deswegen denkt Raul auch erstmals ernsthaft über einen Vereinswechsel nach. "Raul hat Vertrag bis 2011. Im Moment plant er, diesen zu erfüllen. Es gibt aber mehrere Optionen. Katar, die USA oder England. Niemand weiß, was morgen ist. Es ist kein Geheimnis, dass er die Premier League mag. Raul hat fünf Kinder, da spielen wirtschaftliche Dinge schon eine Rolle", sagt sein Berater Gines Carvajal.
Der FC Chelsea bot laut Carvajal einst 100 Millionen Euro Ablöse für Raul. Das ist der 32-Jährige nicht mehr Wert. Aber er ist immer noch gut genug, um bei europäischen Topklubs regelmäßig zu spielen.
Raul Gonzalez Blanco: die Karriere in Zahlen