Kommandant mit Xabi-Diplom

Thomas Gaber
15. Januar 201519:54
Toni Kroos führt mit Real Madrid die Tabelle der Primera Division angetty
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Toni Kroos hat nicht lange gebraucht, um Real Madrid zu verzaubern. Er bekommt dort die Wertschätzung, die ihm in München bisweilen verwehrt wurde. Seine Reifeprüfung für das Abenteuer Madrid hat er gerade noch rechtzeitig abgelegt.

Chirurg. Dirigent. Kommandant. Boss. Kaiser. Held. Schlichtweg bester Mann. Die spanische Presse hat seit August 2014 jede Menge Assoziationen gewählt, um Toni Kroos möglichst wahrheitsgetreu zu beschreiben. "Marca" hat besonders tief gegraben und Kroos mit einem "Metronom" verglichen. Toni, das Beats-per-Minute-Genie.

Lange hat es keinen Neuzugang von Real Madrid mehr gegeben, der in so kurzer Zeit so viele Beobachter überzeugt, bisweilen sogar verzaubert hat.

Nach dem Sieg im Clasico gegen den FC Barcelona charakterisierte ihn "El Mundo" als "wahren, bescheidenen Held" von Real Madrid, als "unglaubliches Phänomen", dem es quasi im Alleingang gelungen war, "Barcas Tiki-Taka zerfließen zu lassen". Quintessenz: Kroos "ist eine deutsche Maschine von wunderbarer Genauigkeit und Effizienz."

Weiterentwicklung in Madrid

Bei genauer Betrachtung ist der Hype um den deutschen Weltmeister nachzuvollziehen. Kroos hatte keinerlei Anpassungsschwierigkeiten, die Bürde als Nachfolger des bei den Madridistas verehrten Xabi Alonso auf Anhieb funktionieren zu müssen, war für ihn keine.

Ob als Teil der Doppelsechs neben Luca Modric oder als defensiver Part im offensiv ausgerichteten Dreier-Mittelfeld von Carlo Ancelottis bevorzugtem 4-3-3 - Kroos liefert beständig gute Spiele ab, konserviert seine bekannten Stärken in der Präzision und hat sich in Madrid zudem weiterentwickelt.

Pro Spiel erobert Kroos 6,5 Bälle zurück, zu Bundesligazeiten beim FC Bayern waren es durchschnittlich 2,5. Er ist Stabilisator und Taktgeber in Ancelottis spannendem Projekt mit drei jungen Spielern im Mittelfeld (Kroos, James, Isco), die mit viel Offensivdrang aufgewachsen sind, ihre Spielweise bei Real aber mit Defensivarbeit anreichern müssen, damit die Mannschaft die Balance behält und bei Ballverlusten keine Lücken entstehen.

"Ancelotti will ein bisschen mehr Balance im Spiel, etwas mehr Kontrolle. Er will unser Spiel weiterentwickeln und variieren, er will mehr Ballbesitzphasen. Und dafür, hat er gesagt, braucht er mich", sagte Kroos Mitte November der "Süddeutschen Zeitung".

"Bin eine klare Nummer sechs"

Ancelotti hat aus Kroos einen Sechser geformt, ohne ihn dabei im Offensivspiel zu beschneiden. "Ich spiele zentraler und zehn Meter weiter hinten, eine klare Nummer sechs. Wichtig ist dabei, dass ich in der Offensive nichts verlernt habe", sagt Kroos.

Ancelotti hat das praktiziert, was Kroos von seinem vorherigen Vereinstrainer prophezeit wurde. "Pep Guardiola hat mir am Anfang mal gesagt: 'Toni, die guten Spieler rücken im Lauf ihrer Karriere immer weiter nach hinten.' Das könnte bei Real jetzt mein Weg sein."

Dass Kroos die Rolle des Sechsers liegen würde, war für seinen aktuellen Klubcoach wenig überraschend.

"Ein Spieler mit solchen Fähigkeiten, wie sie Toni hat, kommt auf jeder Position im Mittelfeld zurecht. Ich habe mich ja intensiv mit ihm beschäftigt, bevor wir ihn verpflichten haben. Mir war klar, dass Toni auch zentral defensiv spielen kann, ob als einziger Sechser oder mit einem Partner an seiner Seite", sagte Ancelotti.

Der Coach sieht in Kroos sogar einen "zusätzlichen Fußballlehrer. Er hat die Universität von Xabi Alonso sehr schnell abgeschlossen."

WM optimale Vorbereitung

Für Jose Camacho ist Kroos genau der Spieler, den Real gesucht hat. "Er wird von seinen Mitspielern gesucht und gibt ihnen Ruhe. Er gibt den Takt vor, ohne hektisch zu agieren oder es gar zu werden. Kroos scheint wie gemacht für Real. Er ist die Seele der Mannschaft", sagte die Real-Legende dem "kicker".

In Madrid bekommt Kroos - zumindest bislang - die Seelenmassage, die er in München hin und wieder vermisst hat. Bei den Bayern wurde der 25-Jährige auch mal unverhältnismäßig kritisch bewertet.

Die Bosse störten sich an Kroos' Körpersprache auf dem Platz, vor allem in entscheidenden Spielen. Im Champions-League-Finale 2012 weigerte sich Kroos, im Elfmeterschießen anzutreten.

Auch in der Nationalmannschaft hatte er lange einen schweren Stand. Kroos musste als Sündenbock für das verlorene EM-Halbfinale gegen Italien herhalten, weil es ihm nicht gelungen war, die Kreise von Andrea Pirlo einzugrenzen.

In Brasilien war er trotz allem Stammspieler und hat die WM-Bühne genutzt, um vor allem mental ein besserer Spieler zu werden. Die WM war für Kroos die ideale Vorbereitung auf das Abenteuer Real Madrid.

"Als er hier ankam, hat man sein Selbstvertrauen förmlich gespürt. Er war vom ersten Moment an bereit für Real Madrid", sagte Ancelotti. SPOX

Keine Tormaschine

Mit dem Gewinn des Europäischen Supercups und der Klub-WM hat Kroos bereits zwei Titel als Spieler der Königlichen in der Tasche. Ein Treffer steht für ihn bislang in der Statistik, beim Liga-Sieg gegen Rayo Vallecano.

Der Zeitung "AS" wäre es ganz recht, wenn das erstmal so bleiben würde. Dann könnte die Redaktion ihre Frage unkommentiert lassen: "Wenn Kroos jetzt auch noch Tore schießt, müssen wir ihn dann heilig sprechen?"

Toni Kroos im Steckbrief