Mehr Titel als Niederlagen

Zinedine Zidane ist seit Januar 2015 Trainer bei Real Madrid
© getty

Zinedine Zidane rennt mit Real Madrid vor dem erneuten Kracher gegen Sevilla (Sonntag, 20.45 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) von Rekord zu Rekord. Dabei waren Kritiker bei seiner Amtseinführung gar nicht überzeugt. Zu unerfahren sei er für diesen brutalen Job. Der Franzose formte jedoch ein Erfolgsteam - mit einfachen Mitteln.

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Wirklich besinnliche Weihnachten feierte Florentino Perez im Jahr 2015 nicht. Von sämtlichen Seiten der Öffentlichkeit peitschte dem Real-Präsidenten Gegenwind entgegen. Erst im Sommer hatte er Fan-Liebling Carlo Ancelotti vom Hof gejagt, da dieser im Jahr nach "La Decima" ohne Titel blieb. Im Anschluss rutschten die Königlichen mit Nachfolger Rafael Benitez hinter Atletico zurück, das Team wirkte zerstritten und Ronaldo morste Signale des Abschieds. Nicht wenige forderten zum Jahreswechsel den Kopf des Präsidenten.

Perez war gezwungen zu handeln. Er zog deshalb einen längst ausgetüftelten Plan aus der Schublade und beförderte Zinedine Zidane zum Cheftrainer. Dass der Franzose den Trainerstuhl früher oder später übernimmt, war längst ein offenes Geheimnis. Der Zeitpunkt überraschte jedoch. Noch im Sommer hatten Reals Großkopferte Zizou den Schritt noch nicht zugetraut und ihm Benitez vor die Nase gesetzt. Zidane sollte in seiner Ausbildung ausreichend Zeit bekommen und wurde deshalb bewusst in die 2. Mannschaft gesteckt. Ziel war es, Erfahrung abseits des großen Scheinwerferlichts zu sammeln.

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Viele Kritiker runzelten die Stirn. Der Schritt auf den königlichen Trainerstuhl komme für den unerfahrenen Trainer einige Jahre zu früh. Spätestens Ende Februar, nach der 0:1-Heimpleite gegen Atletico Madrid, sahen sich viele bestätigt. Ein genialer Fußballer mache noch lange keinen Welttrainer, so der Tenor.

Wenige Änderungen

Seit diesem Tag sind inzwischen rund elf Monate vergangen. Die als so dramatisch angesehen Niederlage gegen den Stadtrivalen blieb im Gedächtnis. Allerdings nur, weil es in der Liga bis heute die einzige Niederlage überhaupt war. Zwar setzte es wenig später eine 0:2-Pleite gegen Wolfsburg, dennoch war es der Startschuss für eine beeindruckende Serie.

Mit 40 Spielen ohne Niederlage (30 Siege, 10 Unentschieden) stellten die Königlichen nach dem 3:3 gegen Sevilla einen neuen spanischen Rekord auf und kratzen - betrachtet man lediglich die Topligen Europas - am Titel von Juve (43 Partien, 2011/12). "Wir befinden uns aktuell in der besten Phase, seit ich hier Trainer bin", erklärte Zidane jüngst. "Wir arbeiten sehr gut. Das Team geht jedes Spiel voller Elan und Leidenschaft an."

Beeindruckend ist vor allem, mit welchem Mitteln der Franzose die jüngsten Erfolge erreichte. Denn große Änderungen nahm Zidane im Vergleich zu Vorgänger Benitez nicht vor. Er erkannte lediglich schnell die lockeren Stellschrauben und zog diese gekonnt nach. So ist es in erster Linie sein großer Verdienst, dass die zuvor angeknackste Stimmung innerhalb des Teams wieder intakt ist. "Das Feeling unter uns Spielern ist jetzt besser, wir sind auf einer Wellenlänge", bestätigte Kapitän Sergio Ramos zuletzt.

Potenzial von Ruhe

Nicht wenige sagen, dass das gute Klima bereits der Schlüssel zum Erfolg ist. Ist diese Bande voller Diven und Stars zufrieden, geht auf dem Rasen wenig schief. Dazu ist die individuelle Klasse der Spieler schlichtweg zu hoch. Zidane erkannte das geschickt und schaffte es dank einer großflächigen Rotation, dass sich im Team fast alle ausreichend wertgeschätzt fühlen. Insgesamt 30 (!) Spieler setzte er in seinem ersten Jahr als Trainer ein. Zudem hatte kein Team in den Topligen Europas mehr unterschiedliche Torschützen.

Vor allem das Potenzial von Ruhe hat der Franzose verstanden und fungiert als eine Art Dompteur, der die perfekte Mischung aus Empathie und Distanz findet und stets zur richtigen Zeit interveniert. Anders als mancher seiner Vorgänger lässt er Störfeuer gar nicht erst aufkommen, sondern löscht sie mit seiner ehrlichen, ruhigen und direkten Art. Vor allem im Umgang mit den Spielern profitiert er dabei maßgeblich von seiner immensen Strahlkraft. Selbst für heutige Superstars ist es eine Ehre, unter einem der besten Fußballer aller Zeiten trainieren zu dürfen.

Kein Mann der großen Worte

Es ist deshalb auch nicht hinderlich, dass er weder ein Mann der großen Worte noch der große Motivator ist. Ihn umgibt jedoch diese gewisse Aura des charismatischen Erfolgsmenschen. Einer, der wenig scheiterte. Einer, dem man blind Vertrauen schenkt.

"Ich danke ihm, denn er macht mich besser. Ich lerne viel von ihm, werde unter ihm besser. Er gibt mir seine Erfahrung, lässt mich reifen. Ich fühle mich unter ihm besser. Ich weiß nicht, was man noch mehr hätte leisten können. Wir stehen hinter ihm", lobte beispielsweise Raphael Varane.

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Zidane ist noch längst nicht am Zenit seiner Schaffensphase angekommen. Dazu hat er in gewissen Bereichen noch zu viel Luft nach oben. "Auch wenn man Großes erreicht hat, muss man sich weiterentwickeln. Ich wollte mich schon als Spieler jeden Tag verbessern, so ist es auch als Trainer", erklärte Zidane.

Von großen taktischen Experimenten lässt er bislang beispielsweise größtenteils die Finger. Der Franzose ist nicht der Taktikguru a la Guardiola, der sein Team innerhalb eines Matches in neun unterschiedliche Systeme quetscht und ständig ins Spielgeschehen eingreift. Oft lässt er das Match größtenteils laufen, sobald der Anpfiff ertönt ist.

Arbeit hier, Arbeit dort

Das führt dazu, dass der 44-Jährige auf Pressekonferenzen nie groß über strategische Kniffe spricht, sondern stets den Kampfgeist des Teams in den Mittelpunkt stellt. "Der Fakt, dass es so viele Spieler in das Team des Jahres geschafft haben, ist Ergebnis unser täglichen Arbeit. Ich danke meinen Spielern und meinen Mitarbeitern. Nur aufgrund ihrer harten Arbeit wurde auch ich zum Welttrainer des Jahres nominiert", erklärte Zidane beispielsweise im Vorfeld der Welttrainerwahl. Arbeit hier. Arbeit dort. Zieht ein Spieler im Training oder im Spiel nicht mit, sitzt er auf der Bank, so einfach ist die zidanesche Formel.

Bei all seiner Genialität darf ein Faktor nicht ausgeblendet werden: Zidane hatte im vergangenen Jahr auch das nötige Glück auf seiner Seite. Denn was hätte es beispielsweise mit der Stimmung gemacht, wenn das Elfmeterschießen im CL-Finale verloren gegangen wäre? Oder wenn die Last-Minute-Tore gegen Barcelona nicht das Ziel gefunden hätten? Real dominiert bei weitem nicht alle Spiele nach Belieben und brennt stets ein Feuerwerk ab.

Wie in der Copa gegen Sevilla gönnt sich das Team oft Schwächephasen und überlässt dem Gegner das Spielfeld. Doch anders als in Barcelona wird das toleriert. Was zählt, ist der Erfolg. Und der spricht für Zidane. Denn bislang hat der Franzose als Trainer mehr Titel (Champions League, Super Cup, Klub-WM) vorzuweisen als Niederlagen.

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