Als Real Madrid und der FC Barcelona um den besten Spieler der Welt kämpften

Maximilian SchmeckelIgnasi Oliva Gispert
31. Januar 202217:24
Alfredo di Stefano im Trikot von Real Madrid.SPOX/Goal
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Im Jahr 1953 betrat Alfredo Di Stefano mit einem Knall die europäische Fußballbühne. In der Folge unternahmen Real Madrid und der FC Barcelona alles, um ihn zu verpflichten - was zu Vorwürfen, einem Rücktritt, Sabotage, einem Rekord und einem absoluten Novum führte. Und ein Teil der heutigen tiefen Rivalität ist. Eine Geschichte, in der es die eine Wahrheit nicht gibt.

An einem schwülen Septembertag tanzte Alfredo Di Stefano Tango. So leicht, so elegant, so gnadenlos bewegte er sich durch die Abwehrreihe des FC Barcelona, die seinem Spiel des Sich-permanenten-Entziehens hilflos zusehen musste. "Hier etwas Ernsthaftigkeit, dort ein wenig Spaß. Das ist mein Geheimnis. Wie in einem Tango: Der Weg ist lang und verschlungen", sagte er 2008 in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Und so kam es: Am Ende des ungleichen Tanzes hatte er beim 5:0 viermal getroffen. In seinem ersten Ligaspiel für Real Madrid.

Was den Beginn einer legendären und sagenhaften Karriere in der spanischen Hauptstadt darstellte, war gleichzeitig das Finale furioso eines nie dagewesenen Streits um einen Spieler. Denn jenem ersten Spiel der Saison 1953/54 zwischen den beiden Teams aus Barcelona und Madrid war eine der packendsten Transfer-Streitigkeiten der Fußball-Geschichte, die sich liest wie ein Krimi, vorausgegangen.

Das Ringen um den 2014 verstorbenen Ehrenpräsidenten der Königlichen ist heute Teil der so tiefen und verkrusteten Feindschaft, die Jahr für Jahr in El Clasico kulminiert, der längst über die Landesgrenzen hinaus ein Event ist. "Der Fall Di Stefano ist einer der Hauptpfeiler der Rivalität zwischen Real Madrid und Barcelona", sagt Xavier Garcia Luque, Autor des Buches "El Caso Di Stefano", exklusiv im Gespräch mit SPOX und Goal. "Die Rivalität ist natürlich vielschichtig, aber sie wurde von diesem Fall genährt und mit Hass angereichert."

Alfredo di Stefano im Trikot von Real Madrid.SPOX/Goal

"Der blonde Pfeil" erobert Südamerika

Die Geschichte des erbitterten Transfer-Kampfes begann mehr als 10.000 Kilometer von Di Stefanos Gala in Spanien entfernt: in Buenos Aires, Argentinien. Dort kam am 4. Juli 1926 ein Junge namens Alfredo Stefano Di Stefano Laulhe zur Welt. Der Sohn italienischer Einwanderer, die aus Capri nach Südamerika gekommen waren, wuchs im Fabrikviertel Barracas im Südosten der Stadt auf. "Ich war ein Kind des Viertels. Vom Zuhause ging's zur Schule, von der Schule auf den Bolzplatz, von dort wieder nach Hause. Das war mein Leben", sagte Di Stefano der SZ.

Von klein auf war er Fan von River Plate, wurde 1941 über einen Kontakt seiner Mutter tatsächlich dorthin vermittelt und fuhr fortan jeden Tag mit der Tramlinie 88 eineinhalb Stunden zum Training. Dort erkannten sie alle, zu was der blonde Knabe im Stande ist. In Rekordtempo spielte er sich in die Mannschaft, die damals als Nonplusultra auf dem südamerikanischen Kontinent galt und deren Sturmreihe noch heute legendär ist.

Den "blonden Pfeil" nannten sie ihn. Weil er mühelos so viel besser als all die anderen war: im Sprint nicht zu stoppen, vor dem Tor gewitzt und überlegt, am Ball elegant und technisch eine Augenweide. Dazu eine Übersicht wie ein Programm, das in einem Hightech-Labor in der Zukunft kreiert wurde, um auf dem Platz immer die richtige Entscheidung zu treffen.

Nachdem er Torschützenkönig in Argentinien geworden war, zog er gemeinsam mit seinem Teamkollegen Nestor Rossi weiter nach Kolumbien, wo gerade eine Profiliga gegründet worden war, während in seiner Heimat ein Streit zwischen der Liga und der Spielergewerkschaft tobte. In der DIMAYOR wurde er mit seinem Klub Club Deportivo Los Millonarios auf Anhieb Meister.

Unter der finanziellen Ägide von Unternehmer Alfonso Senior Quevedo und der spielerischen des jungen Di Stefano gewann das Blaue Ballett, wie das Team wegen seines brillanten Kurzpassspiels genannt wurde, in den Folgejahren alles und trat so dominant auf, dass man auch in Übersee auf die spielerisch so reifen Kolumbianer aufmerksam wurde und der Club Deportivo bald für Freundschaftsspiele und Turniere durch Europa tourte.

Di Stefano begeistert Barca und Real

So auch im Jahr 1952, als der ehrgeizige Präsident von Real Madrid, Santiago Bernabeu, anlässlich des 50-jährigen Bestehens des Klubs ein hochkarätig besetztes Turnier veranstalten ließ. Im Finale setzten sich die Millonarios mit 4:2 gegen die Gastgeber durch.

Der alles überragende Mann war der blonde Stürmer, der anders spielte, als sie es in Europa gewohnt waren. Er war überall zu finden, ließ sich fallen, schuf Räume, spielte so intelligent, dass die Verteidiger in Weiß völlig überfordert waren. Unter den Augen von Francisco Franco, Diktator des Königreichs Spanien, präsentierte er den begeisterten Fans die von Bernabeu ausgelobte silberne Trophäe.

"Dieses Spiel war der Ausgangspunkt für die späteren Vorfälle", sagt Xavier Luque. "Denn nach der Partie war allen klar, dass dieser Spieler etwas ganz Besonderes ist." Neben den Real-Verantwortlichen hat vor allem Barca-Präsident Enric Marti Carreto das genau registriert. Der Textilunternehmer, wie Bernabeu mit klarer Vision seines Klubs, wird sofort aktiv nach der Di-Stefano-Show in Madrid.

Barcas Spezialisten verhandeln mit beiden Vereinen

Er tritt an den Spieler heran, schickte ein Transfer-Spezialisten-Duo als Unterhändler in das Hotel der Millonarios: Pepe Samitier, einst Spieler und Trainer und drei Jahre zuvor für den Transfer von Laszlo Kubala verantwortlich, und den renommierten Anwalt Ramon Trias Fargas. Innerhalb kürzester Zeit überzeugten die beiden Di Stefano und handelten den ersten Grobentwurf eines Vertrags mit dem Spieler aus. Noch ohne Unterschrift.

Um den damals 25 Jahre alten Argentinier final zu verpflichten, ging es nach Südamerika. Wieder waren es Samitier und Trias Fargas, die die Gespräche führten. In der peruanischen Hauptstadt Lima setzten sich die beiden mit Verantwortlichen von River Plate und den Millonarios an einen Tisch.

Denn, und das sollte später das Herzstück des erbitterten Transfer-Zwists werden, Barca hatte herausgefunden, dass Di Stefano eigentlich noch bei seinem Ex-Klub in der argentinischen Hauptstadt angestellt war, weil er River Plate trotz laufenden Vertrags wegen des drohenden Spielerstreiks verlassen hatte. Über einen Kontaktmann hatten sich die Blaugrana diese Information aus Kreisen des südamerikanischen Verbands durchstechen lassen.

Es begannen zähe Verhandlungen, in deren Verlauf ein gewisser Joan Busquets eine zentrale Rolle einnahm. Der in Kolumbien lebende Katalane wurde als Vermittler eingesetzt, obwohl er eigentlich für Santa Fe, den größten nationalen Rivalen der Millonarios, arbeitete. Die Folge: Er zeigte sich zögerlich, sabotierte subtil die Verhandlungen. Schließlich zogen sich die Kolumbianer ganz zurück. Der Vorwurf: River Plate werde bevorzugt, die Interessen von Deportivo seien Barca nicht wichtig, nur River Plate würde als rechtmäßiger Besitzer der Transferrechte an Di Stefano behandelt werden.

Alfredo di Stefano (li.) im Gespräch mit Francisco Gento (M.) und Ferenc Puskas (re.).imago images

Beide überweisen viel Geld - an unterschiedliche Vereine

Kurz nach der Rückkehr der Verhandlungsführer überwies Barca die Ablösesumme für Di Stefano an River Plate. Unfassbare vier Millionen Peseten wanderten damals vom Vereinskonto des katalanischen Klubs nach Buenos Aires. Umgerechnet waren das 217.000 Euro - es war die mit Abstand höchste jemals für einen Fußballer gezahlte Summe zu diesem Zeitpunkt. Mehr als doppelt so viel wie der bisherige Transfer-Rekord. Di Stefano setzte im Jahr 1953 seine Unterschrift auf ein von Samitier aufgesetztes Papier. Die Millonarios werden in diesem Schriftstück mit keinem Wort erwähnt.

Di Stefano, der später stets betonte, es sei ihm immer nur darum gegangen, Fußball zu spielen und dass er von all der Politik rund um die verworrene Causa seines Wechsels nichts gewusst habe, reiste also, kaum zurück aus Europa, nach Katalonien, um für den FC Barcelona zu spielen, was er in ersten Freundschaftsspielen auch tat.

Der Plan des Santiago Bernabeu

Zeitgleich schmiedete Bernabeu einen ausgefeilten Plan, um den Ausnahmestürmer doch noch in die Hauptstadt zu lotsen. Davon, dass der Wunschspieler bereits bei Barcelona spielte, wusste er zwar, eine hinter fest verschlossenen Türen ausgearbeitete Strategie sollte das Blatt aber wenden. Gerade weil Barca die Königlichen 1950 bei Laszlo Kubala ausgestochen hatte, sollte es auf keinen Fall passieren, dass man die Verpflichtung des so lange gesuchten Schlüsselspielers erneut verpatzte.

Aus einer ebenfalls beim Verband angesiedelten Quelle erfuhr man, dass der Vertrag bei den Millonarios sehr wohl Gültigkeit besaß und diese erst am 31. Dezember 1954 erlöschen werden würde. Wer diese Information tatsächlich in die Welt setzte, ist bis heute ungeklärt. Es kursieren diverse Verschwörungstheorien. Sie alle aber enden mit einer Tatsache: Real war sich sicher, im Recht zu sein, die Millonarios spielten plötzlich eine Rolle im Kampf um Di Stefano.

Alfredo di Stefano wurde als echter Star gefeiert.imago images

Novum in der Fußballgeschichte

1,5 Millionen Peseten flossen nach Bogota und fertig war ein absolutes Novum der Fußball-Geschichte: zwei Vereine hatten die Rechte an einem Spieler zur gleichen Zeit erworben, Barca von River Plate und Real von den Millonarios.

Während die Verantwortlichen sich gegenseitig die Schuld zuschoben, Bernabeu in der Hauptstadt vor Wut tobte, dass Barca ihm schon wieder in die Quere zu kommen drohte, landete der Fall beim spanischen Verband. Das aus heutiger Sicht lächerlich anmutende Urteil: Di Stefano sollte für beide spielen, 1953/54 und 1955/56 für Real, 1954/55 und 1956/57 für Barca.

Franco-Einfluss oder Barca-Überdruss?

Über die Geschehnisse nach dem Urteil gibt es diverse Geschichten, viele sicherlich aus dem Reich der Legenden. Einmischung Francos, Sabotage Bernabeus, Entscheidung Di Stefanos, Verrat in Reihen Barcas, Lügen in Südamerika - Theorien gibt es viele. Die Faktenlage ist jedoch dünn, Di Stefano schwieg bis zu seinem Tod wie viele andere Beteiligte beharrlich. Garcia Luque kommt in seinem Buch und nach jahrelangen Recherchen zum Schluss, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt.

"Im entscheidenden Moment, als es um die Details des Deals ging, rief Francisco Franco General Moscardo zu sich", sagt er. "Der war damals so etwas wie der Sport-Minister, weil er großer Fußballfan war und auch die Nationalmannschaft trainierte. Man traf sich in Pazo de Meiras, wo Franco seine Sommerferien verbrachte, das gilt als bestätigt. Man wird nie wissen, inwiefern das überlieferte Treffen etwas mit dem Wechsel zu tun hatte, unwahrscheinlich ist das aber sicher nicht."

"Franco hat Real Madrid nur deshalb bevorzugt, weil der Klub ihm das richtige Werkzeug zu sein schien, um Spanien an der Sport-Front glänzen zu lassen", verweist Ignasi Oliva, Barcelona-Korrespondent für Goal, die Legende, Real sei aus ideologischer Sicht der Liebling des Diktators gewesen, ins Reich der Lügen. Vielmehr seien auch bei Barca viele Franco-Anhänger in verantwortlichen Positionen gewesen.

Daumen hoch also für Madrid wegen der besseren sportlichen Perspektive und keineswegs wegen des vermeintlich kommunistischen Klubs aus Katalonien. Franco habe, anders als der Militärgouverneur Moscardo, der im Spanischen Bürgerkrieg für Franco gekämpft hatte, keine grenzenlose Begeisterung für den Sport verspürt, sondern ihn vielmehr als Mittel zum Zweck gesehen, das zusätzlich eben auch unterhaltsam sei.

"Eine der größten Karrieren der Geschichte"

Eine andere Version: Di Stefano habe das Projekt Real wegen der besseren Spieler und Bernabeus Version, der beste Klub der Welt werden zu wollen, letztlich mehr überzeugt, und er sei entsprechend lustlos aufgetreten, weshalb man sich bei Barca entschied, auch wegen des Hickhacks, das jeden Sommer einen Wechsel Di Stefanos vorsah, Abstand von der Personalie zu nehmen. Auch hier gibt es kaum Zeugen und Quellen, die diese Version bestätigen - wie auch bei Gerüchten über Einflussnahme der argentinischen Regierung und Sabotage aus anderen leitenden Institutionen.

Fakt ist: Barca-Präsident Carreto trat nach dem Urteil des Verbands zurück. Noch im September des Jahres 1953 verzichtete der FC Barcelona auf das Recht, Di Stefano wenigstens zwei Spielzeiten in den eigenen Reihen zu haben, Real zahlte eine einmalige Entschädigung und Di Stefano wurde - endgültig - ein Madrilene. Am Ende flossen insgesamt 5,5 Millionen Peseten an Transfer-Volumen.

Das Perfide: Wie Garcia Luque bei seinen Recherchen herausfand, war die rechtliche Lage damals definitiv so, dass der Vertrag zwischen Real und den Millonarios keine Gültigkeit besaß, der zwischen Barca und River Plate aber sehr wohl, ein grober Fehler der Anwälte des spanischen Fußball-Verbands. "Eine der größten Karrieren der Geschichte hätte eigentlich im Trikot des Rivalen stattfinden müssen", so der Autor. "Das zeigt der Vertrag von Lima ganz klar."

Alfredo di Stefano im Spiel gegen den AC Milan.imago images

General des Weißen Balletts trotz ungültigen Vertrags

Der Rest ist Geschichte. Di Stefano wurde zum besten Spieler der Welt, gewann mit Real fünfmal in Folge den Europapokal der Landesmeister. Er brach haufenweise Rekorde und ist jahrelang "General" des Weißen Balletts mit Francisco Gento und später auch Ferenc Puskas, mit dem zusammen er eines der besten Duos aller Zeiten bildete. Im Jahr 2017 wählen ihn Real-Fans in einer Umfrage zum Größten aller Zeiten.

"Fußball ohne Tore ist wie ein Tag ohne Sonne", sagte er in der SZ, und die Sonne schien seine gesamte Karriere lang. Im weißen Trikot mit dem Real-Wappen und nicht im blau-roten mit dem des FC Barcelona tanzte er Tango.

"Jetzt gibt es viel mehr Reibung", sagte Di Stefano im SZ-Interview. "Früher war der Fußball romantischer." Dabei zeigt gerade sein Fall, dass die Verklärung und Romantisierung des Vergangenen ein Irrtum sind. Denn damals wie heute, ob bei Neymar Jr. oder bei Alfredo Di Stefano: Geld, Macht und Tricks im Verborgenen sind der Preis, den das Ziel aller, Erfolg zu haben, unweigerlich fordert.