Angst vor der Eskalation

Von Fatih Demireli
Diyarbakirspor droht nach den Ausschreitungen in Istanbul ein Ausschluss aus der Liga
© anadolu

Nach zwei Spielabbrüchen in zwei Wochen droht Diyarbakirspor der Ausschluss aus der Süper Lig. Doch jetzt mischt sich auch die Politik ein und die Ausschreitungen haben wohl nicht nur sportliche Hintergründe. Die Kurden-Problematik in der Türkei hat spätestens jetzt auch den Fußball erreicht. Der Verband steckt jetzt in der Zwickmühle und muss vielleicht sogar die eigenen Regeln missachten.

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Mahmut Özgener war das Glück ins Gesicht geschrieben. Er sprach von einem "historischen Tag" für den türkischen Fußball.

Unzählige Male erwähnte der Präsident des türkischen Fußballverbandes, wie "glücklich" und "froh" er doch sei, weil er gerade Guus Hiddink vorstellen durfte.

Die Türkei nahm den zurzeit wohl populärsten Fußball-Lehrer Europas als Nationaltrainer unter Vertrag - ein weiterer Meilenstein für das aufstrebende Fußball-Land.

Die Türkei hat ein Problem

Doch zum Ende der Veranstaltung verlor Özgener sein fröhliches Gesicht und blickte finster in die Menschenmenge.

Das Thema war nicht mehr Hiddink, nicht mehr große Ziele, nicht mehr die Bewerbung für die EURO 2016, sondern die Vorfälle um Diyarbakirspor.

Der Klub hat seit Jahren nicht nur mit den Alltagsproblemen eines Fußball-Vereins zu kämpfen. Diyarbakir, Hochburg der Kurden-Region im Südosten der Türkei, ist ein Fall für die Politik.

Und auch der türkische Fußball hat seit zwei Wochen ein ernstes Problem mit dem Verein. Zwei Mal in Folge musste ein Ligaspiel Diyarbakirspors vorzeitig abgebrochen werden. Zuletzt beim Gastspiel gegen Istanbul Büyüksehir Belediyespor nach 88 Minuten. Zuvor zuhause gegen Bursaspor sogar nach 17 Minuten.

Regeln schreiben Zwangsabstieg vor

Zwei Mal waren es Zuschauerausschreitungen, die in Diyarbakir Schiedsrichter Mustafa Kamil Abitoglu und in Istanbul Hüseyin Göcek zum Abbruch zwangen.

Das Regelbuch lässt eigentlich nur eine Konsequenz zu: Paragraph 20 schreibt vor, dass ein Klub, der zwei Mal einen Spielabbruch verantwortet, aus dem laufenden Spielbetrieb ausgeschlossen und in der Folgesaison in die nächsttiefere Liga versetzt wird. Doch die Umsetzung ist problematisch - der Verband steckt in der Zwickmühle.

Erste Sperre steht fest

Zumal noch viele Fragen offen sind: Unbestritten ist es, dass Diyarbakirspor für die schlimmen Ausschreitungen im Heimspiel gegen Bursaspor verantwortlich war. Zehn Personen, unter anderem Schiedsrichter-Assistent Kemal Yilmaz, wurden verletzt.

Der Verband hat hier bereits eine Stadionsperre von drei Spielen ausgesprochen. Das Spiel wird mit 3:0 für Bursaspor gewertet. Doch der zweite Vorfall wirft Fragen auf.

"PKK raus!"

Obwohl der Klub und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK nicht im geringsten miteinander zutun haben, wird die Mannschaft bei Auswärtsspielen immer wieder mit "PKK raus!"-Rufen konfrontiert.

Besonders im Hinspiel bei Bursaspor nahmen die Rufe ein besonders hohes Ausmaß. Diyarbakir-Fans schworen daraufhin Rache und ließen ihren Drohungen Taten folgen.

In Istanbul gab es diese Rufe aber nicht - aus guten Gründen: Istanbul Büyüksehir Belediyespor hat einfach keine Fans und im Olympiastadion gab es ohnehin 20.000 Zuschauer, die mit Diyarbakir sympathisierten. Rund 50 von ihnen nahmen das 0:1 kurz vor Schluss zum Anlass, den Rasen zu stürmen.

Kritik an Schiedsrichter Göcek

"Das sind nicht unsere Fans, das sind Provokateure", schimpfte Diyarbakirspor-Präsident Cetin Sümer direkt nach dem Spiel.

In der Kritik steht auch Schiedsrichter Hüseyin Göcek. Ihm wird vorgeworfen, voreilig das Spiel abgebrochen zu haben. "Göcek hat überreagiert. Die Sicherheitskräfte haben sofort für Ordnung gesorgt und es gab keine bedrohliche Situation mehr", kritisierte Istanbuls Gouverneur Muammer Güler.

Kampf um die Stadt Diyarbakir

Nach einem Bericht der Zeitung "Vatan" liegen Informationen vor, wonach einige Personen, die den Platz in Istanbul stürmten, schon bei Demonstationen der PKK gesichtet worden sein.

Der Fall ist längst ein Thema der Politik. Diyarbakir, die Stadt mit vorwiegend kurdischer Bevölkerung, wird auch von der PKK als wichtiger Stützpunkt gesehen.

Die türkische Regierung um Premier Minister Recep Tayyip Erdogan dagegen ist bemüht das Kurden-Problem zu lösen. Einige Maßnahmen wurden in den letzten Wochen und Monaten eingeleitet, kurdisch-sprachige TV-Sender und Wahlfächer erlaubt. Ein Zwangsabstieg würde die Situation verschärfen.

"Ein Fall von Provokateuren"

"Das hat nichts mit Sport zutun. Das ist eine Aktion von Provokateuren, die eine Entzweiung zwischen Türken und Kurden fördern wollen", sagt Devlet Bahceli, Chef der Oppositionspartei MHP. Ein seltener Moment, in der Regierung und Opposition einer Meinung sind.

"Ein Zwangsabstieg würde nur den Leuten in die Karten spielen, die eine Lösung der Kurden-Frage verhindern wollen", sagt Ahmet Cakar, Ex-FIFA-Schiedsrichter und heutiger TV-Experte. Obwohl die Regeln für einen Zwangsabstieg Diyarbakirspors sprechen, wird es wohl dazu nicht kommen.

Wie entscheidet sich der Verband?

Auch die Regierung macht Druck: "Wir wollen, dass Diyarbakirspor seinen Weg in der 1. Liga weitergeht", sagt der stellvertretende Ministerpräsident Cemil Cicek. "Das ist nur unser Wunsch, die Entscheidung liegt aber beim türkischen Verband." Der Wink von ganz oben sollte dennoch angekommen sein.

Der Verband will am Freitag eine Entscheidung treffen. Das naheliegende Szenario ist, dass das Spiel mit 1:0 für Büyüksehir gewertet wird und somit ein Zwangsabstieg Diyarbakirs verhindert wird.

"Ob sie uns jetzt in die zweite Liga schicken oder nicht, ist mir inzwischen egal. Wir sind erschöpft", sagt Diyarbakir-Präsident Cetin Sümer. Während er das sagt, wirkt er wie Mahmut Özgener. Finsterer Blick in die Menschenmenge. Keine Spur von Glück...

Diyarbakirspor im Steckbrief

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