Wo soll man anfangen zu erzählen? Welche Episode wäre der ideale Einstieg für diese schier unglaubliche Saison in der türkischen Süper Lig? Sollte man bei Erzurumspor anfangen? Dem Klub, der sechs verschiedene Trainer beschäftigt hat? Dort, wo Coach Ismail Kartal nach sechs Tagen bemerkte, dass er eigentlich gar keine Lust auf den Klub hat und zurücktrat, ohne ein einziges Mal an der Seitenlinie gestanden zu haben.
Vielleicht wäre auch die Geschichte seines Nachfolgers ein idealer Einstieg: Denn Erzurumspor war für Yilmaz Vural die 30. Trainerstation und er startete sogar mit drei Siegen. Beim Gastspiel gegen Fenerbahce weigerte sich dann Stürmer Ricardo Gomes eingewechselt zu werden, was Vural ziemlich wütend machte: "Früher hätte ich ihn geschlagen, aber das darf man ja heutzutage nicht mehr." Vural, der tatsächlich mal einen Spieler schlug, weil ihm die Leistung nicht schmeckte, ging. Erzurum stieg ab.
Vielleicht könnte man auch die Geschichte von Marius Sumudica erzählen. Wie es ein Trainer schafft, erfolgreich zu arbeiten und dennoch gefeuert zu werden, weil er den Mund nicht halten kann. Sumudica arbeitete in der zweiten Saison bei Gaziantep FK. Er war beliebt bei Fans und Medien für seine lustige Art und auch der Klub-Vorstand mochte ihn, weil er trotz vieler Sprüche durchaus erfolgreich war.
Aber Sumudica wollte einen besseren Vertrag, er wollte mehr Geld verdienen. Weil sich der Vorstand aber querstellte und wegen der Corona-Pandemie sogar eine Gehaltskürzung in Erwägung zog, platzte Sumudica der Kragen: "Ich habe das Angebot als eine Beleidigung wahrgenommen. Nun werde ich meine Frau anrufen, damit sie mir Geld schickt und ich dem Klub finanzielle Hilfe leisten kann."
Karagümrük: Kein Trainingsgelände, kein Stadion
Am nächsten Tag durfte Sumudica seine Frau anrufen, um ihr zu sagen, dass er arbeitslos ist. Gaziantep setzte ihn vor die Tür. Als er dann kurze Zeit später zum Liga-Konkurrenten Caykur Rizespor wechselte, bekam er einen guten Vertrag, aber glücklich wurde er trotzdem nicht. Nach seinem zweiten Spiel musste er schon davon überzeugt werden, nicht zurückzutreten. Die Spieler würden ihn nicht verstehen, sagte Sumudica. Kurze Zeit später trat er zurück. "Ich will aber bald wieder kommen", rief er den türkischen Klub-Bossen noch hinterher. Ein Comeback ist tatsächlich nicht ausgeschlossen.
Nur einen Trainerwechsel hat Karagümrük hinter sich, was für türkische Verhältnisse schon beeindruckend ist. Karagümrük liegt im Herzen von Istanbul, gilt gemeinhin als Problembezirk der Stadt, in dem die Polizei hin und wieder vorbeischauen muss, um für Recht und Ordnung zu sorgen.
Wahrscheinlich ist der Ruf aber schlechter als die Realität. Die Karagümrüker sind stolz auf ihre Verbundenheit zum Viertel und auf den großen Zusammenhalt, der hier herrscht. Eigentlich perfekte Vorzeichen für einen Fußballklub, aber Karagümrük hat zwei Probleme: Der Klub hat kein Trainingsgelände und kein Stadion.
Galatasaray verpasst Meistertitel um zwei Tore
Die einstige Infrastruktur genügte nicht, um als Profi-Team in der Süper Lig anzutreten. Weil der Aufstieg aber dennoch gelang, ging es nicht anders. Die Mannschaft trainiert auf einem Nebenplatz des Istanbuler Olympiastadions. Da hier aber auch andere Sportvereine trainieren, muss man sich die Reservierung früh ergattern. Linien und Kreise eines Fußballplatzes gibt es nicht. Die müssen sich die Spieler dazu denken.
Die Heimspiele absolvierte Karagümrük in mehr als 15 verschiedenen Stadien. Dass in Karagümrük mit Lucas Biglia, Fabio Borini oder Emiliano Viviano ehemalige Serie-A-Größen unterwegs sind, darf man eigentlich keinem erzählen. Sie haben Karagümrük aber auf Platz acht gebracht, doch dem Klub reicht das nicht. Präsident und Besitzer Süleyman Hurma sagt: "Ich will irgendwann Meister werden."
Ja, die Geschichte von Karagümrük hält als guter Einstieg oder gar als Hauptteil für die Geschichte der abgelaufenen Süper-Lig-Saison her. Aber es geht noch besser. Bleiben wir in Istanbul, ein paar Kilometer weiter weg, Haltestelle Galatasaray. Wer all die Geschichten rund um den türkischen Rekordmeister in den letzten Monaten mitbekommen hat, fragt sich, wie es sein kann, dass Galatasaray die Meisterschaft am Ende nur wegen zweier zu wenig geschossener Tore verpasst hat.
Weshalb Gala seinen Stamm-Spielmacher hinausschmiss
Da ist der ewige Streit zwischen Präsident Mustafa Cengiz und Trainer Fatih Terim. Der Imperator, wie Terim liebevoll genannt wird, beansprucht viel Macht. Er entscheidet, welcher Rasenmäher gekauft wird. Er entscheidet, welche Musik im Stadion läuft. Wann gutes Wetter ist.
Doch weil auch Klub-Präsidenten in der Türkei gerne das Sagen haben, ist Cengiz von einem gemütlichen Geschäftsmann mit feinem südöstlichem Akzent, der gerne Counter Strike spielt, zu einem autoritären Machtmenschen mutiert. Die Social-Media-Abteilung des Klubs wurde offenbar dazu verdonnert, jeden Schritt des Präsidenten zu dokumentieren.
In der nun abgelaufenen Saison publizierte der Youtube-Channel des Klubs 167 verschiedene Videos - in 77 ist Cengiz der Hauptdarsteller. Weil Younes Belhanda die Platzverhältnisse im Türk-Telekom-Stadion zu Recht anprangerte und als Seitenhieb den Social-Media-Wahn der Bosse wählte, flog er raus. Auf Cengiz' Betreiben wurde der Vertrag mit Belhanda mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Mitten in der Saison musste der Stamm-Spielmacher gehen.