Es war gegen 16 Uhr Ortszeit, also etwa sechs Stunden vor Anpfiff, als bei Eintracht Frankfurts Fan-Fest in Helsinki eine wichtige Durchsage erfolgte: Wer noch kein Ticket habe, keine Sorge: Es gibt noch Restkarten! Noch Restkarten? Bei einem Europapokalspiel der Eintracht? In einem Stadion mit nur 31.500 Plätzen? Tatsächlich. Es zeigte, welche Bedeutung dem UEFA Supercup beigemessen wird.
Rund 10.000 Frankfurter waren dennoch nach Helsinki gereist. Für fast jeden anderen Klub beachtlich viele, für die Eintracht aber deutlich weniger als bei den Europa-League-Spielen der vergangenen Saison: 30.000 in Barcelona, 50.000 beim Finale in Sevilla. Gegenüber standen den Frankfurtern diesmal auch keine 70.000 Schotten, sondern nur 2.000 Madrilenen.
Entsprechend gediegen ging es in der Stadt und beim Fan-Fest zu. Statt wie in Sevilla wild eingepeitscht und getanzt wurde diesmal hauptsächlich auf Bierbänken gesessen und ein bisschen Bier getrunken, aber nicht zu viel - kein Wunder beim Preis von 8,50 Euro pro halbem Liter. "Heute ist es ein bisschen lockerer", merkte der Ex-Frankfurt-Profi und jetzige Marketing-Mitarbeiter Alex Schur bei einer kleinen Rede an. "Ich hoffe, dass sich das nicht auf die Spieler auswirkt."
Seine Hoffnungen wurden erfüllt: Nach dem Bundesliga-Fehlstart gegen den FC Bayern München zeigte die Mannschaft eine beherzte Leistung, musste sich dem Champions-League-Sieger Real aber dennoch verdient mit 0:2 geschlagen geben.
Eintracht Frankfurt: Peter Fischer greift die Ultras an
Auch beim Fan-Fest war es mit der Lockerheit schnell vorbei und zwar als Präsident Peter Fischer die Bühne betrat. Natürlich verkündete der 66-Jährige zunächst freudig, dass er selbstverständlich "auch aus diesem Pokal saufen" wolle (eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte). Dann kam er auf das Bundesliga-Auftaktspiel am Freitagabend zu sprechen und legte einen selbst für seine Verhältnisse denkwürdigen Auftritt hin.
Fischer ging es nicht um die Leistung der Mannschaft, die dem FC Bayern mit 1:6 unterlag. Es ging ihm um die Vorfälle auf den Rängen. Zur Erinnerung: Vornehmlich Frankfurter Ultras pfiffen die deutsche Nationalhymne aus, leisteten sich zur Halbzeit ein Scharmützel auf dem Platz und zündeten (genau wie Gästefans) wiederholt Pyrotechnik. "Jungs und Mädels, was ist da passiert?", fragte Fischer in die Runde, in der sich wohl keine Ultras befanden. Die aktive Fanszene der Eintracht war nicht nach Helsinki gereist, dem Vernehmen nach lehnt sie das Event wegen der Kommerzialisierung der UEFA ab.
Trotzdem fand sich ein Anhänger, der Fischers eher rhetorische Frage mit einem lautstarken "Nichts" beantwortete. Und das brachte den Präsidenten in Rage: "Wir machen Schluss, wir machen das Ding zu. Dann war es das für die, die hier 'Weiter, weiter, nichts, nichts' schreien. Diese Scheiße höre ich mir nicht an von dir! Ich schmeiß' dich raus! Du kriegst Stadionverbot!"
Eintracht Frankfurt droht Geisterspiel in der Champions League
Es war eine Drohung an einen Einzelnen, die aber letztlich an hunderte Ultras oder Ultras-nahe Fans gerichtet war, mit denen der Klub in den vergangenen Jahren vornehmlich eher milde umgegangen war. In seiner gewohnt derben Sprache parlierte Fischer diesmal aber über "Arschlöcher", "Feuer-Scheiße" und "Idioten-Scheiße". Dann erzählte er vom Vorabend des Supercups, als er mit UEFA-Präsident Aleksander Ceferin an einem Tisch gesessen habe.
"Wenn bei euch in irgendeinem Champions-League-Spiel Scheiße passiert, dann heißt das danach: Geisterspiel in Frankfurt", habe ihm Ceferin mitgeteilt. Für den Platzsturm in Folge des siegreichen Halbfinals gegen West Ham United (sowie einige andere Vergehen) bedachte die UEFA Frankfurt bekanntlich mit einem Geisterspiel auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 80.000 Euro. Der Großteil der beim Fan-Fest Anwesenden bestätigte Fischer für seine Ausführungen mit Applaus, viele äußerten sich auch bei anschließenden Gesprächen kritisch über das Gebaren der Ultras.
Wären die Adressaten der Kritik zugegen gewesen, hätten sie aber durchaus darauf verweisen können, dass bei den Feierlichkeiten nach dem Europa-League-Sieg auf dem Römer auch Eintracht-Spieler vor den Augen von Klub-Verantwortlichen ungehindert Pyrotechnik zünden durften. Oder darauf, dass sie mit ihren Anfeuerungen und Choreografien die Kulisse der epischen Europa-League-Saison entscheidend mitgestalteten. Sie riefen zur weißen Wand in Sevilla auf. Sie schufen Bilder, mit der sich die Eintracht auch selbst schmückte und international positive Aufmerksamkeit bekam.
Eintracht Frankfurt befindet sich in einer Zwickmühle
Die nach Helsinki gereisten etwas weniger hartgesotteten Fans sorgten beim Marsch zum Stadion, den Fischer selbstverständlich auch besuchte, und vor allem in der ersten Halbzeit des Spiels zwar ebenfalls für eine passable Stimmung. Vor allem in Anbetracht der sich anbahnenden Niederlage nahmen die Anfeuerungen nach der Pause aber arg ab. Ein Einpeitschen für das Comeback blieb aus, gefeiert wurde die Mannschaft nach Abpfiff dennoch.
Die Eintracht befindet sich beim Umgang mit seinen Ultras in einer Zwickmühle: Einerseits profitiert sie von ihrem Engagement, andererseits leidet sie unter ihren Verfehlungen. Fanatismus schlägt bekanntlich in alle Richtungen aus. Ein Geisterspiel in der Champions League würde dem Klub nicht nur einen beträchtlichen finanziellen Schaden, sondern auch einen Imageverlust bescheren - wie es schon beim Bundesliga-Eröffnungsspiel der Fall war.
Mit seiner verbalen Attacke begab sich Fischer auf einen womöglich unausweichlichen, sicherlich aber schmalen Grat. Vermutlich wusste er das schon während seiner Ausführungen ganz genau, unter Tränen sagte er am Ende noch: "Ich liebe euch, ihr seid meine Familie, sonst habe ich nichts."
Ausgerechnet in der erfolgreichsten Phase der jüngeren Klub-Geschichte mit einem Europa-League-Triumph hinter und der ersten Königsklassen-Saison seit 62 Jahren vor sich droht dieser Familie aber gerade eine Spaltung. Die zuletzt so umjubelte Einheit schlittert einem veritablen Familienstreit entgegen.