"Ajax zu trainieren ist eine Chance, die ich nur einmal im Leben bekomme." Peter Bosz war als Coach nie ein großer Name. Und nie war er bei einem großen Namen angestellt. Heracles Almelo, drei Jahre Vitesse Arnheim, danach Maccabi Tel Aviv, mit denen er nie verlor und sogar ins Pokalendspiel einzog - Namen, die man kennt. Namen aber auch, die sich fernab der fußballerischen Elite bewegen.
Nun glänzt auch Ajax mehr mit seiner ruhmreichen Historie als mit Siegeszügen in der jüngeren Vergangenheit. Doch Bosz ergriff die einmalige Chance, die Niederländer wieder in Richtung alter Erfolge zu führen. Das tut der 53-Jährige tatsächlich, trotz anfänglich gehobener Augenbrauen am Markermeer.
"Am Anfang herrschte noch ein wenig Skepsis in Amsterdam, da er nur Trainer bei Heracles, Vitesse und Maccabi war, das sind gute Vereine - aber keine Spitzenvereine", erklärt der niederländische Journalist Leon ten Voorde gegenüber SPOX.
Auch Bosz' Vergangenheit als Spieler bei Erzrivale Feyenoord untermauerte die Skepsis eher, als sie zu verdrängen.
Kein leichter Einstieg
Neues Umfeld, neue Herausforderung und große Skepsis - Bosz' Einstieg bei Ajax war also alles andere als leicht. Zumal anfänglich nicht nur die Resultate, sondern auch die fußballerische Kunst ausblieben. In der Champions-League-Qualifikation gegen Rostov im August hatten die Niederländer nicht einmal eine Torchance.
Bosz ließ sich jedoch nicht verunsichern und blieb, wie er es bis heute tut, seiner Linie treu. Er krempelte den Kader radikal um und schreckte dabei auch vor einigen hochgehandelten Talenten nicht zurück. "Er hatte Streit mit Riechedly Bazoer, der als großes Talent in Holland galt. Bosz hat gesagt, dass er gehen darf", erzählt ten Voorde. Heute steht Bazoer in der Bundesliga beim VfL Wolfsburg unter Vertrag.
Auch Nemanja Gudelj und Anwar El Ghazi mussten den Verein verlassen. Beide keine 25 Jahre alt, beide unangefochtene Stammspieler.
Doch im Gegenzug holte Bosz Talente wie Davison Sanchez, lieh sich Bertrand Traore vom FC Chelsea aus und investierte elf Millionen in Hakim Ziyech, der aus Enschede kam. Eine bemerkenswerte Summe für den Verein, die sich aber bezahlt machen sollte: Der junge Niederländer entwickelte sich zu einem der wichtigsten Bausteine des neuen Ajax.
"Ich wusste, dass ich eines Tages Trainer werden will"
Auch scheinen die Zeiten vorbei, in denen Ajax jedes halbwegs verheißungsvolle Talent schon verliert, bevor der Spieler überhaupt in Amsterdam Fuß gefasst hat. "Sie haben viele sehr gute Jugendspieler. Sehr talentvoll", sagt ten Voorde. In der Tat erlebt Ajax eine Wende. Eine Wende, für die vor allem Coach Bosz verantwortlich ist.
Der wollte schon "mit 16 Jahren Trainer werden", wie er dem Guardian verriet. Vor allem inspiriert von seinem Idol Johan Cruyff, dem Aushängeschild des niederländischen Fußballs, bereitete sich Bosz auf seinen Traum vor: Er schrieb alles auf, was seine damaligen Trainer richtig und falsch gemacht hatten. Er las so viel von Cruyff, dass er bald sein eigenes Buch über den Fußballlehrer beisammen hatte, voller Artikel und Interviews, sortiert nach: Angriff, Abwehr, Taktik.
Was Bosz aus seiner Zeit als Lernender mit sich nahm: Ohne Furcht offensiven und attraktiven Fußball zu spielen. Bei Ballverlust den Gegenspieler innerhalb von Sekunden unter großen Druck setzen, bei eigenem Besitz mit Kreativität und hohem Tempo nach vorne spielen.
Die Zwei-Sekunden Regel
Um dieses intensive Spiel aufrecht zu erhalten, benötigt man sowohl mentale Stärke als auch eine gute körperliche Fitness. Ein Grund für den blutjungen Kader der Niederländer. Das schnelle Pressing, das schnelle Ballwiedergewinnen, erinnert auch an Pep Guardiola, ein weiteres Vorbild von Bosz. Aber: "Barcelona hat eine Drei-Sekunden-Regel. Wir sind nicht Barcelona, also habe ich eine zwei-Sekunden Regel eingeführt."
Diese Philosophie brachte lange viele Kritiker mit sich. "In Holland hat man gesagt, er sei zu naiv. Immer. Er könne nie im Kampf um einen großen Titel mithalten, weil seine Mannschaften zu blauäugig spielen", sagt ten Voorde.
Und jetzt? Hat er nicht nur Ajax wieder auf den Weg zu einem Top-Team gebracht, sonder spielt um einen großen Titel. "Ajax ist zwar zum dritten Mal in Folge kein Meister, aber eine holländische Mannschaft im Europacup-Finale, das ist wie ein Traum für unseren Fußball. Jetzt steht er mit einer sehr jungen Mannschaft extrem gut da und die Skepsis ist damit natürlich verflogen", resümiert ten Voorde.
Bosz bald in der Bundesliga?
Ein baldiger Abschied ist damit ausgeschlossen, auch wenn vor allem in Deutschland Bosz' Ansehen wächst. Nicht zuletzt aufgrund der Europa-League-Partien gegen Schalke 04.
"Das war das beste Spiel seit Jahren in Holland", sagt ten Voorde über das Hinspiel im Viertelfinale: "Die Leute in Holland, auch die Nicht-Ajax-Fans, waren überrascht. Ajax hat einfach überragend gespielt."
Den Sprung ins deutsche Oberhaus würde ten Voorde dem 53-Jährigen in Zukunft aber zutrauen: "Vielleicht wäre er ein guter Trainer für einen Verein wie Leverkusen. Junge Spieler, viele Talente, offensiv..."
Mourinho: "Ajax verdient Finale nicht"
Doch zunächst rückt das große Finale gegen Manchester United (Mi., 20.45 Uhr im LIVETICKER) immer näher. Ein Finale, in dessen Vorfeld schon fleißig Giftpfeile gen Ajax fliegen. "Sie sollten rausfliegen. Sie sollten nicht die Möglichkeit bekommen, nach der Champions League in der Europa League weiterzuspielen. Die Europa League ist für Mannschaften, die sich für die Europa League qualifiziert haben, so wie wir", sagte Jose Mourinho auf einer Pressekonferenz.
Die Red Devils gehen natürlich als großer Favorit in das Endspiel von Stockholm. "Jeder sagt, United ist der große Favorit. Ist ja klar, Ajax' Mannschaft kostet um die 25 Millionen - und das ist vielleicht ein Finger von Pogba", scherzt ten Voorde.
Chancenlos sind Bosz' junge Wilde aber bei Weitem nicht. Und sollte Ajax tatsächlich für die große Überraschung sorgen, es wäre die Krönung für Bosz' Mut, neue Wege zu gehen. Und seiner Philosophie, trotz aller Kritiker, treu zu bleiben.
Ajax Amsterdam in der Übersicht