Am 20. November 2022 begann die umstrittenste Fußball-WM der Geschichte. Ein Jahr nach der Endrunde in Katar ist die Kritik nicht verstummt.
Die protzigen Stadien stehen eingezäunt in der Wüste, der Sand weht über die Parkplätze, es herrscht gespenstische Stille. Wie Mahnmale erinnern die acht Arenen ein Jahr nach dem Beginn der Fußball-WM an all das, was rund um die umstrittenste Endrunde der Geschichte in Katar schiefgegangen ist. Doch die Zukunft sieht noch düsterer aus.
"Die FIFA läuft in das nächste Menschenrechtsdesaster", sagte Deutschland-Direktor Wenzel Michalski von Human Rights Watch (HRW) mit Blick auf die fast schon sichere Vergabe der WM 2034 durch den Weltverband an Katars großen Nachbarn Saudi-Arabien dem SID: "Das ist ein Hohn. Jeder, der geglaubt hat, dass die FIFA da ernst macht und eine seriöse Organisation ist, muss sich jetzt veräppelt fühlen. Saudi-Arabien ist in vielen Punkten schlimmer als Katar."
Dabei waren weite Teile der Welt schon am 18. Dezember 2022 peinlich berührt. Als Katars Emir nach dem Finale der 22. Endrunde dem argentinischen Weltmeister-Kapitän Lionel Messi das traditionelle Männergewand umhängte, war die Vereinnahmung des Fußball durch einen Staat perfekt.
Garniert wurde das Schauspiel, das sich Katar über 200 Milliarden Euro kosten ließ, durch Gianni Infantino. Der FIFA-Boss bescheinigte dem Gastgeber die Ausrichtung der "besten WM der Geschichte".
"Die WM war eine Katastrophe für den Fußball"
Menschenrechts-Organisationen wie HRW und Amnesty International (AI) sehen das auch ein Jahr später ganz anders. Menschenrechtsverletzungen seien nach wie vor an der Tagesordnung, versprochene Arbeitsrechtsreformen zu großen Teilen nicht umgesetzt worden. "Die WM war eine Katastrophe für den Fußball, für die Spieler, für die Fans und für die Gastarbeiter", sagte HRW-Direktorin Minky Worden: "Es ist ein schrecklicher Fleck in der Geschichte der FIFA."
Doch der Weltverband hat laut Worden seine "Lektion nicht gelernt": "Die Möglichkeit, dass die FIFA Saudi-Arabien den Zuschlag für die WM 2034 erteilt, obwohl das Land eine erschreckende Menschenrechtsbilanz aufweist und sich jeglicher Kontrolle verschließt, entlarvt die Menschenrechtsverpflichtungen der FIFA als Augenwischerei."
Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB), dessen Auswahl in Katar zum zweiten Mal in Folge desaströs in der Vorrunde scheiterte, steht am Pranger. Nach dem Fiasko bei der "Binden-Debatte" muss sich Präsident Bernd Neuendorf erneut heftige Kritik gefallen lassen. Bevor der DFB-Boss im April sein Amt im FIFA-Council übernommen hat, forderte er mehr Transparenz bei den Entscheidungen - und konnte als Teil des Systems nicht dafür sorgen.
"Die Werte, die die FIFA und untergeordnete Verbände sich geben, sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurden. Das Verhalten ist wirklich beschämend", sagte Michalski: "Der Fußball macht sich zum Handlanger." Sogar der größte Einzelsportverband der Welt ist laut Michalski ganz klein.
"Der DFB verrät seine eigenen Werte"
"Wenn man dann mal nachfragt, heißt es immer nur: Wir haben doch auch nicht so viel Einfluss, und viele andere stört es ja nicht - was sollen wir da machen? Das ist ein bequemes sich Herausreden", äußerte der Direktor: "Der DFB verrät seine eigenen Werte, die Werte des Sports." Der Verband müsse "anfangen, die Ärmel hochkrempeln und Druck auf die FIFA" ausüben: "Das ist das, was sie machen müssten, aber ich sehe nicht, dass sie das machen."
Auch rückblickend auf die WM 2022 muss das konstatiert werden. Neuendorf hatte stets die Forderung nach einem Entschädigungsfonds in Höhe von rund 400 Millionen Euro für verletzte oder getötete Arbeiter unterstützt. Der DFB-Chef war auch für die Einrichtung eines Anlaufzentrums für die Arbeitsmigranten. Dabei sah er die katarische Regierung und die FIFA in der Pflicht. Ob und wie Neuendorf dafür als FIFA-Funktionär kämpft, ist unbekannt.
Am Ende gilt für die Endrunde in Katar wohl der Titel, mit dem die ARD ihre Dokumentation überschrieben hat: "WM der Schande". Dabei war übrigens auch das sogenannte Container-Stadion zu sehen, das entgegen der gepriesenen Nachhaltigkeit-Strategie immer noch nicht abgebaut wurde - und als Mahnmal in der Wüste steht.