Am Dienstag gibt Bundestrainer Joachim Löw im Deutschen Fußball-Museum in Dortmund seinen vorläufigen WM-Kader bekannt. Im Vorfeld hat die Fußball-Redaktion von SPOX die wichtigsten Personalien diskutiert: Ist noch Platz für Manuel Neuer? Welche Stürmer sind dabei? Was passiert mit Finalheld Mario Götze? Und wie soll die Aufstellung am 17. Juni gegen Mexiko lauten?
These 1: Im Kader ist kein Platz für Manuel Neuer
Jochen Tittmar (SPOX-Redakteur): Doch, es ist Platz und Löw wird ihm diesen auch einräumen. Ich gehe davon aus, dass der Bundestrainer Neuer für das Trainingslager nominiert, ihn sich dort dann genau anschaut und in gemeinsamer Absprache entscheidet, wie man weiter verfährt. Der Aspekt Zeit wird in jedem Fall eine große Rolle spielen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass Löw in den beiden letzten Testspielen Neuer Einsatzzeit geben wird. Sollte es für den Posten als Nummer eins nicht reichen, wird Neuer von sich aus auf die WM verzichten.
Andreas Lehner (SPOX-Fußballchef): Sehe ich ähnlich. Die Entscheidung in dieser Personalie liegt einzig und allein bei Neuer. Nur er kann entscheiden, ob er fit und bereit ist für die Belastungen während des Turniers. Löw wird ihn auf jeden Fall mit nach Südtirol nehmen und dann wird am letzten Tag der endgültigen Nominierungsfrist die Entscheidung fallen. Ist Neuer fit, geht er als Nummer eins ins Turnier - da reichen auch die zwei Testspiele als Vorbereitung. Ist er nicht zu 100 Prozent belastbar, bleibt er zuhause. Ihn als Nummer zwei oder drei mitzunehmen, wäre ein Fehler.
gettyJochen Rabe (SPOX-Redakteur): Ich möchte die These in eine Frage umformulieren: Ist in der Stammelf Platz für Neuer? Das würde ich mit einem klaren Nein beantworten. Bei allen Verdiensten: Neuer hat seit neun Monaten kein Pflichtspiel mehr bestritten und über den Zeitraum eines Jahres nur vier. Das ist einfach zu wenig. Er wäre vielleicht eine Option, wenn es keine Alternative gäbe. Die ist ter Stegen aber. Er hat bei Barca erneut eine überragende Saison gespielt und patzt kaum noch, dazu hat er sich durch seine Performances beim Confed Cup auch in der Nationalmannschaft freigeschwommen. Deswegen ist er für mich auch bei der WM gesetzt. Natürlich wäre noch "Platz" für Neuer im Kader. Letztlich ist es ja im Prinzip egal, wer zweiter und dritter Torhüter ist. Und an sich wäre es gut, einen zweiten Weltklassetorhüter dabei zu haben. Das wird aber nicht passieren, es ist auch nicht Neuers Anspruch. Deswegen stimme ich der These zu, dass für ihn kein Platz ist.
Stefan Petri (Nationalmannschaftsreporter SPOX): Bei aller Liebe zu ter Stegen, Jochen: Neuer hat bei der WM 2014 den Unterschied gemacht, und zwar nicht nur auf der Linie oder bei seinen Ausflügen in die Strafraum-Peripherie. Vor allem der psychologische Aspekt würde fehlen - es geht eben nicht mehr gegen den besten Torwart, sondern nur gegen einen der besten. Aber auch wenn Löw seinem Stammkeeper alle Zeit der Welt eingeräumt hat, ganz ohne Einsatz wird er nicht mitfahren. Bei den Bayern ist dieser Zug abgefahren, eure Varianten überzeugen mich nicht: Neuer als vierter Torhüter im Trainingslager, wo er sich in den Tests noch einmal zeigen darf? Oder gar als zweiter/dritter Torwart, der sich während des Turniers weiter fit macht und dann irgendwann übernimmt? Beides würde nur Unruhe in die Mannschaft bringen - und was soll ter Stegen denken, wenn Neuer nach einem halben Jahr Pause und ein paar Testspielminuten in Südtirol plötzlich vor ihm liegt? So weh es tut: Neuer ist eben doch nicht rechtzeitig fit geworden.
Seite 2: Löw sollte Wagner und Gomez mitnehmen
Jochen Tittmar (SPOX-Redakteur): Ich bin davon überzeugt, dass Löw beide ins Trainingslager mitnehmen wird. In den Testspielen werden dann beide ausreichend Spielzeit erhalten. Es wird eine Frage der aktuellen Tagesform, wer letztlich mit nach Russland fährt. Ich tendiere aufgrund der international größeren Erfahrung zu Gomez, würde es aber für sinnvoll halten, einfach beide mitzunehmen. Ja, sie sind ähnliche Spielertypen - na und? Das muss für mich nicht gleichzeitig ein Ausschlusskriterium bedeuten. Im Notfall auf eine falsche Neun oder einen nicht gelernten Stürmer zu bauen, hielte ich für den falschen Weg.
Stefan Petri (Nationalmannschaftsreporter SPOX): Ich hatte Gomez Ende März nach den Länderspielen leicht vorn gesehen und sehe nicht, dass sich die Situation groß geändert hat. Aber die Konkurrenzsituation im Sturm allgemein hat sich durch die Verletzungen Gnabrys und Stindls natürlich enorm geändert. So hätte man mit Werner und Gomez/Wagner nur noch zwei wirkliche Stürmer dabei, Müller wird ja auch von Löw nicht mehr als echte Spitze gesehen. Das ist schon eine eher dünne Besetzung. Andererseits macht es aber keinen Sinn, beide mitzunehmen, wenn es keine Chance gibt, dass sie beide im gleichen Spiel zum Einsatz kommen. Und diese Wahrscheinlichkeit läge grob geschätzt bei 0,1 Prozent. Ich glaube, dass Löw lieber in die Breite der Offensive investieren wird. Sollten sich dann tatsächlich Werner und/oder Gomez verletzen, wird eben die falsche Neun reaktiviert.
Jochen Rabe (SPOX-Redakteur): Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er beide mitnimmt. Dafür ist ihre Wirkung, die man mit einer Einwechslung erreichen will, zu ähnlich. Wenngleich ich Gomez als Spieler und als Mensch sehr gerne mag, sehe ich Wagner im Vorteil. Ich glaube, er kann ein größerer Faktor für die Stimmung im Team sein. Außerdem hat er im letzten halben Jahr mit den Bayern trainiert und gespielt, er kennt die Flanken von Kimmich aus dem Effeff. Dadurch ist er bei Flanken womöglich die größere Waffe im Strafraum. Außerdem hat er eine Galligkeit und eine Einstellung, die im Kader beinahe kein anderer einbringen kann. Im Gesamtpaket ist Wagner deshalb eher eine Option als Gomez.
Andreas Lehner (SPOX-Fußballchef): Ein Keilstürmer reicht, um in gewissen Momenten die Körperlichkeit im Zentrum zu erhöhen. Also gibt es für mich nur Gomez oder Wagner. Werner ist im Sturm gesetzt und zwei Kaderplätze mit Backup-Stürmern zu blockieren, halte ich nicht für sinnvoll. Im Endeffekt hat Wagner in der Rückrunde seine Torgefährlichkeit in der Bundesliga unterstrichen - ebenso wie Gomez -, in der Champions League hat er nur 50 Minuten gespielt. Der Erkenntnisgewinn für Löw seit dem Wechsel zu Bayern ist also eher gering. Ich glaube, er nimmt Gomez mit.
Seite 3: Mario Götze verbringt die WM ...
Jochen Tittmar (SPOX-Redakteur): ...in Russland. Natürlich fehlen Götze Rhythmus und die absolute Top-Form. Ich kann mir aufgrund von Löws jahrelanger Wertschätzung für Götze und der Tatsache, dass eine Nicht-Nominierung beinahe einem Politikum gleichkäme, nicht vorstellen, dass er auf den WM-Siegtorschützen verzichtet - auch wenn es gute Gründe dafür gäbe.
Stefan Petri (Nationalmannschaftsreporter SPOX): ... in den Flitterwochen. Bei aller Wertschätzung für sein goldenes Tor 2014 gibt es keine wirklichen Argumente, ihn mitzunehmen. Seine Leistung verkörpert schon lange keine Weltklasse mehr, und die braucht es für den fünften Stern. Könnte Löw aus Götze wieder ein paar Prozent mehr herauskitzeln, wie es ihm so viele Jahre bei Miro Klose gelang? Möglich, aber im Mittelfeld gibt es genügend Alternativen. Natürlich sollte man ihn nicht abschreiben, er ist erst 25 und hat die Chance, noch viele Turniere zu spielen. Aber über einen vergleichbaren Spieler mit einem anderen Namen auf dem Trikot würden wir erst gar nicht diskutieren.
Jochen Rabe (SPOX-Redakteur): ... jedenfalls nicht in Russland. In den letzten Jahren hat Götze aus verschiedenen Gründen die Eigenschaften verloren, die ihn unverzichtbar machen. In allen Bereichen, in denen er stark ist, sind andere besser oder mindestens gleich gut. Für die Offensive ist er nicht mehr spritzig genug, die starken Pässe spielen auch Gündogan, Kroos oder Özil. Deswegen wird er der größte Härtefall werden und nicht mitfahren.
Andreas Lehner (SPOX-Fußballchef): ... als Ergänzungsspieler in Russland. In meinem Kadertableu profitiert er von den Verletzungen von Can und Stindl, außerdem ist für mich Rudy noch ein Wackelkandidat nach seiner schwachen Rückrunde in München. Deshalb gehe ich von einer Nominierung Götzes aus. Er hat jetzt nicht die Sterne vom Himmel gespielt, aber das hat er vor vier Jahren auch nicht. Er hatte seinen großen Moment im Finale. Und für Momente ist Götze auch jetzt noch gut.
Seite 4: Dieser Außenseiter hat eine Chance auf den WM-Kader
Jochen Tittmar (SPOX-Redakteur): Kai Havertz. 54 Bundesligaspiele, sieben Tore, 15 Assists - und das als 18-Jähriger. Das sind beachtliche Zahlen. Havertz ist Stammspieler in Leverkusen geworden, hoch talentiert, klar in seinen Aktionen und im Kopf. Er wird spätestens nach der WM regelmäßig zum DFB-Kader gehören. Für mich ein geeigneter Kandidat, um dessen Saison mit einer Einladung nach Südtirol zu belohnen und ihn schon einmal ein wenig auf die Nationalelf vorzubereiten. Mit zur WM wird er aber nicht genommen.
Stefan Petri (Nationalmannschaftsreporter SPOX): Philipp Max oder nix! 'Im Moment' spielt er keine Rolle, hatte Löw Ende März über den Außenverteidiger vom FCA gesagt. Hey, der Moment ist vorbei und es ist nicht so, als würden die Alternativen auf links dem Bundestrainer die Türen einrennen. Auch wenn Jonas Hector gegen Wolfsburg offenbarte, dass er wohl doch über ein paar Ecken mit Messi verwandt ist: Nichts, absolut gar nichts spricht dagegen, Max mit nach Südtirol zu nehmen. Zieht er dann gegen Hector und Plattenhardt den Kürzeren, ist es ja in Ordnung. Den zweitbesten Vorlagengeber der Liga auf einer dünn besetzen Position (!) zu ignorieren, sorgt bei mir für Kopfschütteln.
spoxJochen Rabe (SPOX-Redakteur): Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass ein Überraschungskandidat eher unwahrscheinlich ist, oder? Spätestens seit dem Confed Cup ist der Kreis der "ersten Garde" so sehr erweitert, dass schon da Streichkandidaten en masse dabei sind. Ich sehe aber klitzekleine Außenseiterchancen bei Mark Uth. Vor allem nach Stindls Ausfall wäre er potentiell jemand, der als variabler Offensivspieler einen ähnlichen Spielertypus verkörpert. Vielleicht sieht ihn sich Löw in Südtirol ja einmal an. Spannend wäre es.
Andreas Lehner (SPOX-Fußballchef): Wenn er als 'Oldie' noch als Überraschung durchgeht, dann Bene Höwedes. Falls das nicht gelten sollte, dann Daniel Caligiuri. Der war zwar schon mal für Italien nominiert, kam aber nicht zum Einsatz, er dürfte also für Deutschland auflaufen. Und einen Backup für Kimmich als Rechtsverteidiger gibt es im Kader nicht, falls Can verletzt ausfällt und Rudy kein Ticket bekommen sollte.
Seite 5: So sollte die Startelf gegen Mexiko aussehen
Jochen Tittmar (SPOX-Redakteur): Wenn Neuer nicht mitkommt, kann nur ter Stegen im Tor stehen. Die Viererkette ist alternativlos, Kroos im Mittelfeld und Werner im Sturm ebenfalls. Gündogan hat in der Nationalelf für mich noch nicht hundertprozentig funktioniert, daher halte ich Khedira für den Moment als idealen Kroos-Partner. Vor diesen beiden und hinter Werner sehe ich die Reihe Müller-Özil-Reus, von rechts nach links. Der Dortmunder war zuletzt gut drauf und wird sich ein enges Rennen mit Sane und Draxler liefern - ist aber die stärkere Persönlichkeit.
spoxAndreas Lehner (SPOX-Fußballchef): Ich wünsche Neuer, dass er fit wird, deshalb entscheide ich mich einfach mal für ihn im Tor. Über die Abwehr brauchen wir nicht reden. Für die Gruppenspiele, in denen Deutschland als Titelverteidiger immer klarer Favorit ist, würde ich gerne eine spielstarke und sehr offensive Ausrichtung sehen. Aber das ist jetzt eher eine Wunschelf als eine Einschätzung von Löws erster Elf gegen Mexiko, die wird wohl so aussehen wie beim Kollegen Tittmar.
spoxStefan Petri (Nationalmannschaftsreporter SPOX):Natürlich kommt es auf den Gegner an. Aber in der Vorrunde würde ich gegen nominell schwächere Gegner auf ein 4-5-1 setzen, mit der spielstarken Doppelsechs Kroos-Gündogan und Reus und Sane auf den Außen. Werner (oder Gomez) als Spitze, Müller dahinter mit allen Freiheiten, der auch mal die Position mit Reus tauscht. Ein Regisseur wie Özil fiele weg, ist bei dieser Offensive aber zu verschmerzen. Hector hat hinten links die Nase erst einmal vorn, aber wenn die Flanken fehlen ... habe ich erwähnt, dass ich gerne Philipp Max dabei hätte?
SPOXJochen Rabe (SPOX-Redakteur): Im Tor steht für mich wie gesagt definitiv ter Stegen. Die Viererkette sollte für den Fall, dass Boateng fit wird, mit ihm, Hector, Hummels und Kimmich gesetzt sein. Im Verletzungsfall spielt Süle. Auch Werner als Mittelstürmer scheint mir recht sicher. Im Mittelfeld gibt es zahlreiche Varianten. Ich persönlich fände auch Stefans Mittelfeldbesetzung am charmantesten. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass Löw zunächst Khedira und Draxler den Vorzug vor Gündogan und Sane gibt. Womöglich auch Özil statt Reus.
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