Bernd Neuendorf verurteilte die "Machtdemonstration der FIFA", dann klopfte der DFB-Präsident seinem Kapitän Manuel Neuer aufmunternd beim Warmmachen auf die Schulter. Die Verbitterung nach dem "One Love"-Eklat konnte im deutschen WM-Quartier dennoch niemand verbergen. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und seine europäischen Verbündeten mussten sich im Kampf um ihre Kapitänsbinde dem als erpresserisch empfundenen Druck des Weltverbands beugen.
"Es handelt sich um eine Machtdemonstration der FIFA", äußerte Neuendorf, der von einem "weiteren Tiefschlag" sprach. "Die Drohung von sportlichen Konsequenzen war eindeutig", sagte der DFB-Boss, der Vorwürfe hinsichtlich eines eingeknickten DFB zurückwies: "Wir stehen zu unseren Werten und werden diese auch weiter während des Turniers vertreten."
Schon zuvor war Neuendorf deutlich geworden. "Wir erleben einen beispiellosen Vorgang in der WM-Geschichte", sagte der 61-Jährige zum Endrunden-Aus für das Menschenrechts-Symbol: "Die von der FIFA herbeigeführte Konfrontation werden wir nicht auf dem Rücken von Manuel Neuer austragen."
Neuer wird bei der Endrunde also doch nicht mit der vielfarbigen Binde inklusive Herz auflaufen. Das gilt auch für die Spielführer aus England, Wales, Belgien, Dänemark, den Niederlanden und der Schweiz.
Human Rights Watch übt scharfe Kritik
Human Rights Watch ließ keine Zweifel daran, was sie vom FIFA-Verbot hält. "Selbst diese symbolische Geste der Solidarität mit LGBT-Personen wird von der FIFA und den Behörden in Katar nicht erlaubt", betonte die Menschenrechts-Organisation: "Sie sagen den Spielern im Wesentlichen, dass sie die Klappe halten und spielen sollen."
Auch die verbündeten Verbände kritisierten das Gebaren des Weltverbands scharf. "Wir sind sehr frustriert über die FIFA-Entscheidung", hieß es: "Unsere Spieler und Trainer sind enttäuscht, sie sind starke Befürworter von Inklusion und werden ihre Unterstützung auf andere Weise zeigen."
Zeitgleich hatte der Weltverband in seiner Mitteilung unmissverständlich klar gemacht, dass der "Spielführer jeder Mannschaft die von der FIFA zur Verfügung gestellte Armbinde tragen muss". Die Kapitäne könnten nun mit den vom Weltverband bereitgestellten Binden auflaufen.
Gianni Infantino: "Jeder ist willkommen"
Gianni Infantino betonte noch einmal, dass alle WM-Gäste in Katar sicher seien. "Ich habe mit der höchsten Führung des Landes über dieses Thema gesprochen", sagte der FIFA-Präsident: "Sie hat bestätigt, und ich kann bestätigen, dass jeder willkommen ist. Wenn jemand das Gegenteil behauptet, dann ist das nicht die Meinung des Landes und schon gar nicht die Meinung der FIFA."
Die Meinung der FIFA teilen der DFB und seine Mitstreiter schon längst nicht mehr. Der Streit um die Binde verdeutlichte erneut, dass vor allem der deutsche Verband in Opposition zur FIFA um ihren umstritten Präsidenten steht.
"Wir waren willens, Geldstrafen zu zahlen, die normalerweise bei Verstößen gegen die Ausrüstungsvorschriften verhängt werden", erklärten die Europäer: "Wir können unsere Spieler jedoch nicht in die Situation bringen, dass sie verwarnt oder gar gezwungen werden, das Spielfeld zu verlassen."
Harsche Kritik an der FIFA gab es auch vonseiten der organisierten Anhänger. "Um Gianni Infantino zu zitieren: Heute werden sich LGBT+-Fußballfans und ihre Verbündeten wütend fühlen. Heute fühlen wir uns verraten", schrieb die Fan-Organisation Football Supporters' Association (FSA): "Heute empfinden wir Verachtung für eine Organisation, die ihre wahren Werte unter Beweis gestellt hat, indem sie den Spielern die Gelbe Karte und der Toleranz die Rote Karte gezeigt hat."
Nach Ansicht der FSA sollte "nie wieder" eine WM "ausschließlich auf der Grundlage von Geld und Infrastruktur" vergeben werden: "Keinem Land, das bei LGBT+-Rechten, Frauenrechten, Arbeitnehmerrechten oder einem anderen universellen Menschenrecht versagt, sollte die Ehre zuteil werden, eine WM auszurichten".