Miroslav Stevic ist seit Anfang Februar als Sportdirektor bei 1860 München im Amt. Der Ex-Profi hat zusammen mit Geschäftsführer Manfred Stoffers das Sagen bei Sechzig. Im SPOX-Interview spricht der 39-Jährige über die vergangenen, turbulenten Wochen bei den Löwen, einen möglichen Wechsel der Bender-Zwillinge, seinen neuen Trainer Uwe Wolf und die Gründe, die zur Entlassung von Marco Kurz geführt haben.
SPOX: Zwei Ihrer begehrtesten Spieler sind die Bender-Zwillinge. Um das Duo gab es in den letzten Tagen einige Gerüchte. Wie steht es um die zwei?
Miroslav Stevic: Ich habe mit Lars und seinem Berater gesprochen und wir werden eine Entscheidung treffen, mit der alle Beteiligten zufrieden sein können. Ich bin seit dem 2. Februar für den sportlichen Bereich zuständig, was davor lief, kann ich nicht beurteilen. Klarerweise vertritt der Berater die Interessen seiner Spieler. Ich habe aber nur das Wohlergehen von 1860 im Sinn.
SPOX: Was wäre für Sie eine ideale Lösung?
Stevic: Ich habe einige Szenarien im Kopf, dieses Thema können wir aber erst in ein paar Monaten besprechen. Jetzt zählt nur, dass beide Benders gute Leistung bringen.
SPOX: In spanischen Medien wurde am Freitag sogar über ein Interesse von Real Madrid an den Benders spekuliert.
Stevic: Ich habe mit den Jungs und ihrem Berater gesprochen. Wir werden uns nicht an solchen Spekulationen in der Öffentlichkeit beteiligen.
SPOX: Am Dienstag machte die Mannschaft einen ungewöhnlichen Ausflug auf die Winklmoos-Alm. Wie war die Bergtour?
Stevic: Das hat der Mannschaft sehr gut getan. Solche Ausflüge sind immer gut für die Kameradschaft und das Wir-Gefühl.
SPOX: Trainer Uwe Wolf sagte, man wolle sich mit dieser Tour an die Luft oben gewöhnen und daran, wie es ist, an der Spitze zu sein. Ist das Team mit der Luft in der Höhe zurechtgekommen?
Stevic: Uwe hat vom ersten Tag an klargemacht, was er will. Das hat die Mannschaft bisher gut umgesetzt. Zwei Siege sind natürlich schön, aber das bedeutet nicht viel. Wir müssen unsere Leistung weiter bestätigen.
SPOX: Haben Sie sich so einen erfolgreichen Start mit Uwe Wolf vorgestellt?
Stevic: Ich kenne Uwe sehr lange und weiß, wie er tickt. Er hat das gemacht, was ich mir von ihm erhofft habe.
SPOX: Was zeichnet Wolf besonders aus?
Stevic: Er ist menschlich topp, hat einen guten Charakter und ist sehr geradlinig. Er weiß was er will und lebt das auch vor. Das ist sehr wichtig, denn damit ist er authentisch und glaubwürdig. Er sucht immer den kürzesten Weg zu den Köpfen der Spieler und hat bewiesen, dass er sie auch erreicht. Allerdings muss er das weiter bestätigen, denn Fußball ist einfach ein Tagesgeschäft.
SPOX: Sie waren gegen Ingolstadt sehr energisch an der Seitenlinie unterwegs und haben lautstark Anweisungen gegeben. Werden wir Sie auch in Zukunft so sehen?
Stevic: Das war eine Ausnahme, weil Uwe auf die Tribüne verbannt worden war. Dabei wurde eine Anweisung von mir auch noch falsch interpretiert. Es hieß, ich habe einem unserer Spieler zugerufen, dass er nach einem Foul liegen bleiben soll. Das stimmt nicht, das ist nicht meine Art. Ich habe nur gesagt, dass er weiterspielen soll, egal was passiert ist. Emotionen gehören nun mal zum Fußball. Wir müssen nur schauen, dass die Grenzen nicht überschritten werden.
SPOX: Kurz nach Ihrem Amtsantritt wurde Marco Kurz entlassen. Warum?
Stevic: Ich war einer der wenigen, der zu Marco gehalten hat. Viele haben seinen Kopf schon früher gefordert, aber ich bin eine Person, die bis zum Ende an jemanden glaubt. Deshalb habe ich versucht, diesen Weg mit Marco zu gehen, aber leider wollte die Mannschaft diesen Weg nicht gehen. Das Team antwortet immer mit seiner Leistung, und die hat mir Angst gemacht. Das Risiko war einfach zu groß, weiter so eine lethargische Mannschaft zu sehen.
SPOX: Gab es in Kurz' letzten Monaten so etwas wie Abnutzungserscheinungen?
Stevic: Wenn die lethargischen Vorstellungen nur in meiner Zeit als Sportdirektor vorgekommen wären, hätte ich alles versucht, sie abzustellen. Aber leider dauert dieser Prozess bei 1860 bereits drei, vier Jahre. Das hat mir Angst gemacht, denn das ist eine Krankheit, die man nicht mehr in den Griff bekommt, wenn man nicht aufpasst.
SPOX: Was macht Wolf jetzt besser?
Stevic: Das ist alles relativ, denn im Fußball zählen einzig und allein Ergebnisse. Es gibt viele Trainer, die nichts Besonderes machen, aber einfach Erfolg haben. Viele andere arbeiten gut, können aber keine Erfolge vorweisen. Marco hat akribisch und sehr professionell gearbeitet, aber wenn die Ergebnisse fehlen und deine Mannschaft nicht mitmacht, hast du schlechte Karten.
SPOX: Wolf hat mit Michael Schick bereits in seinem ersten Spiel einen neuen Mann aus dem Hut gezaubert. Wer könnte der nächste Löwen-Jungstar sein, der bei den Profis für Furore sorgt?
Stevic: Jeder talentierte Jugendspieler, der Biss hat, wird bei uns eine Chance erhalten. Ich weiß, dass einige Jungs mit diesem Ziel zu Sechzig gekommen sind und auf diese Chance warten. Diejenigen, die den größten Willen haben, werden das auch schaffen. Ein genaues Bild von den Jungen konnte ich mir noch nicht verschaffen, weil ich bisher mit dem Profiteam beschäftigt genug war. Aber ein positives Beispiel ist sicherlich Manuel Schäffler. Er hat sich gut entwickelt und ist genau auf dem richtigen Weg.
Im zweiten Teil des SPOX-Interviews spricht Stevic über die Ambitionen der Löwen in dieser und der nächsten Saison, die Notwendigkeit von Chaos und was er bei Juventus Turin gemacht hat.
SPOX: Die Löwen stehen momentan im Niemandsland der Tabelle. Was ist diese Saison noch möglich?
Stevic: Was möglich ist, wird sich am 34. Spieltag zeigen. Wir denken von Spiel zu Spiel, Platz drei spielt in unseren Überlegungen überhaupt keine Rolle.
SPOX: Kommen wir zu Ihrer Person. Sie waren zuerst als Berater tätig und arbeiten jetzt als Sportdirektor.
Stevic: Stopp, das muss ich revidieren, ich war nie Berater. Ich habe die Fußballlehrer-Ausbildung erfolgreich absolviert, unter anderem zusammen mit Marco Kurz. Als Berater bin ich genannt worden, weil ich Marko Marin seit seinem 14. Lebensjahr als Ratgeber zur Seite stehe. Das ist eine familiäre Geschichte gewesen, die ich leider Gottes nicht mehr machen kann. Er war der einzige Spieler, der mit mir in Verbindung stand. Mein Wunsch war immer als Sportdirektor zu arbeiten, weil ich da langfristig etwas aufbauen kann. Ich möchte als Visionär etwas schaffen, was später noch in Erinnerung bleibt.
SPOX: Während Ihrer Ausbildung zum Fußballlehrer haben sie unter anderem ein Praktikum bei Juventus Turin und dem damaligen Coach Didier Deschamps absolviert.
Stevic: Das war eine tolle Zeit. Juve ist ein sensationell organisierter Verein. Es ist unglaublich, wie professionell, aber gleichzeitig familiär dort gearbeitet wird. Mein Ziel ist es, bei 1860 so etwas in kleinerem Rahmen aufzuziehen.
SPOX: Sie haben bereits angedeutet, dass sich alle Spieler in der laufenden Saison für die neue Saison anbieten müssen. Wie stellen Sie sich die Löwen 2009/2010 vor?
Stevic: Das Beste was einem Spieler passieren kann, ist, dass sein Vertrag ausläuft und er sich präsentieren kann. In meiner aktiven Spielerzeit war das der Idealfall für mich. Solange wir aber noch nicht in ruhigeren Tabellenregionen sind, können wir uns noch nicht auf die neue Saison konzentrieren. Dafür brauchen wir noch zwei oder drei Siege. Deswegen ist es auch im Interesse der Spieler, schnell Erfolge einzufahren, weil wir uns dann mit ihren Verträgen beschäftigen können.
SPOX: Wie steht es um die Zukunft "Ihrer" Neuverpflichtungen Antonio Rukavina und Nikola Gulan?
Stevic: Es wird nicht einfach, Spieler dieser Klasse zu halten. Wir werden sehen, was möglich ist.
SPOX: In den vergangenen Wochen standen die Verhandlungen mit Investor Nicolai Schwarzer im Fokus der Öffentlichkeit. Schwarzer schrieb am Ende der Verhandlungen 1860 "einen gewissen Hang zum Chaos" zu. Wie stehen Sie zu dieser Aussage?
Stevic: Wir werden alles dafür tun, dass wir sportlichen Erfolg und Stabilität im Verein haben. Dann wird unsere Ausgangsposition viel besser.
SPOX: Braucht Sechzig etwa einen gewissen Chaos-Pegel?
Stevic: Chaos ist nicht gut, aber manchmal braucht man etwas davon, damit Ruhe einkehren kann. Die unglückliche letzte Zeit hat uns klargemacht, dass es an der Zeit ist, umzudenken. Zuviel Ruhe ist allerdings auch gefährlich. Manfred Stoffers hat gesagt: "Ruhe kriegt man auf dem Friedhof". Deshalb ist Chaos manchmal wie ein Antibiotikum. Dosiert man es gut, wird man davon gesund. Nimmt man zuviel davon, leidet man darunter.
SPOX: Präsident Rainer Beck meinte, dass "die Zeit der Selbstzerfleischung" nun vorbei sei. War es wirklich so schlimm?
Stevic: Der Begriff Selbstzerfleischung erinnert mich an die Steinzeit. Ich schätze Herrn Beck sehr und weiß, was er gemeint hat. Er ist ein Mensch, der nach Harmonie strebt. Wie schnell wir das erreichen, wird immer vom sportlichen Erfolg abhängen. Deshalb wird das Fundament, auf das wir bauen, immer der sportliche Erfolg sein.
SPOX: Einige altgediente Fans haben in letzter Zeit ihren Unmut laut kundgetan und sich vom Verein abgewandt. Können Sie diese Anhänger verstehen?
Stevic: Ich habe die Fans in den guten und jetzt auch in diesen schwierigen Zeiten erlebt und kann sie vollkommen verstehen. Wenige Fans auf dieser Welt leiden so mit ihrem Verein wie die 1860-Anhänger. Zum Glück verzeihen auch wenige Fans so schnell wie unsere. Die Mannschaft ist jetzt gefordert, ihnen wieder schöne Zeiten zu bereiten.
SPOX: Größter Stein des Anstoßes ist die Stadionfrage.
Stevic: Wir liegen momentan im Krankenbett, können also nichts über das Knie brechen. Die Allianz-Arena ist wie ein schönes Geschäft in guter Lage: Da muss man gute Ware verkaufen. Wir müssen erfolgreich sein, kurzfristig in die Bundesliga aufsteigen und dann können wir uns Gedanken machen. Jetzt wäre das unrealistisch.
SPOX: Was heißt kurzfristig aufsteigen genau?
Stevic: Solange 1860 in der 2. Liga ist, muss das Ziel immer der Aufstieg sein.
SPOX: Werden Sie, Geschäftsführer Manfred Stoffers und Uwe Wolf das neue Sechzig-Dreigestirn, mit dem der Verein an erfolgreiche Zeiten anknüpft?
Stevic: Ein Verein besteht nie aus zwei oder drei Personen. Es braucht immer ein funktionierendes Team, angefangen von der Vereinsführung bis zur Putzfrau. Wenn dann auch noch die Entscheidungsträger perfekt zusammenarbeiten, dann funktioniert ein Verein. Das sieht man zum Beispiel am FC Bayern München oder Werder Bremen.
Der Kader des TSV 1860 München