Anfang des Jahrtausends lag der Fußball in Augsburg am Boden. Walther Seinsch hauchte dem FCA neues Leben ein und steht nun vor vor seinem größten Erfolg - dem Aufstieg in die Bundesliga. Ein Verein zwischen Traum und Traumata.
Im Sommer 2000 lag der Fußball in Augsburg in Trümmern. Film- und Rechtehändler Michael Kölmel forderte rund 1,8 Millionen D-Mark ein. Kölmel war mit seinen Geschäften fulminant gegen die Wand gefahren und forderte nun jene Scheine wieder ein, die er eigentlich in rentable Fußball-Unternehmen hatte stecken wollen.
Neben dem FCA waren beispielsweise auch der SSV Ulm und der Karlsruher SC betroffen. So schlimm wie die Augsburger erwischte es aber keinen anderen.
Augsburg hatte die Qualifikation zur zweigleisigen Regionalliga als Achter der Regionalliga Süd geschafft, ein wichtiger Moment in der Geschichte eines Klubs, der sich seit Jahrzehnten in der Bedeutungslosigkeit der dritten Liga aufrieb.
Zwangsabstieg in die Bayernliga
Dann aber kam dieser eine Tag im Juni und alles wurde anders. Mit Beschluss des Deutschen Fußball-Bundes wurde der FCA wegen Verstoßes gegen die Lizenzauflagen aus der Regionalliga verbannt. Die neue Heimat hieß von da an Bayernliga. Die hochkarätigen Gegner: VfB Helmbrechts, SpVgg Plattling oder der SC Weismain.
Der Klub, der Weltgrößen wie Helmut Haller, Bernd Schuster und Kalle Riedle hervorgebracht hatte, fand sich im Dunstkreis ambitionierter Dorfvereine wieder. Das Ende für den Fußball in einer Stadt mit rund einer Viertelmillion Einwohnern war im Prinzip auf Jahre hinaus besiegelt.
Seinsch bringt die Hoffnung
Dann kam Walther Seinsch. Und mit ihm Hoffnung, Zuversicht und das nötige Kleingeld. Ein Rentner aus Konstanz am Bodensee, ohne jede Erfahrung im Fußballgeschäft, wollte und sollte den Verein retten. Seinsch, Vater von neun Kindern - drei eigene, sechs adoptiert - verdiente sich mit den Textil-Discountern "kik" und "Takko" eine goldene Nase.
Kurze Zeit vor seinem Engagement ließ sich Seinsch von seinen ehemaligen Firmen seine Anteile in harten D-Mark auszahlen. Geld genug für seine Familie und seine größte Leidenschaft, den Fußball. Bereits 1994 spekulierte er auf den Präsidentenposten bei Schalke 04, zog seine Kandidatur aber zurück.
Beim SSV Reutlingen wurde er vergeblich vorstellig, der damalige Zweitligist wollte seine Millionen nicht. Also fragte Seinsch einige Monate später in Augsburg an und rannte dort nach dem Kölmel-Desaster offene Türen ein.
Der Traum von der Bundesliga
Seine klar formulierten Ziele hatten Wesenszüge von Politikern, die eben mal noch für eine Amtszeit gewählt werden wollen und so wenig mit der prekären Situation zu tun, dass sie selbst von ganz verwegenen Optimisten als reine Phantasterei abgetan wurden.
Seinsch träumte wenige Wochen nach der dunkelsten Stunde der Vereinsgeschichte vom bezahlten Fußball "in der 1. Liga" und von einem neuen Stadion. Einem reinen Fußball-Stadion. Die Realität sah anders aus.
In die Rosenau, auf und mit den Trümmern des zweiten Weltkrieges und mit einem Fassungsvermögen von rund 30.000 Zuschauern erbaut, verirrten sich zum ersten Heimspiel ganze 238 Zuschauer. Die Bundesliga lag weiter entfernt als der Mond.
"Trotzdem war das neben den Aufstiegen mit die schönste Zeit in den letzten zehn Jahren. Alles war noch so klein, man war mit den Spielern befreundet und saß mit ihnen nach den Spielen zusammen", erklärt Aufsichtstrat Walter Sianos gegenüber SPOX. "Ich hätte nie gedacht, dass alles so schnell so groß werden könnte."
Trainerwechsel trotz Aufstieg
Im ersten Bayernliga-Jahr landete der FCA auf Platz vier, verpasste den Aufstieg aber klar. In der folgenden Saison stieg die Mannschaft mit 89 Punkten und 93:34 Toren souverän in die Regionalliga Süd auf. Jetzt erst wurden die Möglichkeiten, die die Seinsch-Millionen schufen, zum ersten Mal sichtbar.
Gino Lettieri musste trotz des souveränen Aufstiegs gehen, mit Ernst Middendorp kam ein ehemaliger Bundesligatrainer und: Ein Mann, der es mit Arminia im Durchmarsch von der dritten in die erste Liga geschafft hatte. Power Ernst brachte einen ganzen Sack zwar gestandener, aber eben auch ausgemusterter Bundesligaprofis mit und verpasste am Ende als Dritter doch den Aufstieg.
Ein Jahr später scheiterte Armin Veh neun Minuten vor dem letzten Schlusspfiff der Saison 2003/04 an einem gehaltenen Elfmeter des Saarbrücker Keepers Erol Sabanov. Saarbrücken durfte hoch, der FCA wurde nur Vierter.
Trauma gegen Regensburg
Nach einem Katastrophen-Start und Platz 13 in der kommenden Saison musste Veh gehen und Rainer Hörgl coachte die Mannschaft mit 21 Spielen ohne Niederlage am vorletzten Spieltag auf Rang zwei. Im Heimspiel gegen Jahn Regensburg fehlte dem FCA nur noch ein Sieg.
28.500 Zuschauer füllten die ausverkaufte Rosenau, alles war bereit zur Aufstiegsparty. Am Ende weinte Augsburg. Regensburg siegte durch zwei Tore in den Schlussminuten 2:1, die Sportfreunde Siegen mit dem damaligen Torschützenkönig Patrick Helmes machten sich auf den Weg in die zweite Liga. Augsburg blieb traumatisiert zurück.
"Das war der schlimmste Moment in der Geschichte des Vereins. Die ganze Stadt war geknickt. Ich vergleich das gerne mit der Niederlage der Bayern gegen Manchester 1999", sagt Sianos. Aber das tragische Scheitern löste auch eine Sympathiewelle in der Stadt aus. "Die Augsburger haben ihr Herz für den FCA wieder entdeckt", meint Sianos.
Rettig professionalisiert den Verein
Ein Jahr später war der Verein am mittelfristigen Ziel. Als Meister schaffte der FCA nach 23 Jahren Abstinenz den Sprung zurück in den bezahlten Fußball. Der Aufstieg war auch gleichbedeutend mit dem Startschuss zum zweiten großen Projekt: Dem Bau der Arena im Süden der Stadt.
GettyAndreas Rettig übernahm den Posten des Geschäftsführers und änderte schnell die Spielregeln. Die Geschäftsstelle, bis dato einen Mitarbeiter und zwei PCs stark, wurde ausgebaut, Strukturen geschaffen, Personal eingestellt.
Der Profi-Fußball hielt allmählich Einzug und mit ihm ein gesteigertes Interesse des bisweilen kauzigen Publikums. Dem FCA waren seit Beginn der 80er Jahre im Prinzip zwei oder sogar drei Fan-Generationen weggebrochen.
"Mittlerweile sind wir auf einem guten Weg, haben eine große Fanbasis und unser Zuschauerschnitt ist auch nicht so schlecht", sagt Sianos und nennt ein Beispiel: "Früher haben die Kinder im Sportunterricht in der Schule Bayern- oder Dortmund-Trikots angehabt, jetzt laufen sie mit FCA-Trikots rum."
Luhukay bringt Erfolg und Spielkultur
So langsam gewöhnten sich die Leute aber wieder an den FCA - obwohl der Motor gehörig ins Stottern geriet. Mit Ralf Loose und Holger Fach lag Rettig bei der Trainerwahl zweimal dermaßen weit daneben, dass auch er nicht mehr unumstritten war.
Umso wichtiger war die Verpflichtung von Jos Luhukay, der die von Fach in die Abstiegsränge manövrierte Mannschaft im April letzten Jahres übernahm und vor der sportlichen Katastrophe bewahrte. Wer braucht schon eine nagelneue 30.000-Zuschauer-Arena in der dritten Liga?
Mit Luhukay aber kamen neue Spieler, endlich auch wieder ein Spielkonzept und vor allem: Der Erfolg. Der Holländer hat aus einer limitierten Kick-and-rush-Mannschaft das spielstärkste Team der zweiten Liga geformt. "Die Entwicklung der Mannschaft ist der Verdienst von Jos Luhukay", sagt Rettig zu SPOX. Ähnliches leistete Luhukay vor drei Jahren bei Borussia Mönchengladbach. Am Ende stieg die Borussia souverän in die Bundesliga auf.
Puppenkisten-Ironie zum Selbstschutz
Seit Beginn der laufenden Saison präsentiert der FCA seinen Extraklasse-Fußball in seiner neuen Arena - die in einer zweiten Ausbaustufe auf rund 40.000 Zuschauer vergrößert werden könnte. Die Vermutung, dass bis heute die Außenfassade deshalb noch nicht montiert ist, um mit dem Ausbau im Aufstiegsfall gleich beginnen zu können, weist Rettig von sich. Das Gerücht hält sich trotzdem hartnäckig.
Es ist nur eine Marginalie, aber früher wurde das Bild der Augsburger Puppenkiste von anderen Vereinen und deren Fans gerne bemüht, um sich über den FCA lustig zu machen. Heute läuft in der Arena das Lied aus Lummerland nach jedem Torerfolg. Ironie zum Selbstschutz. Aber auch ein Ausdruck des neuen Selbstverständnisses.
Der Verein trägt sich selbst
Der von Walther Seinsch früher ausgiebig alimentierte Verein trägt sich längst selbst, der ehemalige Unternehmer nutzte seine Kontakte zur Wirtschaft und Industrie und baute einen Sponsoren- und Investorenpool auf, der das finanzielle Netz für den FCA bildet.
Seinsch selbst musste in den letzten Monaten deutlich kürzer treten. Der Präsident litt unter Depressionen. Seinsch ging offensiv mit seiner Krankheit um, machte seinen Gesundheitszustand öffentlich. Vor einer Woche meldete er sich zurück.
Gerade rechtzeitig, um die Verwirklichung seiner Vision mitzuerleben. Im Gepäck hatte er die fertig ausformulierten Vertragsverlängerungen mit Rettig und Luhukay. Beide haben sofort unterschrieben.
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