SPOX: Es war ein Moment, der jeden an das Schlimmste denken ließ: Am 25. August stießen Sie im Spiel gegen Dresden mit Ihrem Duisburger Teamkollegen Tanju Özturk zusammen und blieben daraufhin bewusstlos auf dem Boden liegen. Es bestand sogar der Verdacht auf eine Querschnittslähmung. Wie erinnern Sie sich an die Beinahe-Katastrophe?
Andre Hoffmann: Meine Erinnerungen sind nur sehr vage. Ich sehe den Ball, gehe mit dem Kopf hin - und dann nichts mehr. Ein totaler Filmriss. Bei Bewusstsein war ich erst wieder, als ich auf dem Boden lag und der Mannschaftsarzt vor mir saß und mir Fragen stellte, wo ich bin und wie ich heiße. Erst dann hatte ich das Bewusstsein wieder. Und erst dann merkte ich, dass ich nur meine Arme und nicht meine Beine bewegen konnte.
SPOX: Wie ging es weiter?
Hoffmann: Der Mannschaftsarzt bat mich sofort, noch einmal die Beine zu bewegen, und Gott sei Dank spürte ich ein leichtes Kribbeln. Kurz darauf verschwanden die Lähmungserscheinungen ganz. Der kurzzeitige Aussetzer hatte aber alle Alarmglocken klingeln lassen, daher die ganze Aufregung mit der Trage auf dem Platz und der sofortigen Überführung ins Krankenhaus. Ich fühlte mich die ganze Zeit wie ein Außenstehender und konnte die unheimliche Hektik gar nicht verarbeiten. Im Nachhinein kommt es mir vor wie in einem Film.
SPOX: Ein Film mit Happy End.
Hoffmann: Ich blieb zur Kontrolle im Krankenhaus, obwohl nach der ersten Computertomographie die Entwarnung gegeben wurde, dass es nur eine schwere Gehirnerschütterung sei. Durch den Zusammenstoß kam es zu einer Erschütterung des zentralen Nervensystems und es bildete sich ein Bluterguss im Nacken, daher die kurzfristigen Lähmungserscheinungen.
SPOX: Wie verkraftet ein 19-Jähriger einen solch dramatischen Zwischenfall mental?
Hoffmann: Noch am selben Abend habe ich die Szene im Fernsehen gesehen, das hätte ich lieber lassen sollen. Ich hatte Tage danach noch daran zu knabbern. Es ist ein unheimlich mieses Gefühl, sich selbst ohne Kontrolle über den Körper zu sehen. Zum Glück konnte ich diese mentale Blockade recht schnell lösen. Der Verein half mir dabei sehr. Ich wurde toll von der medizinischen Abteilung und von allen anderen im Klub unterstützt. Obwohl es gerade für den MSV nicht so rosig aussieht, besuchten mich alle möglichen Mitarbeiter und die Mannschaft im Krankenhaus und munterten mich auf. Selbst ehemalige Teamkollegen, die ich aus den Augen verloren hatte, meldeten sich per SMS.
SPOX: Keine sieben Stunden nach Ihrem Unfall mussten Sie jedoch den nächsten Schock verdauen: Duisburg gab die Entlassung des Cheftrainers und Ihres Förderers Oliver Reck bekannt.
Hoffmann: Es war kein schöner Tag: Erst meine Verletzung, dann das 1:3 gegen Dresden - und abends die Trennung vom Trainer. Ich schrieb aus dem Krankenbett gleich eine SMS an Oliver Reck und bedankte mich für das Vertrauen, dass er mir geschenkt hatte. Er nahm sich sehr viel Zeit für mich, führte viele Vier-Augen-Gespräche und stellte mich letzte Saison immer auf, obwohl wir in einer schwierigen Phase steckten. Entsprechend schade ist die Entlassung. Gleichzeitig verstehe ich, dass der Klub mit der Entscheidung aus jedem Spieler ein paar Prozent mehr herauskitzeln will. Daher habe ich diese unschöne Episode genau wie die Verletzung hinter mir gelassen und blicke nur nach vorne.
SPOX: Wie lauten Ihre nächsten Ziele? Sie wurden zuletzt von der Fritz-Walter-Stiftung als zweitbester U-19-Spieler Deutschlands geehrt, nachdem Sie bereits 2010 als zweitbester U-17-Spieler ausgezeichnet worden waren. Oliver Reck, Europapokalsieger und als Ersatztorwart Europameister, sagt beispielsweise: "Andre wird auf lange Sicht auf einem Niveau spielen, das ich zu meiner aktiven Zeit nie erreicht habe."
Hoffmann: Die Aussage macht mich stolz. Aber ob es soweit kommt, weiß ich nicht. Als ich 2010 von der Fritz-Walter-Stiftung die Silbermedaille bei den U-17-Junioren überreicht bekam, sagte ich, dass ich zwei Ziele hätte: Mich in Duisburg bei den Profis zu etablieren und das Abitur zu machen. Beides ist mir gelungen. So soll es weitergehen und auf lange Sicht möchte ich in die Bundesliga. Ansonsten möchte ich keine großen Töne spucken.
SPOX: Sie könnten bereits in der Bundesliga spielen. In den vergangenen Monaten zeigten Schalke, Leverkusen und Hoffenheim großes Interesse. Warum sagten Sie ab und verlängerten beim MSV bis 2015?
Hoffmann: Sicherlich sind die Angebote eine Anerkennung meiner Leistungen. Und sicherlich wären die Angebote finanziell interessanter gewesen. Allerdings: Wenn man noch keinen Bundesliga-Einsatz hat und aus der Jugend stammt, verdient man ohnehin nicht solche Summen, bei denen die Differenz den Ausschlag gibt. Mir, meiner Familie und meinem Berater Wassily Krastanas war schnell klar, dass es vor allem für junge Abwehrspieler wichtig ist, viel zu spielen. Und dass das in Duisburg eher möglich ist als in der Bundesliga, wo junge Abwehrspieler nicht einfach so ins kalte Wasserr geschmissen werden. Zumal Duisburg emotional etwas Besonderes ist: Ich spiele seit der E-Jugend beim MSV und stehe in der Profi-Mannschaft, der ich früher als Balljunge zugeschaut habe. Beim Aufwärmen kann ich auf der Tribüne meinen alten Trainern aus der U 12 und U 13 zuwinken.
SPOX: Sie sind Duisburgs Toptalent, Duisburgs Aushängeschild - und Duisburgs Kassenwart, was sehr ungewöhnlich ist für einen 19-Jährigen. Vermutlich sind Sie sogar der jüngste Kassenwart aller Zeiten im Profifußball. Ist das ein Zeichen Ihrer frühen Reife?
Hoffmann: Eigentlich gehört Julian Koch der Job. Weil er leider verletzt ist und häufig bei der Reha sein muss, bat er mich, ihm unter die Arme zu greifen. Ich mache das gerne. Man muss vor allem konsequent sein, um das Geld einzusammeln.
SPOX: Sie gehen zu einem Führungsspieler wie Goran Sukalo und pochen auf Zahlung?
Hoffmann: Sie kommen sogar alle freiwillig zu mir und zahlen ein. (lacht)
SPOX: Seit der neue Trainer Kosta Runjaic tätig ist, dürfte die Mannschaftskasse beträchtlich gefüllt werden. Auf seine Anweisung hin sind bei der falschen Ausführung von Trainingsübungen Strafen fällig. Was will Runjaic damit bezwecken?
Hoffmann: Er will uns damit ein bisschen triezen und uns unter Druck setzen, damit wir noch konzentrierter bei der Sache sind. Das kommt gut an in der Mannschaft - und es schadet ja keinem Profi, ein paar Euro abzudrücken. Ich gehe davon aus, dass wir diese Saison mehr einnehmen als in der letzten.
SPOX: Es bleibt verwunderlich: Es gibt wohl kaum einen Teenager, dem in der ersten oder zweiten Bundesliga eine derart exponierte Stellung zukommt wie Ihnen. Mit Ihren 19 Jahren dirigieren Sie lautstark die Abwehr und weisen bei Bedarf deutlich ältere Mitspieler an.
Hoffmann: Das stimmt, ein bisschen seltsam kommt man sich vor. Wir haben an sich eine sehr junge Mannschaft, aber ich bin trotzdem der Jüngste. Umso schöner ist es, dass die Mannschaft mich akzeptiert und mir den Freiraum gibt, um mich auch als Typ zu entwickeln. Die älteren Spieler wollen, dass ich viel spreche und Verantwortung übernehme. Das soll jedoch nicht heißen, dass ich andauernd nur rumbrülle. Wenn es nicht nötig ist, nehme ich mich gerne zurück und beobachte die Routiniers, wie sie sich in der Kabine verhalten. Wie geben sie sich, wenn man zur Halbzeit zurückliegt? Oder wenn man führt? Wie geben sie sich im Training? Ich will lernen, lernen und lernen.
SPOX: Sie gelten als ein Musterprofi, der von Duisburg und vom DFB seit Jahren gefördert wird. Nicht umsonst waren Sie Kapitän der deutschen U 19. Wie fühlt es sich an, wenn es immer nur aufwärts geht?
Hoffmann: So reibungslos lief es bei mir nicht. Beim DFB musste ich mich immer wieder beweisen. Ich stieß in der U 16 dazu und brauchte eine Weile, um mich rein zu finden. Im Laufe der U 17 wurde ich unter Stefan Böger zum Kapitän, dann verlor ich in der U 18 den Stammplatz und musste mich nach und nach herankämpfen, bis ich am Ende wieder Kapitän war. Ich bin es gewohnt zu kämpfen.
SPOX: Bei der angesprochenen Verleihung der Fritz-Walter-Medaille bekamen Sie in diesem Jahr die Silbermedaille als zweitbester U-19-Spieler Deutschlands. Als bester U-19-Spieler wurde Antonio Rüdiger ausgezeichnet. Zwar sind Sie beide Abwehrspieler, ansonsten sind Sie der Gegenentwurf zu dem als schwierig und undiszipliniert geltenden Rüdiger. Dennoch sind sie eng befreundet. Wie kommt das?
Hoffmann: Horst Hrubesch teilte uns in das gleiche Zimmer ein, weil ich ihn bremsen sollte. Wir lernten uns so sehr gut kennen und ich kann viel besser beurteilen, wie Toni wirklich tickt. Vieles kommt bei ihm falsch rüber. Er ist kein Rüpel, er ist einfach nur unglaublich ehrgeizig. Ich kenne ihn von einer anderen, weicheren Seite. Von daher finde ich die angeblichen Skandale nicht so dramatisch. Toni hat sich die Goldmedaille absolut verdient und ich gönne sie ihm vom Herzen.
Duisburgs große Hoffnung: Andre Hoffmann im Steckbrief