Terrence Boyd wechselt nach zwei Jahren bei Rapid Wien zurück nach Deutschland zu RB Leipzig. Im SPOX-Interview spricht er über seine Zeit in Österreich, Carsten Janckers Einfluss, Parallelen zu Shaquille O'Neal und die verpasste WM.
SPOX: Herr Boyd, Sie sind im Sommer 2012 von Borussia Dortmunds zweiter Mannschaft zu Rapid Wien gewechselt. Ihre Torquote beim BVB (32 Spiele, 20 Tore) war mehr als ordentlich. Wieso haben Sie keine Chance aufs Profiteam gesehen?
Terrence Boyd: Zunächst einmal muss ich sagen, dass das Jahr in Dortmund sehr wichtig für mich war. Ich habe dort viel gelernt, gerade den intensiven Pressing-Stil. Es wäre aber schwer gewesen, bei den Profis richtig Fuß zu fassen. Man hat Julian Schieber verpflichtet und Robert Lewandowski war gesetzt. Als sich dann die Option auftat, nach Österreich zu gehen und dort Erstliga- sowie Europa-League-Erfahrung zu sammeln, habe ich mir gesagt: Das machst du jetzt einfach mal. Und ich bereue diesen Schritt keinesfalls.
SPOX: Wie schwer ist es denn als junger Spieler, geduldig zu bleiben?
Boyd: Geduld ist das A und O. Das ist das Wichtigste, wenn man kurz davor steht, Profi zu werden. Man muss jedoch seine eigene Situation realistisch einschätzen können. Es gibt zahlreiche Spieler, die aus der Jugend kommen und dann bei den Profis trainieren dürfen. Viele machen das dann eine Weile und spielen in der Zeit fünf Mal in der Bundesliga - aber auch wieder 45 Mal in der Regionalliga bei den Amateuren. In solch einem Fall bringt dich das nicht weiter.
SPOX: Der Wechsel nach Wien rechnete sich sofort, Sie trafen auf Anhieb und haben insgesamt 37 Tore in 80 Spielen geschossen. Hatten Sie diesen Durchbruch erwartet oder hat es Sie überrascht, wie gut es lief?
Boyd: Ich denke eher so: Es wäre noch besser gegangen. Ich habe in der letzten Saison ein paar gute Chancen auch liegen gelassen. Es war aber natürlich wichtig, dass ich konstant treffe, auch in der Europa League. Rapid war für mich schon ein Abenteuer, aber man darf einfach keine Angst haben und muss 100 Prozent dahinter stehen. Wenn man sich den Arsch aufreißt, wird es über kurz oder lang auch honoriert.
SPOX: Jetzt haben Sie das eben angesprochene Mehr an Erfahrung. Wie hat es auf Sie gewirkt?
Boyd: Ich finde, dass ich durch die vielen Einsatzzeiten fußballerisch einen großen Sprung nach vorne gemacht habe, gerade im technischen Bereich. Ich danke dafür Carsten Jancker, er ist Co-Trainer bei Rapid. Als ehemaliger, sehr erfolgreicher Mittelstürmer hat er mir viel auf den Weg mitgegeben können. Durch ihn weiß ich jetzt, wie ich meine Rolle als Stürmer zu interpretieren habe. Das war sehr wichtig, weil ich bis dahin mein Spiel noch nicht so richtig gefunden hatte.
SPOX: Wie sah der Austausch mit ihm konkret aus?
Boyd: Carsten war sehr hart zu mir (lacht). Wir haben nach den Trainingseinheiten sehr viele Extraschichten eingelegt. Er hat mir immer eingeimpft: Spiele wie ein Center im Basketball. Shaquille O'Neal beispielsweise hat auch nie gedribbelt, er hat aber seinen Job gemacht. Ich muss als Mittelstürmer die Bälle festmachen, halten, verteilen und dann schnell wieder in den Sechzehner sprinten. Sobald ich im Strafraum bin, bin ich gefährlich.
SPOX: Mit Rapid hätten Sie nächste Saison wieder in der Europa League spielen können, stattdessen wechseln Sie in die 2. Bundesliga. Wo hat die österreichische Liga den dringendsten Optimierungsbedarf?
Boyd: Das Problem ist: Sobald sich ein Spieler in der Liga einen Namen gemacht hat, wechselt er schnell ins Ausland. Red Bull Salzburg ist dort die einzige Mannschaft, die ihre Stars halten kann. Die anderen Vereine haben einfach nicht die Mittel, um sich gegen namhafte Konkurrenz durch zu setzen. Das war ja auch bei mir so. Wenn die Klubs es schaffen könnten, ihre Besten davon zu überzeugen, in Österreich zu bleiben, dann würde die Liga zwangsläufig besser werden.
SPOX: Inwiefern spielt da auch das große Leistungsgefälle innerhalb der Liga mit hinein?
Boyd: Das gehört auf jeden Fall bei diesem Thema dazu. Für Rapid gab es in der Saison eigentlich nur das Derby gegen die Austria und die Spiele gegen Salzburg. Dann kam erst einmal lange nichts. Man hat ein paar Topspiele und in den anderen Partien geht es darum, sich nicht zu blamieren. Wenn man unter der Woche in der Europa League spielt und ein paar Tage später in die Provinz muss, dann bleibt die Motivation öfter auf der Strecke.
SPOX: War für Sie unabhängig vom Angebot aus Leipzig klar, dass es nach zwei Jahren in Wien eine Veränderung geben muss?
Boyd: Ja. Der Schritt zu RB Leipzig zwingt mich, mich weiter zu verbessern. Ich muss hier noch mehr aus mir rausholen. In Österreich wurde der Widerstand nicht größer. Ich habe das ehrlich gesagt bei Rapid auch im Training gemerkt: Irgendwann fiel es mir immer leichter, zu treffen. Ich habe dieselbe Leistung mit weniger Aufwand erreicht - und das kann es ja nicht sein.
SPOX: Als der Wechsel nach Leipzig bekannt wurde, beschimpfte man Sie in den sozialen Netzwerken teilweise erheblich. Wie sind Sie damit umgegangen?
Boyd: Ich wurde auf der einen Seite beschimpft, habe aber auch viele Rückmeldungen bekommen, wo es hieß: Höre nicht auf das Geschwätz, danke für alles. Ich bin zu allen immer offen und ehrlich gewesen und stehe natürlich auch zu der Entscheidung, die ich getroffen habe. Ich kenne ja auch die Rapid-Fans und ich werde für immer ein Grün-Weißer bleiben. Rapid ist kein 0815-Verein, das ist dort schon etwas Besonderes. Die Fanbasis ist wirklich ausschlaggebend für den ganzen Klub. Aber es gibt überall Idioten, gerade im Internet. Ich bin mir sicher: Sollte ich einen Rapid-Fan auf der Straße treffen, würde er sich nicht trauen, mich so zu beschimpfen. Aber im Internet hat jeder dicke Eier. Dort ist man schön anonym und kann nicht wirklich belangt werden.
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SPOX: Sie haben die Rapid-Fans angesprochen. Machen Sie die Kultur des Klubs aus?
Boyd: Rapid ist total oldschool. Die Fans würden es wohl am liebsten sehen, wenn man dort unentgeltlich spielen würde. Bei Rapid ist alles ein Stück weit dramatischer als bei anderen Klubs.
SPOX: Nennen Sie doch bitte mal ein Beispiel dafür?
Boyd: Wir haben in der Europa League mal gegen Leverkusen gespielt. Nach Schlusspfiff habe ich mit meinem Jugendfreund Karim Bellarabi das Trikot getauscht. Auf einmal hat mich das ganze Stadion ausgepfiffen.
SPOX: Wieso das denn?
Boyd: Der Anführer der Ultras kam zu mir und sagte: 'Du kannst dein Trikot doch nicht hergeben, du spielst doch schon für den besten Verein der Welt.' Das ist eine Episode, die klarmacht, wie man dort fühlt. Was positiv ist: Man ist sofort Teil der Rapid-Familie, für die gibt es dort nichts anderes. Ich bin mal ein kleines bisschen zu schnell gefahren und wurde geblitzt. Die Polizisten waren aber alle Rapid-Fans und ließen mich weiterfahren (lacht).
SPOX: In Leipzig sind Sie nun der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte, man erwartet von Ihnen im Grunde sofort Tore. Das war in dieser Dimension zuvor noch nicht so. Völlig egal oder doch eine besondere Drucksituation?
Boyd: Das gehe ich ganz gelassen an. Ich werde mich komplett verausgaben. Dann kommen entweder die Tore oder eben nicht. Ich handle vor dem Kasten instinktiv, ich mache das, was mir als erstes in den Sinn kommt. Ich mache mir deshalb keinen besonderen Druck, am Saisonende eine gewisse Trefferanzahl erreichen zu müssen.
SPOX: Der Fußball in Leipzig ist ein anderer als in Wien. Das dürfte eine große Umstellung bedeuten, oder?
Boyd: Leipzig bedeutet Vollgas, das habe ich gleich gemerkt. Wir versuchen, sofort zu pressen. Hier arbeiten alle mit. Da reicht es nicht, nur dann alles zu geben, wenn der Ball in deiner Nähe ist. Das Gegenpressing hier ist nochmal eine andere Stufe als damals in Dortmund. Wir denken schon in Ballbesitz an den Ballverlust. Ich glaube, dass dieser Stil zum Erfolg führen wird. Red Bull Salzburg spielt ja ähnlich wie wir und die haben letzte Saison in Österreich die komplette Liga auseinander gepflückt.
SPOX: Wie schwer fällt es Ihnen denn im Moment, die neuen und vor allem auch komplexen taktischen Vorgaben zu verinnerlichen?
Boyd: Es geht. Ich muss die Automatismen reinkriegen, da ich es zuletzt nicht mehr so gewohnt war, nach einem Ballverlust sofort wieder hinterher zu jagen. Nach und nach bekommt man das dann wieder in seinen Kopf rein. Das ist eigentlich wie eine Software, die man installieren muss.
SPOX: Ihr neuer Trainer Alexander Zorniger baut unter anderem auch auf ein 4-3-3-System. Ist das für Sie als klassischer Mittelstürmer etwas?
Boyd: Ich freue mich darauf, weil ich seitdem ich 18 oder 19 bin, immer nur Formationen mit einer Spitze gespielt habe. Ich nehme alles Neue gerne an. Man entwickelt sich durch eine neue Herangehensweise ja auch als Fußballer weiter. Mir werden künftig ganz andere Räume geöffnet sein, die Laufwege sind variabler und es werden neue Spielsituationen entstehen. Mit drei nominellen Spitzen könnte es für mich einfacher werden, da ich dann immer jemanden hätte, der sofort da und anspielbar ist - ohne im Duell mit drei Verteidigern warten zu müssen, bis die Mitspieler nachgerückt sind.
SPOX: Sie haben sich zuletzt auch in den Notizblock von USA-Trainer Jürgen Klinsmann gespielt. Doch obwohl Sie im vorläufigen Kader für die WM standen, wurden Sie nicht mit nach Brasilien genommen. Wie lief das genau ab?
Boyd: Jürgen Klinsmann hat mich im Trainingslager nach einer Woche zur Seite genommen und gesagt, dass er mich leider nach Hause schicken muss. Er wollte offenbar keinen zweiten Brecher mitnehmen. Das fiel mir dann echt schwer. Ich stand so kurz davor. Da sind schon ein paar Tränen geflossen. Das ist so, wie wenn man in eine bestimmte Diskothek möchte und der Türsteher sagt: Du kommst wegen der Schuhe nicht rein - obwohl du schon die krassesten Schuhe anhast, die du besitzt.
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