"Idioten werden Idioten bleiben"

Jochen Tittmar
19. Mai 201618:54
Mit 38 Punkten in 17 Partien stellt Rene Weilers 1. FC Nürnberg die beste Elf der Zweitliga-Rückrundegetty
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Seit November 2014 ist Rene Weiler Trainer des 1. FC Nürnberg. Vor dem Hinspiel in der Relegation um die Bundesliga bei Eintracht Frankfurt (20.30 Uhr im LIVETICKER) spricht Weiler über sein Ende als Coach in der Schweiz, die Grenze des Trainerberufs, seine Ambitionen für die Zukunft und erklärt, wie er die heutige Medienwelt sieht.

SPOX: Herr Weiler, einer der Trainer, der Sie prägte, soll Lucien Favre gewesen sein. Während seiner Zeit bei Hertha BSC haben Sie bei ihm in Berlin hospitiert. 2002 lernten Sie sich in Argentinien näher kennen. Wie ist das damals zustande gekommen?

Rene Weiler: Ich war sportlicher Leiter beim FC Winterthur in der zweiten Schweizer Liga und wollte in Argentinien nach erschwinglichen Spielern suchen. Bei einer der zahlreichen Partien, die ich mir ansah, traf ich zufällig auf Lucien. Er war für Servette Genf vor Ort. Wir sind dann gemeinsam weiter gereist, weil wir beide im Grunde dasselbe Interesse hatten. Seitdem stehen wir in Kontakt. Er ist jemand, bei dem ich eine Meinung zu einem Spieler einhole oder den ich in Trainerfragen kontaktieren kann.

SPOX: Favre hat in Berlin, besonders aber bei Borussia Mönchengladbach, einen exzellenten Job gemacht. Was gefällt Ihnen am Trainer Favre?

Weiler: Lucien ist bei der Spielerauswahl richtiggehend detailbesessen. Sie ist ihm sogar wichtiger als die Art und Weise, wie er Fußball spielen lässt. Er lässt sich von Transfers nie überraschen, sondern geht bereits vorab total ins Detail und hinterfragt vor allem auch den Menschen hinter dem Spieler. Das begeistert mich, denn im Leben ist es ja grundsätzlich so: die Personalauswahl ist extrem wichtig, um erfolgreich arbeiten zu können. Denn gute Menschen sind überall gut, die Idioten werden dagegen in den meisten Fällen Idioten bleiben.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Rene Weiler in Nürnbergspox

SPOX: Sie sind im Sommer 2014 nach dreieinhalb Jahren aus freien Stücken aus Ihrem Vertrag beim FC Aarau ausgestiegen. Wie sicher waren Sie sich, gleich zum Saisonstart eine neue Anstellung zu finden?

Weiler: Gar nicht, denn ich hatte mir vorgenommen, mindestens ein halbes Jahr Pause zu machen. Wenn ich es mir hätte aussuchen können, wäre Januar 2015 der ideale Zeitpunkt gewesen, um wieder einzusteigen.

SPOX: In der Schweiz hieß es, Sie hätten vielmehr auf einen Job beim FC Basel spekuliert. Als der dann an Paulo Sousa ging, wurde Ihnen Überheblichkeit unterstellt, da Sie die Stelle in Aarau leichtfertig weggeworfen hätten.

Weiler: Mir wurde damals vieles in den Mund gelegt. Es ist natürlich auch Wahnsinn, dass Leute einen einschätzen, obwohl sie dich null Komma null kennen. Ich war dreieinhalb äußerst positive Jahre in Aarau. Dann aber kündige ich freiwillig zwei Jahre vor Vertragsende, weil ich davon überzeugt bin, dass mich der FC Basel auf jeden Fall verpflichten wird? Die hätten mich doch locker aus dem Vertrag kaufen können, wenn sie wollten. Das war alles nur absurdes Gerede.

SPOX: Wie erging es Ihnen in der Zeit danach?

Weiler: Ich kann gar nicht genau sagen, wie ich mich gefühlt habe. Ich war relativ entspannt, aber nicht völlig ruhig. So ähnlich hat das auch meine Frau empfunden. (lacht) Ich war dann viel unterwegs und habe nebenbei mein Journalismus-Studium beendet. Ich wusste aber nicht, wohin die Reise tatsächlich führen wird. Diese Auseinandersetzung mit mir selbst war spannend, da man ja sonst immer gewohnt war, ein regelmäßiges Leben und Einkommen zu haben. Ich habe ein paar neue Gefühlsregungen an mir entdeckt.

SPOX: Waren Sie ungeduldig?

Weiler: Ja, aber ich bin sowieso nicht der geduldigste Mensch. Im Herbst kamen dann drei konkrete Anfragen. So cool und locker, wie ich das eigentlich angehen wollte, war ich dann aber doch nicht.

SPOX: Bereits im Sommer standen Sie damals mit dem 1. FC Nürnberg in Verhandlungen, man entschied sich jedoch für Ihren Vorgänger Valerien Ismael. Wie sind Sie damit umgegangen?

Weiler: Da ich in der engen Auswahl war, wollte ich selbstverständlich auch den Job haben. Sonst hätte ich ja gar nicht erst verhandelt. Nürnberg hat mich dann nicht gewählt, aber so kann es im Fußball laufen. Ich habe da aber auch ein spezielles Denken, bin oft auch für Abenteuer und Herausforderungen jeglicher Art offen. So hätten mich auch ein anderer Schweizer oder ein besonders exotischer Verein interessiert.

Valerien Ismael im Interview: "Nürnberg war eine persönliche Niederlage"

SPOX: Was verstehen Sie unter exotisch?

Weiler: Keine Ahnung, Zypern beispielsweise. Da hätten dann bestimmt viele gesagt: Dem ist nicht mehr zu helfen. Ich aber wäre bestimmt nicht unglücklich über eine solche Erfahrung, die ja dann nicht nur den Fußballkosmos einschließt. Ich will durch den Fußball auch etwas für das Leben mitnehmen und davon profitieren können. Würde ich mich ausschließlich auf die Karriere fokussieren, wäre ich eher verkrampft, da man auch einiges gar nicht beeinflussen kann.

SPOX: Sie haben in Aarau nach dem Aufstieg 2013 und dem souveränen Ligaerhalt 2014 auch deshalb aufgehört, weil Sie als Trainer ans Limit gestoßen zu sein schienen. Hat denn der Trainerjob an einer bestimmten Stelle seine natürlich Grenze?

Weiler: Definitiv. Wo sie genau liegt, ist aber individuell verschieden. Als Außenstehender ist es schwer zu verstehen, wie viel Energie und Kraft man als Trainer investieren muss. Ich habe der Mannschaft Rückhalt und Orientierung zu geben und muss dafür möglichst alles aufsaugen. Ganz egal, ob das fußballerische, vertragliche oder private Belange sind. Dazu trägt das Umfeld verschiedene Erwartungen an dich heran. Es ist nicht der Job der Spieler, den Trainer dann mitzureißen - sondern andersherum. Man muss die einzelnen Einflüsse innerlich verarbeiten und nach außen hin immer wieder die Kontrolle respektive Handlung finden.

SPOX: Favres Rücktritt in Mönchengladbach hat viele überrascht, andererseits trug er eine innere Zerrissenheit in sich. Können Sie das nachvollziehen?

Weiler: Manche Trainer brennen aus, andere steigen rechtzeitig aus. Meiner Meinung nach sollte man für die Trainer mehr Verständnis aufbringen. Der Perfektionist hat in diesem Geschäft langfristig sicherlich größere Möglichkeiten, im Gegensatz aber auch möglicherweise viel mehr Gefahren, zu scheitern. Der Gleichgültige scheitert niemals richtig, erreicht aber auch viel weniger. Das ist ja das Verrückte.

SPOX: Zu welchem dieser beiden Pole gehören Sie?

Weiler: Ich würde mich als innerlich perfektionistisch bezeichnen. Ich möchte einen fehlerfreien Fußball spielen lassen, will möglichst viele richtige Entscheidungen treffen und die für uns besten Spieler holen. Ich möchte aber auch, dass innerhalb des Vereins kompetente Leute angestellt sind, die sich weiterentwickeln. Man braucht zwingend Leute, die mitziehen. Wenn ich gebremst werde, stoße ich an Grenzen.

SPOX: Sie haben an der Hochschule Winterthur ein Bachelor-Studium in den Bereichen Kommunikation, Journalismus und Medien abgeschlossen, etwas später folgte ein Master in Kommunikation, Management und Leadership. Wie haben Sie das neben dem Trainerberuf hingekriegt?

Weiler: Ich weiß es selbst nicht so genau. Ich habe mich 2009 in Schaffhausen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einfach mal parallel für den Master angemeldet. Ich benötigte dann auch fünf Jahre dafür, obwohl man das auch in zwei Jahren hätte abschließen können. Es war sehr anspruchsvoll. Ich habe in den Fußballpausen viel nachgeholt und die Masterarbeit dann während meiner Auszeit 2014 geschrieben. Diese Zweifachbelastung hat mich lange begleitet und ich dachte immer wieder: Wann und wie um Himmels Willen mache ich denn mal diese Arbeit noch fertig?

SPOX: Weshalb waren Ihnen die Studienabschlüsse wichtig?

Weiler: Die Medien sind zunächst ja entscheidende Mitspieler in unserem Geschäft. Für mich als Trainer ist zudem die Kommunikation allgemein und nicht nur mit der Mannschaft sehr wichtig. Die Spieler nehmen es ja auch wahr, welche Bilder die Öffentlichkeit von ihnen oder ihrem Verein zeichnet. Daher ist es kein Nachteil, wenn man zumindest in der Theorie weiß, wie gewisse Dinge ablaufen und welche Konsequenzen daraus entstehen können.

SPOX: Wie intensiv verfolgen Sie die Berichterstattung über den Club und sich selbst?

Weiler: Artikel über uns oder mich lese ich prinzipiell nicht, da es mir einfach nichts bringt. Ich weiß ja selbst am besten, was wir warum machen. Die Betrachtungsweise von außen ist mir oft zu einsilbig. Das nervt mich dann auch richtig. Da schaut man sich oft nur ein Resultat an und sagt: Die waren heute aber nicht gut. Vielleicht aber war man sehr gut, nur der Gegner eben noch besser. Es muss ja nicht zwangsläufig mit dem eigenen Spiel zu tun haben, wenn man nicht gewinnt.

SPOX: Man möchte meinen, es sei eine Mär, dass Spieler oder Trainer keine Sportberichterstattung verfolgen.

Weiler: Die Trainer machen sich doch tagein und tagaus etliche Gedanken, was warum wo und wie das Richtige sein soll. Dann kann es doch nicht sein, dass irgendwelche außenstehenden Meinungen die eigene Entscheidungsfindung beeinflussen können. Das heißt aber nicht, dass ich deswegen beratungsresistent bin. Meine Pressesprecherin informiert mich regelmäßig über Strömungen, so dass ich auch Stimmungen oder Ansichten mitbekomme.

SPOX: Die Medienwelt ist hektisch und schnell geworden. Es gibt viel Schwarz und Weiß, die Grautöne dazwischen scheinen nicht zu interessieren.

Weiler: Das sah man ja zuletzt wieder beim FC Bayern. Man muss eigentlich nicht ernsthaft darüber diskutieren, ob Pep Guardiola in München gescheitert ist. Guardiola wird ohne Frage enttäuscht darüber sein, dass er mit dem Champions-League-Titel das höchste Ziel eines Unternehmens, das sehr viel investiert, nicht erreicht hat. Manchmal wäre mir deshalb lieber, es würde gerade die Online-Medien nicht geben. Ich finde es für uns Menschen viel wohltuender, mit einer Tasse Kaffee inne zu halten und eine Zeitung zu lesen.

SPOX: Weil dann vieles entschleunigt würde?

Weiler: Ja, aber es würde dann auch einfach weniger dummes Geschwätz geben. Der Zeit- und Konkurrenzdruck der Online-Medien hat auch viele Nachteile und gesuchte Schlagzeilen zur Folge. Das bekommen die Spieler ja natürlich alles mit. Ich musste meiner Mannschaft sagen, sie solle aufhören zu glauben, den zweiten Platz verpasst zu haben - weil es eben zuvor in den Medien so aufgebauscht wurde. Da steht dann nicht: 'Nürnberg verliert nach spannendem Spiel in Braunschweig'. Sondern, da man die Konkurrenz mit pompösen Schlagzeilen ausstechen muss: 'Ganz bitterer Tag für den Club' oder 'Herber Rückschlag für FCN'. Das ist für unsere tägliche Arbeit nachteilig und längst nicht mehr gesund.

SPOX: Wie sehen Sie den Umgang mit den sozialen Medien?

Weiler: Das ist natürlich Privatsache, aber ich versuche, die Spieler zu sensibilisieren. Es muss nicht alles mit der Öffentlichkeit geteilt werden.

SPOX: Ihr eigener Vertrag läuft 2017 aus. Möglicherweise trainieren Sie nächste Saison einen Erstligisten. Verlängern Sie in Nürnberg?

Weiler: Im Moment konzentrieren wir uns alle voll und ganz auf die Gegenwart und Zukunft des 1. FC Nürnberg. Hier gibt es noch viel zu tun. Alles andere ist kein Thema. Mir gefällt es in Nürnberg, dennoch gebe ich möglichst nie Bekenntnisse ab.

SPOX: Liegt das auch an der Befürchtung, eines Tages dem hohen Arbeitsaufwand als Trainer Tribut zollen zu müssen?

Weiler: Nein. Wenn die Verschleißerscheinungen zu groß sind, würde ich aufhören. Das wäre es mir nicht wert. Die Frage ist nur, ob man das dann auch noch so sieht, wenn diese Situation einmal eintritt. Ich möchte aber nicht in drei Jahren auf einen 60. Geburtstag eingeladen werden und dann kommen plötzlich alle zu mir und beglückwünschen mich. (lacht)

SPOX: Es wäre für Sie also vorstellbar, dem Fußball vom einen auf den anderen Tag loszusagen?

Weiler: Absolut, dies zu können ist für mich auch von entscheidender Bedeutung. Ich gebe im Geschäft Fußball alles und möchte möglichst viel erreichen. Ich möchte wissen, wo das Maximum liegt. Wenn mir das Geschäft jedoch schadet oder mich nicht mehr reizt, dann habe ich kein großes Problem, nicht mehr diesem Zirkus anzugehören. Ich schätze die vielen Sonnenseiten dieses Berufs, erlebe aber auch die Schattenseiten - und die beeinflussen den gesamten Tagesinhalt massiv. Wenn man als Trainer ein Spiel gewinnt, freut man sich drei Stunden und hat mehrere Nachrichten auf dem Handy. Verlierst du, beschäftigt dich das beinahe drei Tage lang und du hast zudem das Gefühl, alle haben deine Nummer gelöscht.

SPOX: Haben Sie die Ambition, eines Tages einen Champions-League-Verein zu trainieren?

Weiler: Nein. Ziel ist nicht, so hochklassig wie möglich zu trainieren. Das können Sie mir nun glauben oder nicht. Wie gesagt, mich interessiert die Grenze, die ich als Trainer erreichen kann. Das Ende der Fahnenstange stellt für mich aber nicht zwangsläufig die Champions League dar. Ich träume nicht von dieser Hymne. Für mich ist es essentiell, bei meiner Arbeit Befriedigung zu bekommen und Erfolge zu erzielen - das kann aber auch die Weiterentwicklung einzelner Spieler oder des gesamten Vereins sein.