Nach seiner Entlassung bei Werder Bremen heuerte Thomas Eichin als Geschäftsführer Sport bei 1860 München an. Mit den Transfers von Ivica Olic und Stefan Aigner hat er in München-Giesing für neue Euphorie gesorgt. Im Interview mit SPOX spricht Eichin über sympathisches Chaos bei den Löwen und Ablenkungen auf der Geschäftsstelle, über die Machtverteilung mit Ismaik, seine Fähigkeit, besser zu sein, wenn es schlecht läuft, und Skripniks Underachievement.
SPOX: Herr Eichin, was für ein Gefühl herrscht bei einem Sportchef vor, wenn es am letzten Transfertag Mitternacht schlägt?
Thomas Eichin: Das ist völlig unterschiedlich, je nachdem was man noch vorhatte. Diesmal war es nicht so dramatisch, weil wir schon zwei Tage zuvor beschlossen haben, nicht mehr aktiv zu werden. Prinzipiell wird das aber alles arg aufgebauscht. Die treibenden Kräfte dieses Theaters sind die Agenten.
SPOX: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer ersten Transferperiode als Sportchef von 1860 München?
Eichin: Ich bin nicht hundertprozentig zufrieden, weil ich erst im Laufe der Sommerpause dazugestoßen bin, die Mannschaft kennenlernen und jeden einzelnen Spieler beurteilen wollte. Aber die Transfers, von denen wir letztlich überzeugt waren, haben wir alle gemacht.
SPOX: Sie sind offiziell erst seit dem 1. August bei 1860 angestellt, haben zuvor aber bereits im Hintergrund gearbeitet. Was war die Idee dahinter?
Eichin: Aus Erfahrung weiß ich, dass ich, sobald ich auf der Geschäftsstelle anfange, zu 80 Prozent abgelenkt bin, da jeder mit irgendwelchen Wünschen auf mich zukommt. Deshalb habe ich den ganzen Juli ehrenamtlich von Zuhause aus gearbeitet. Mein Büro ist ohnehin mein Smartphone. Dort werden Transfers arrangiert.
SPOX: Mit der Verpflichtung von Stefan Aigner gelang ihnen der Königstransfer. Haben Sie bei der Anfrage ernsthaft geglaubt, dass das klappen könnte?
Eichin: Ich wusste schon, dass er es sich vorstellen konnte, zu Sechzig zurückzukehren - sonst hätte ich auch nicht angefragt.
SPOX: Was bedeutet so eine Identifikationsfigur für einen Verein?
Eichin: Es ist ganz wichtig, Spieler mit einem hohen Identifikationswert in der Mannschaft zu haben. Optimal ist es natürlich, wenn sie - wie im Fall Aigner - auch noch im besten Fußballer-Alter sind.
SPOX: Bei 1860 war Aigner bisher ihre spektakulärste Verpflichtung. Auf welchen Transfer ihrer Karriere sind Sie besonders stolz?
Eichin: Da muss ich drei nennen: Vestergaard, di Santo und Ujah. Sie haben erst sportlich überzeugt und durch ihre Verkäufe dann viel Geld eingebracht.
SPOX: Viel Geld bringen derzeit vor allem die englischen Vereine auf den Markt, nicht zuletzt dank des neuen TV-Vertrags.
Eichin: Was dort passiert, kann ich nicht nachvollziehen. Die Summen, die Durchschnittsspieler in deren zweiter Liga verdienen, sind unglaublich. Da können wir in Deutschland einfach nicht mithalten. Letztendlich haben die Engländer von ihren höheren TV-Geldern aber nichts, weil sie über Preis bezahlen.
SPOX: Was bedeutet all das für die Vereine in Deutschland?
Eichin: Wir bekommen zwar für unsere Spieler mehr Geld, aber das Problem ist, dass wir die abgegebenen Spieler nie mehr zurückbekommen, weil wir ihre Gehälter hier nicht bezahlen können.
SPOX: Zurück zu Ihrer Arbeit bei 1860. Ihr Vorgänger Oliver Kreuzer meinte vor einem halben Jahr im Interview mit SPOX, sein erster Eindruck von 1860 sei "etwas verrückt" gewesen. Was war ihr erster Eindruck?
Eichin: Verrückt würde ich nicht sagen, aber ein sympathisches Chaos gehört hier schon dazu. Das will ich auch aufrechterhalten, obwohl ich eigentlich jemand bin, der immer gerne Ordnung hat und alles strukturiert bearbeiten will. Überrascht hat mich, dass es so viele Sechzig-Fans in München gibt. Der Verein hat eine unglaubliche Popularität und ein brutales Potenzial.
SPOX: Mit Gerhard Poschner und Oliver Kreuzer sind zuletzt zwei prominente Manager daran gescheitert, dieses Potenzial auszuschöpfen. Warum passiert Ihnen das nicht?
Eichin: Ich habe keine Angst vor der Zukunft, sondern eine Aufgabe, die ich erfüllen will. Das ist mir bei meinen bisherigen Engagements immer gelungen.
SPOX: Mussten Sie eigentlich zu Ihrer Tätigkeit bei 1860 überredet werden?
Eichin: Ich wollte mir nach einer intensiven Zeit bei Werder Bremen eigentlich eine Auszeit nehmen und nicht sofort wieder ins Tagesgeschäft einsteigen. Als die Anfrage von Sechzig kam, habe ich aber nach kurzer Bedenkzeit zugesagt, weil ich sicher bin, dass ich mich später geärgert hätte, wenn ich abgesagt hätte.
SPOX: Was ist Ihr langfristiges Ziel mit 1860?
Eichin: Es muss die Vision geben, dass wir irgendwann wieder in der Bundesliga spielen, da gehört der Verein einfach hin. In dieser Saison wollen wir bis zur Winterpause auf einem stabilen Mittelfeldplatz stehen - und dann weiterschauen. Hannover und Stuttgart werden durchmarschieren. Danach kommen einige Verein, die an Platz drei schnuppern können, wir jedoch eher nicht.
SPOX: Laut transfermarkt.de hat 1860 den drittteuersten Kader der Liga. Stapeln Sie nicht etwas tief?
Eichin: Ich glaube nicht, dass das der Realität entspricht. Also nein.
SPOX: Finanziell verantwortlich für den Kader ist bei 1860 Investor Hasan Ismaik. Wie haben Sie ihn bisher erlebt?
Eichin: Ich habe Ismaik einmal in Abu Dhabi besucht und dabei einen positiven Eindruck gewonnen. Er ist ein großer Fußball-Fan und auch ein leidenschaftlicher 1860-Anhänger. Er ist mit Herzblut dabei.
SPOX: Wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen Ihnen beiden vorstellen?
Eichin: Es ist meine Aufgabe, Ismaik über die Vorgänge in München zu informieren. Letztlich bin ich aber komplett frei in meinen Handlungen.
SPOX: Muss er jeden Transfer absegnen?
Eichin: Seit dem Tag, an dem ich Verantwortung übernommen habe, bin ich alleinverantwortlich für die Transfers und wickle sie auch ab. Ismaik entscheidet nicht, welche Spieler kommen und gehen.
SPOX: Sie haben einmal gesagt, Sie arbeiten lieber in einem Verein mit einem Investor als in einem ohne.
Eichin: Ein Investor hat ein klares Ziel und das hast du als Geschäftsführer umzusetzen. Wenn du gut bist, erfährst du das - und wenn nicht, dann auch. Einen Investor interessiert es recht wenig, was in der Zeitung steht und wie dich die Öffentlichkeit sieht, er bewertet alles nach sportlichen und finanziellen Fakten. Bei Vereinen mit vielen Gremien herrschen dagegen permanent Diskussionen, da viele Interessen im Spiel sind. Und wenn dann in der Zeitung steht, dass du schlecht bist, dann bist du auch schlecht.
SPOX: In Ihren knapp drei Jahren in Bremen mussten Sie ohne Investor auskommen. Wie beurteilen Sie Ihre Zeit bei Werder?
Eichin: In meinen Augen war es eine sehr erfolgreiche Zeit. Ich bin stolz auf meine Arbeit, weil ich die gestellten Ziele erreicht habe. Meine Aufgabe war es, den Verein finanziell zu konsolidieren und gleichzeitig stabil durch die Spielzeiten zu kommen. Bei meinem Abschied waren die Finanzen in Ordnung und sportlich lief es nur im letzten Jahr nicht rund.
SPOX: Welchen Anteil daran hatte Trainer Viktor Skripnik?
Eichin: Verantwortlich waren dafür alle Beteiligte, aber er ist als Trainer mit einer Mannschaft in Abstiegsnot geraten, die in meinen Augen eigentlich im einstelligen Tabellenbereich agieren muss.
SPOX: Getrennt hat man sich aber von Ihnen.
Eichin: Ich hatte eine bestimmte strategische Vision und die wurde von den übrigen Verantwortungsträgern nicht geteilt. Da war es nur konsequent, sich zu trennen.
SPOX: Nun arbeiten Sie in der 2. Liga. Wie unterscheidet sich die tägliche Arbeit zwischen den Ligen?
Eichin: Die größten Unterschiede sind der Umfang der medialen Berichterstattung und die personelle Besetzung der Geschäftsstellen. Für Werder arbeiten beispielsweise fast zehnmal mehr Mitarbeiter als für Sechzig. Die Koordination ist dann naturgemäß anspruchsvoller.
SPOX: Vor ihrer Tätigkeit in Bremen waren Sie für den Eishockey-Klub Kölner Haie tätig.
Eichin: Das ist im Vergleich zum Fußball wie Tag und Nacht. Als Verantwortlicher bei einem Eishockey-Verein wollte ich News händeringend verbreiten und in die Medien bringen, bei einem Fußball-Klub versuche ich, so viel wie möglich unter dem Tisch zu halten.
SPOX: Was macht Ihnen mehr Spaß?
Eichin: Meine Zeit im Eishockey war sicherlich die schönere, spektakulärer ist es aber im Fußball. Der Eishockeysport ist einfach ehrlicher, es gibt nicht so viele Nebenkriegsschauplätze und wenn man verliert, dann ist es halt so. Im Fußball hast du immer das Gefühl, es geht um Leben und Tod.
SPOX: Warum sind Sie zum Fußball zurückgekehrt?
Eichin: Ich liebe den Fußball einfach. Es war nicht geplant, dass ich überhaupt so lange im Eishockey-Bereich arbeite. Dass ich zum Fußball zurückkehre, war von Beginn an klar.
SPOX: Der größere Druck macht Ihnen nichts aus?
Eichin: Ganz im Gegenteil, ich bin besser, wenn ich Druck habe. Das war schon als Aktiver so: Ich stand immer in der Startelf, wenn der negative Druck am größten war, und wenn es um Titel ging, saß ich nur auf der Bank. Im Management hat sich das fortgesetzt. Wenn die Kanonen donnern oder die finanzielle Lage prekär ist, dann blühe ich auf. Ich bin ein besserer Krisen- als Erfolgsmanager.
SPOX: Dann ist Sechzig wohl der ideale Verein für Sie.
Eichin: Das kann gut sein.
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