Seit Februar 2018 ist Robin Dutt Trainer beim VfL Bochum in der 2. Liga. In seinen bisherigen elf Partien kommt Dutt auf sechs Siege und nur zwei Niederlagen.
Im Interview spricht Dutt über die Zeit ohne Fußball, die Rückkehr zu seinen Wurzeln in Bochum, die gehäuften Trainerentlassungen, seinen größten Lerneffekt und die Engagements in Freiburg, Leverkusen und Bremen.
SPOX: Herr Dutt, nach über eineinhalb Jahren Pause sind Sie im Februar Trainer des abstiegsbedrohten VfL Bochum in der 2. Liga geworden. Das kam für viele überraschend. Was wäre denn passiert, wenn es dieses Angebot nicht gegeben hätte?
Robin Dutt: Dann hätte ich wohl weiter versucht, meinen Horizont zu erweitern. Ich hatte zwischenzeitlich mehrere Beraterjobs angenommen, klassische Consultingtätigkeiten. Für einen befreundeten Sportdirektor in der Schweiz habe ich zudem das Nachwuchsleistungszentrum analysiert oder war TV-Experte und Co-Moderator im Radio bei amazon. Vielleicht hätte ich irgendwann gesagt, ich schließe mit dem Operativen ganz ab und versuche stattdessen eines dieser Themen hauptberuflich zu machen.
SPOX: Standen Sie vor der Unterschrift in Bochum kurz vor einer Einigung mit einem anderen Klub?
Dutt: Wenn man in der Bundesliga eine gewisse Vita vorweisen kann, bekommt man aus dem Ausland regelmäßig Anfragen oder Angebote. Das liegt natürlich auch daran, dass die Summe des Auslands größer ist als Deutschland. (lacht) Es gab zwei Klubs, die ich mir hätte vorstellen können, doch aus unterschiedlichen Gründen ist es nicht final dazu gekommen. Den Rest empfand ich als weniger interessant, da ich gewisse Vorstellungen davon hatte, was ich künftig machen möchte. Das hatte viel mit Emotion und neuen Erfahrungen zu tun. Ich war deshalb sehr froh, dass der VfL auf mich zukam. Hier sehe ich vor allem das Thema Emotion sehr gut für mich abgedeckt.
spoxSPOX: Es hat bestimmt nicht jeder erwartet, dass Sie Ihr Comeback im Existenzkampf der 2. Liga geben würden.
Dutt: Ich hatte auch Anfragen aus der 3. und 4. Liga. Dass wir jeweils nicht zusammengekommen sind, hatte nichts mit der Liga zu tun. Wenn es ein langfristig angelegtes Projekt gewesen wäre, das mich überzeugt hätte, wäre die Liga für mich kein Ausschlusskriterium gewesen.
SPOX: War es jetzt einfach auch an der Zeit, um wieder auf das Hamsterrad zu springen?
Dutt: Nein. Mein Wunsch war, wieder operativ zu arbeiten, aber nicht um jeden Preis. Zumal mir die angesprochenen Tätigkeiten in den eineinhalb Jahren Pause richtig Spaß gemacht und eine Herausforderung für mich dargestellt haben. Mir war keineswegs langweilig. Allerdings habe ich jetzt schnell wieder gemerkt, dass das operative Arbeiten dann doch nochmal ein Stückchen mehr Spaß macht.
Dutt über Angebote als Trainer und Sportdirektor
SPOX: Operativ heißt in Ihrem Fall ja: Sportdirektor oder Trainer, da Sie beide Tätigkeiten bereits ausgefüllt haben. Für welche Funktion erhielten Sie mehr Angebote?
Dutt: Eines der zwei Angebote, die konkreter wurden, war eine Stelle in England, in der ich das klassische Modell des Trainers und Managers ausgefüllt hätte. Ich habe eine Zeit lang den Fehler gemacht, mich dazu drängen zu lassen, mich gewissermaßen zu outen. Á la: Bin ich jetzt Trainer oder Sportdirektor? Ich habe dann für mich gemerkt, dass es überhaupt keinen Grund gibt, sich dabei zu limitieren. Momentan bin ich sehr froh, dass ich als Trainer angefragt wurde. Ich hätte mich aber auch seriös mit Anfragen als Sportdirektor auseinandergesetzt. Fakt ist: Ich hatte in meinem Leben nur zwei Anfragen als Sportdirektor - und bei beiden habe ich zugesagt, weil man jeweils einen Trainer als Sportdirektor haben wollte.
SPOX: Sprich ein reines Angebot als Sportdirektor war nun überhaupt nicht dabei?
Dutt: Man muss unterscheiden zwischen Angebot, konkreter Anfrage und Nachfrage. Im Ausland läuft unglaublich viel über die Berater und Agenten. Es rufen dich Berater an, von denen du noch nie gehört hast, die aber einen Zugang zum Markt haben und dich fragen, ob du dir dieses und jenes vorstellen könntest. Man muss sich selbst auch ein wenig öffnen, denn von alleine bekommt man keinen Zugang beispielsweise zum japanischen Markt. Ich hatte also Anfragen als Sportdirektor, aber es kam nie zu einem Gespräch, bei dem ich mit einem bestimmten Verein an einem Tisch gesessen hätte.
Robin Dutt: Seine Stationen als Trainer und Sportdirektor
Amtszeit | Verein | Funktion |
seit 2018 | VfL Bochum | Trainer |
2015 - 2016 | VfB Stuttgart | Vorstand Sport |
2013 - 2014 | Werder Bremen | Trainer |
2012 - 2013 | DFB | Sportdirektor |
2011 - 2012 | Bayer Leverkusen | Trainer |
2007 - 2011 | SC Freiburg | Trainer |
2003 - 2007 | Stuttgarter Kickers | Trainer |
2002 - 2003 | Stuttgarter Kickers II | Trainer |
1999 - 2002 | TSF Ditzingen | Trainer |
1995 - 1999 | TSG Leonberg | Spielertrainer |
SPOX: Inwiefern waren Sie denn grundsätzlich zuversichtlich gestimmt, dass Sie ein Angebot erhalten, das Ihren Wünschen entspricht?
Dutt: Ich bin nicht wie selbstverständlich davon ausgegangen, da ich mich schon selbst limitiert habe bei den Dingen, die für mich in Frage kommen. Ich habe meinen eigenen Werdegang reflektiert. Vor zehn Jahren wäre ich sicherlich offener gewesen. Ich dachte aber nicht: Ich bekomme keine Chance mehr, sondern habe eher eine neutrale Haltung eingenommen. Durch die regelmäßigen Anfragen aus dem Ausland hatte ich die Option, etwas annehmen zu können, wenn ich es unbedingt gewollt hätte. Dass am Ende der VfL Bochum als eine von 36 Stellen in den ersten beiden Ligen dabei herauskommt und man der Meinung ist, dass es gegenseitig passt, davon darf man heutzutage nicht ausgehen.
Dutt über sein Bild vom VfL Bochum und die Rückkehr zu seinen Wurzeln
SPOX: In dieser Saison verschliss der VfL drei Trainer, Sportvorstand Christian Hochstätter musste gehen und zwei Mitglieder des Aufsichtsrats sind zurückgetreten. In Bochum schrieb man also viele negative Schlagzeilen. Wieso hat Sie das nicht abgeschreckt?
Dutt: Man muss auch sehen, dass hier vor kurzem mit Gertjan Verbeek ein Trainer zweieinhalb Jahre am Stück gearbeitet hat. Das ist eine überdurchschnittliche Zeit im Fußball. Ich habe das letzte halbe Jahr von außen logischerweise als turbulent empfunden, so wie jeder. Vor dieser Zeit ging es jedoch sehr konstant zu. Aus persönlicher Sicht gesehen ist es zudem so: Wenn du als Trainer mitten in einer Saison einsteigst, ist es eher besser, wenn die Mannschaft unter als über ihren Möglichkeiten gespielt hat. Dazu kenne ich Heiko Butscher sehr gut, wir standen in Kontakt und er konnte mir ein paar Informationen geben. Und über allem steht, dass der VfL ein echter deutscher Traditionsverein ist.
SPOX: Welches Bild hatten Sie grundsätzlich vom VfL?
Dutt: Bochum ist Fußball pur. Wenn man in die Region und die Stadt Bochum hineinfährt, hat man den Eindruck, dass hier der Fußball herkommen muss. Weniger Chichi, dafür klarer Fußball - das gefiel mir schon immer sehr gut.
imagoSPOX: Nach Ihren Stationen in Leverkusen, beim DFB, in Bremen und Stuttgart ist Bochum der kleinste Verein, bei dem Sie zuletzt arbeiteten. Inwiefern war das auch Ihr Wunsch, um an einem solchen Standort langfristig etwas aufbauen zu können?
Dutt: Ich will es umdrehen: Vielleicht musste ich hier landen, da es mein Wunsch war, zu einem Verein zu kommen, der mich so nimmt wie ich bin. Der meine Schwächen in Kauf nimmt, aber meine Stärken anerkennt und zusammen mit mir der Meinung ist, dass sie als logische Konsequenz zum Verein passen. Ich habe hier den Eindruck, so sein zu können, wie ich sein will - und wie ich es vielleicht zu meiner Anfangszeit bei den Stuttgarter Kickers oder dem SC Freiburg sein konnte. Ich hatte vom ersten Kontakt an das Gefühl, hier so Trainer sein zu können, wie ich es mir vorstelle.
SPOX: Zurück zu den Wurzeln also?
Dutt: Die neun Jahre bei den Kickers und in Freiburg haben mich in Sachen gemeinsame Entwicklungsarbeit, Förderung junger Spieler oder Kreativität in der Kaderplanung sicherlich geprägt. Teamgeist, Innovation, Forschung und Entwicklung, neue Ideen zu spinnen oder neue Tools zu integrieren - das sind Dinge, die mich interessieren und die ich gerne vorantreibe. Hier habe ich eher die Zeit, parallel zum Tagesgeschäft fußballtaktische Dinge auszuprobieren oder zu versuchen, internationale Einflüsse ins eigene Trainingsprogramm zu integrieren. Wenn du Champions League spielst, ist es im Dreitagesrhythmus schwierig, an solchen Themen zu tüfteln oder mit Leuten aus dem Nachwuchsleistungszentrum zusammenzusitzen. Deshalb habe ich natürlich die Hoffnung, dass sich in Bochum die Geschichte wiederholt.
SPOX: Bochum gehört zu den Vereinen, die gewisse Probleme in Sachen Erwartungshaltung aus der Tradition heraus haben. Ist man dort unrealistisch überambitioniert?
Dutt: Man kann den Menschen keine Träumereien vorwerfen. Ein Verein muss das, was er vermitteln will, auch ausstrahlen und leben. Der Fußball hat sich dahingehend verändert, dass es nun neue Vereine unter den ersten 36 Mannschaften gibt, die automatisch den Platz von Traditionsvereinen sportlich streitig gemacht haben. Deshalb war es auch 2007 schon so klug vom Freiburger Präsidenten Achim Stocker zu sagen, man habe die Erwartung, dauerhaft zu den 25 besten Vereinen Deutschlands gehören.
SPOX: Weshalb?
Dutt: Die Traditionsvereine brauchen alle ihren Platz im heutigen Karussell. Sie sollten vor allem einen Anspruch an ihre Werte formulieren und die sportliche Zielsetzung in einen gewissen Rahmen packen, innerhalb dessen sie sich sportlich gut aufgehoben fühlen - weil eben durch die neuen Big Player ein paar Plätze weg sind, die für manche Vereine schlichtweg nicht mehr zu erreichen sind, ohne die eigenen Werte zu verkaufen. Das Interesse des VfL Bochum muss sein, dass weniger Geld in den Fußballmarkt fließt, denn dann hat die Ausbildung einen höheren Stellenwert - und wir eine größere Chance, um aufzuholen. Zusammengefasst heißt das: Wir müssen in Spannen denken, innerhalb derer wir uns sportlich sehen - bei Erhalt definierter Werte im gegenseitigen Umgang.
VfL Bochum: Die Platzierungen seit dem Bundesliga-Abstieg 2010
Saison | Tabellenplatz |
2016/2017 | 9 |
2015/2016 | 5 |
2014/2015 | 11 |
2013/2014 | 15 |
2012/2013 | 14 |
2011/2012 | 11 |
2010/2011 | 3 |
SPOX: Wäre es realistisch für Bochum, einen Platz in den Top 25 Deutschlands als Ziel zu formulieren?
Dutt: Es ist echt schwierig, aber die handelnden Personen müssen versuchen, sich ein Vertrauen zu erarbeiten, um über dieses Vertrauen gegenseitiges Gehör zu finden oder auch mal eine Krise gemeinsam durchzustehen. So könnte eine Stoßrichtung für den VfL entstehen, die sinngemäß in Stockers Richtung geht. Gegenseitiges Vertrauen aufzubauen halte ich grundsätzlich für einen guten Ansatz.
SPOX: Damit einhergeht wiederum die immer kürzere Halbwertszeit von Fußballtrainern.
Dutt: Dazu habe ich eine klare Position: Das schadet eindeutig der Qualität des Fußballs. Wenn Trainer konditioniert werden, nur noch in Etappen von zwölf oder 18 Monaten zu denken, dann wird es schwierig von ihnen zu verlangen, einen jungen Spieler für die nächsten zwei, drei Jahre aufzubauen. Warum sollte man das tun? Ein Trainer muss so aufstellen, dass er am Wochenende gewinnt. Es ist hervorragend, welche Trainertalente wir in Deutschland haben. Wenn davon aber zehn Stück in 24 Monaten verheizt werden und nur drei übrig bleiben, fehlt uns der Rest wieder in den NLZs, da die wenigsten dorthin zurückkehren möchten - und dann fehlt dort die Qualität.
Dutt über den größten Lerneffekt und die Stationen Freiburg, Bayer, Bremen
SPOX: Zumal man den Eindruck nicht von der Hand weisen kann, dass andere Nationen wieder näher herankommen.
Dutt: So ist es. Ich halte es für einen schlechten Witz, wenn man den deutschen Teams in der Europa League vorwirft, sie verlören - überspitzt gesagt - deshalb gegen ein norwegisches Team, weil der Gegner nicht attraktiv spiele oder man gar keine Lust habe. Sie verlieren deshalb, weil das norwegische Team inzwischen auch einfach gut ist. Momentan ist es mir zu viel, wenn die Diskussion in die Richtung geht, dass man mehr Qualität durch mehr Geld bekommt. Anstatt zu sagen: Mehr Qualität durch mehr Nachhaltigkeit. Und das geht nur durch Ausbildung, durch gute Trainer, sportkompetente Sportvorstände oder geduldige Präsidenten und Aufsichtsräte.
SPOX: Sie haben vor Ihrem Wiedereinstieg gesagt, dass es ein paar Dinge gäbe, die Ihnen nie wieder passieren dürfen. Welche sind das?
Dutt: Das sind Dinge, die Erfahrung ausmachen. Natürlich denke ich heute bei manchen Themen: Was hast du damals eigentlich im Kopf gehabt? Es muss aber auch weiterhin so sein, dass junge Trainer ein bisschen weniger nachdenken als ältere. Manche Dinge, die man als junger Trainer mit seinen Hörnern anstößt, gehen ja auch gut. Auf Bundesliganiveau kann es aber sein, dass von zehn Dingen neun gutgehen, wenn du dir beim zehnten aber das Horn zu arg anstößt, kann es dich herausspülen.
SPOX: Worin bestand bei Ihnen der größte Lerneffekt?
Dutt: Das Thema Mannschafts- und Menschenführung ist das wichtigste. Das hat letztlich nichts mit Fußball zu tun, sondern damit, dass man mit jedem Jahr als Mensch besser einzuschätzen weiß, wie differenziert man mit jedem einzelnen Menschen umgehen sollte - unabhängig von seinen eigenen Idealvorstellungen. Als junger Trainer denkt man oft: Die müssen es doch nur so machen, wie ich es sage, dann funktioniert es auch. (lacht)
SPOX: Als Sie als junger Trainer im höherklassigen Profibereich anfingen, wurden Sie in Freiburg der Nachfolger des langjährigen Trainers Volker Finke. Anschließend in Leverkusen folgten Sie auf Jupp Heynckes, in Bremen lösten Sie Thomas Schaaf ab. Einfacher wollten Sie es nicht haben?
Dutt: Mir fällt jetzt erst auf, dass es in Bochum nun erstmals anders war. (lacht) Das war natürlich jeweils brutal für mich. Zunächst einmal war es eine große Ehre, dass Vereine nach Finke, Heynckes und Schaaf auf mich kommen. Es war aber auch jedes Mal eine extrem große Bürde. Ich möchte nicht einen der Klubs und meine dortigen Erfahrungen missen.
SPOX: Wie blicken Sie zurück auf diese Stationen?
Dutt: Kurz gesagt: Freiburg lief top, Leverkusen nicht so gut, Bremen lag in der Mitte davon.
imagoSPOX: Und lang gesagt?
Dutt: Auf Volker Finke zu folgen war schwierig, weil die Stadt zwischen totaler Verehrung und dem Wunsch nach Veränderung gespalten war. Entsprechend war auch der Zuspruch für mich anfangs gespalten. Das Erbe von Thomas Schaaf anzutreten war aufgrund der unglaublichen Ausstrahlung und der Art und Weise, wie er den Verein geprägt hat und geliebt wurde, ebenfalls alles andere als einfach. Dort konntest du machen, was du wolltest: Die Persönlichkeitsebene von Schaaf zu erreichen war schlicht nicht machbar. Sportlich haben wir in der ersten Saison unsere Ziele dennoch früh erreicht. Das Amt bei Bayer nach Heynckes war deshalb kompliziert, weil er eine Mannschaft aufgebaut hat, die am Ende seiner Amtszeit sicher auf dem Höhepunkt angekommen war. Er ging dann überraschend zu den Bayern, so dass der geplante Umbruch und meine Verpflichtung ein Jahr vorgezogen wurden und ich das alles gestalten musste. Da ich zuvor "nur" bei den Stuttgarter Kickers und in Freiburg gearbeitet hatte, fehlte mir schlicht noch ein wenig die Erfahrung, das große Paket Leverkusen zu stemmen.
SPOX: Trotz dieser Voraussetzungen spricht auch eine große Dankbarkeit aus Ihnen, oder?
Dutt: Selbstverständlich. Wie dankbar kann man eigentlich sein, wenn man diese Vereine in diesen Situationen von drei solchen Trainer-Ikonen übernehmen darf und dann auch noch dort herkommt, wo ich herkomme? Vieles von dem, was ich jetzt bin, bin ich durch diese Erfahrungen geworden.