Handball-WM - DHB-Erkenntnisse: Bitter ist der bessere Wolff - Gensheimer mutiert zum Chancentod

Felix Götz
22. Januar 202110:56
Jogi Bitter (l.) zeigt bei der WM deutlich bessere Leistungen als Andreas Wolffgetty
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Deutschland hat bei der Handball-WM in Ägypten das so wichtige Spiel gegen Spanien mit 28:32 verloren. Die Ausgangslage ist mau, Andreas Wolff büßt seinen Status als 1A-Lösung ein, im Rückraum fehlt die führende Hand. Und was ist eigentlich mit Uwe Gensheimer los? Die Erkenntnisse zum DHB-Team.

1. Ausgangslage: Ein kleines Wunder muss her

Die Chance auf den zweiten Platz in der Hauptrundengruppe I und den damit verbundenen Einzug ins Viertelfinale ist minimal, aber sie existiert - sogar in zweifacher Hinsicht. Grundvoraussetzung ist jeweils, dass die deutsche Mannschaft ihre verbleibenden beiden Spiele gegen Brasilien (Sa., 20.30 Uhr im LIVETICKER) und Polen (Mo., 20.30 im LIVETICKER) gewinnt.

Die erste Konstellation ist rein theoretischer Natur. Dazu müsste Spanien seine Partien gegen Uruguay und Ungarn verlieren. Allerdings wäre es zweifelsohne das größte Wunder in der Geschichte des Handballs, sollten die Urus tatsächlich dem amtierenden Europameister ein Bein stellen.

Also vergessen wir das ganz schnell und konzentrieren uns auf die zweite denkbare Variante, die zumindest nicht vollkommen aus der Luft gegriffen ist. Dazu müsste Ungarn seine Spiele gegen Polen am Samstag und am Montag gegen Spanien verlieren. Somit wäre Spanien Gruppensieger, während Deutschland, Ungarn und Polen jeweils sechs Zähler auf dem Konto hätten.

Das DHB-Team hat gegen Spanien verloren.getty

Es würde zum Dreiervergleich kommen, in dem die Mannschaft mit dem besten Torverhältnis weiterkommt. Da die DHB-Auswahl mit nur einem Tor gegen Ungarn (28:29) verloren hat, müsste sie mit einem Treffer mehr gegen Polen gewinnen, als Polen die Ungarn schlägt.

"Das wird jetzt sehr, sehr schwierig", sagte Gislason zu einem möglichen Weiterkommen in die Runde der letzten Acht: "Wir müssen uns auf uns konzentrieren und beide Spiele gewinnen, mehr können wir nicht tun. Und dann brauchen wir sehr viel Glück mit den anderen Ergebnissen."

Handball-WM: Hauptrundengruppe I

DatumUhrzeitTeam 1Team 2Ergebnis
Do., 21. Januar18 UhrUngarnBrasilien29:23
Do., 21. Januar20.30 UhrSpanienDeutschland32:28
Do., 21. Januar15.30 UhrUruguayPolen16:30
Sa., 23. Januar20.30 UhrDeutschlandBrasilien
Sa., 23. Januar18 UhrPolenUngarn
Sa., 23. Januar15.30 UhrUruguaySpanien
Mo., 25. Januar18 UhrSpanienUngarn
Mo., 25. Januar15.30 UhrBrasilienUruguay
Mo., 25. Januar20.30 UhrPolenDeutschland
RangNationSpieleDifferenzPunkte
1.Ungarn3+336:0
2.Spanien3+55:1
3.Polen3+234:2
4.Deutschland3+242:4
5.Brasilien3-161:5
6.Uruguay3-690:6

2. Wolff hat seinen Status als Nummer 1 verloren

Womöglich erwarten Handball-Deutschland und Andreas Wolff selbst einfach zu viel von Andreas Wolff. Seit seinen Heldentaten beim EM-Triumph 2016 wird der Torhüter vom polnischen Spitzenklub KS Vive Kielce an exakt diesen Leistungen gemessen. Der 29-Jährige scheint sich selbst an ihnen zu messen.

"Bei Wolff habe ich manchmal den Eindruck, dass er sich selbst zu sehr unter Druck setzt und denkt, er müsste die Nation retten. Wenn man das macht und nicht mit der nötigen Lockerheit ins Spiel geht, kann es vorkommen, dass man nicht seine beste Leistung abrufen kann", sagte Deutschlands Kreisläufer-Legende Christian Schwarzer dazu im SPOX-Interview.

Dabei war Wolff bereits bei den vergangenen Turnieren nicht konstant auf höchstem Niveau unterwegs. Bei der EM im vergangenen Jahr spielte der Euskirchener mit 30 Prozent abgewehrten Würfen sogar das statistisch schlechteste Turnier seiner DHB-Laufbahn. Und in Ägypten läuft es bislang sogar noch bescheidener für ihn.

In den entscheidenden Partien gegen Ungarn und Spanien verbuchte Wolff insgesamt nur sechs Paraden. Im ersten Spiel wehrte er desolate 13 Prozent aller Würfe ab, gegen Spanien dann immer noch überschaubare 22 Prozent. Das ist natürlich für einen Mann mit seinen Qualitäten und Ansprüchen viel zu wenig.

SPOXgetty

"Wolff war okay", sagte Gislason nach der Partie gegen die Iberer und beschrieb dessen Performance damit noch ziemlich freundlich. Nach dem Ungarn-Spiel fiel das Urteil dagegen deutlich aus: "Als Jogi Bitter reinkam, hatten wir wenigstens eine Torhüterleistung."

Wolff, der vor der WM von Gislason zur 1A-Lösung ernannt worden war, dürfte seinen Status eingebüßt haben. Bitter war in beiden Partien - 21 Prozent gegen Ungarn und 37 Prozent gegen Spanien - der klar bessere Torhüter. Wolff, der bereits beim Auftaktspiel gegen Uruguay aussetzen musste, dürfte sich keinesfalls beschweren, wenn er zumindest am Samstag gegen Brasilien durch Silvio Heinevetter im 16er Kader ersetzt werden würde.

Der Fairness halber muss man noch einmal die nicht zu kompensierenden Ausfälle von Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler und Finn Lemke erwähnen. Das Mittelblock-Duo aus Johannes Golla und Sebastian Firnhaber funktioniert gegen absolute Topmannschaften verständlicherweise noch nicht besonders gut. Und freilich sind Torhüter immer auch ein Stück weit auf ihre Abwehr angewiesen.

3. Es fehlt die führende Hand - Gensheimer als Chancentod

Vorneweg muss erwähnt werden: Der Rückraum der deutschen Mannschaft hat in den Spielen gegen Ungarn und Spanien phasenweise so viel Freude wie seit Jahren nicht mehr bereitet. Bewegung, Entschlossenheit, Finesse, Wurfgewalt - allen voran Philipp Weber, Kai Häfner und Paul Drux haben das teilweise sehr gut gemacht.

"Teilweise war das so, dass man sagen kann, dass es kaum besser geht. Wir haben uns viele Chancen überragend herausgespielt", sagte Gislason nach dem Spanien-Spiel. Julius Kühn war dazu zumindest zeitweise gegen Ungarn ordentlich.

Allerdings wurde vor allem in den vogelwilden fast zehn Minuten ohne einen einzigen Treffer in der zweiten Hälfte gegen Spanien, als die Partie nach einer Drei-Tore-Führung völlig aus der Hand gegeben wurde, einmal mehr deutlich, dass dem DHB-Team eine führende Hand in alles entscheidenden Phasen im Rückraum fehlt.

"Wir haben angefangen, mit viel zu viel Risiko zu spielen. Dadurch und durch die vielen ganz freien Bälle, die wir verworfen haben, haben wir uns das Spiel selbst kaputt gemacht", erklärte Gislason.

Der Isländer weiß, dass es für dieses Problem in Zukunft eine Lösung geben könnte - und die heißt Juri Knorr! Der 20-Jährige, der im Sommer von GWD Minden zu den Rhein-Neckar Löwen wechselt, deutete gegen Spanien seine herausragenden Fähigkeiten bereits an. Klar ist aber genauso, auch das zeigte sich gegen den Europameister, dass man einem WM-Rookie die Fehler eines Rookies nun einmal verzeihen muss.

SPOXgetty

Apropos Leader: Die pauschale Behauptung, Kapitän Uwe Gensheimer würde in der Nationalmannschaft seit Jahren grundsätzlich schlecht spielen, ist Unfug. Der Linksaußen war nachweislich bei den Weltmeisterschaften 2015 in Katar und 2019 in Deutschland und Dänemark sowie bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio herausragend.

Es lässt sich allerdings nicht wegdiskutieren, dass Gensheimer für einen Spieler mit seiner Qualität zumindest beim DHB-Team zu häufig in den ganz wichtigen Momenten zum Chancentod mutiert. Das war auch gegen Spanien der Fall, als er in der Schlussphase der Partie den Ausgleich erzielen hätte müssen, stattdessen aber völlig freistehend an Torhüter Gonzalo Perez de Vargas scheiterte. Diese Szene war im Endeffekt der endgültige Genickbruch für das DHB-Team.