Schauspielerei! Im Handball? Timo Kastening gehörten mit seiner Wutrede zur zunehmenden Theatralik im Handball mal wieder die Schlagzeilen. "Mir geht es um unseren schönen Sport. Insgesamt bewegt sich der Handball in eine falsche Richtung", erklärte der Rechtsaußen von Bundesliga-Tabellenführer MT Melsungen im Interview mit handball-world, nachdem er mit seiner Forderung nach konsequenteren Bestrafungen für "Schauspieler" eine emotionsgeladene Debatte in der Szene ausgelöst hatte.
Bundestrainer Alfred Gislason sprang Kastening nun öffentlich zur Seite. "Ich finde seinen Appell richtig", sagte der Isländer. Der Handball biete "genug sportliche Show - da braucht es wirklich keine Schauspielerei. Ich denke, darüber herrscht auch Einigkeit." Dass Gislason den Flügelflitzer, der ob seiner blitzschnellen Tempogegenstößen den Beinamen "Speedy Gonzales" verpasst bekommen hat, für die richtungsweisenden Start in die EM-Qualifikation mit Spielen gegen die Schweiz am Donnerstag (18.30 Uhr) und in der Türkei am Sonntag (15.10 Uhr) nominierte, hat indes rein sportliche Gründe.
Kastening ist ein ausgesprochen geradliniger Typ, der sagt, was er denkt. Einer, der auch mal Fehler macht (und diese eingesteht). Vor allem jedoch einer, der immer mit dem Herzen dabei ist. Das gilt für Dinge abseits des Feldes genau wie für seine Auftritte auf der Platte. Weil Deutschlands Handballer des Jahres 2019 nach einer Leistungsdelle in Melsungen, die ihn seine Olympia-Nominierung gekostet hatte, zuletzt wieder groß aufspielte, holte Gislason ihn gut zwei Monate vor der WM zurück in die Nationalmannschaft.
Timo Kastening: "Spielt keine Rolle, dass ich nachgerutscht bin"
"Timo hatte eine nicht ganz so starke Phase, weswegen ich ihn auch nicht nominiert hatte. Jetzt ist er wieder sehr gut in Form", sagt der Isländer, Kastening habe sich unter MT-Trainer Roberto Garcia Parrondo "auch in der Abwehr noch weiter verbessert". Der Linkshänder sei ein "sehr außergewöhnlicher Außenspieler. Er hat die Fähigkeit, auch aus sehr spitzen Winkeln zu treffen und bringt dadurch sehr viel Qualität und Effizienz in die Mannschaft."
Freilich rutschte Kastening erst durch einige verletzungsbedingte Absagen zurück ins DHB-Team, die gebotene Chance will er aber unbedingt nutzen. Zumal das Spiel gegen die Schweiz etwas besonderes für ihn ist: Im Jahr 2019 gab Kastening gegen die heute von Andy Schmid trainierte Mannschaft sein Debüt im DHB-Trikot, es ist zugleich seine 60. Partie mit dem Adler auf der Brust.
"Ich freue mich sehr, dabei zu sein und wieder zwei Länderspiele zu bestreiten", sagt Kastening: "Und es spielt keine Rolle, dass ich erst nachgerutscht bin. Ich freue mich auf die Jungs." Vor allem fiebert der 29-Jährige aber seiner Chance entgegen, noch auf den Zug zur Weltmeisterschaft im Januar aufzuspringen. Die Länderspiele gegen die Schweiz und die Türkei, das weiß Kastening, sind die letzten vor der Kaderbekanntgabe.