Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Kunert über sein ausgefallenes Äußeres und erklärt, weshalb ihn seine damaligen Frisuren während der gesamten Karriere verfolgten.
Kunert, der derzeit für den SV Zeilsheim in der 6. Liga aktiv ist, nennt zudem die Gründe, weshalb er es nicht bis ganz nach oben schaffte und erzählt von einer Erkrankung, die ihn beinahe das Leben kostete.
Herr Kunert, sollen wir es direkt hinter uns bringen?
Timo Kunert: Hilft ja nix.
Eben. Was war los?
Kunert: Ich fand diese Frisuren unglaublich gut. Wenn ich sie mir heute anschaue, lache ich mich kaputt. Da frage ich mich echt, was in meinem Kopf vorging.
Damit sind Sie immerhin nicht alleine!
Kunert: Zu jener Zeit bin ich alle zwei, drei Wochen zur Friseur-Kette "Unisex" gerannt. Die haben dir diese speziellen Frisuren gemacht. Ich war dort Dauergast. Mir wurde die neueste Frisur ja bald langweilig. Dann musste ich wieder etwas anderes haben.
Sie sind mit zwölf Jahren zum FC Schalke 04 gekommen, haben dort alle Jugendteams durchlaufen und im Januar 2006 schließlich einen Profivertrag unterschrieben. Wie wurde dort Ihr auffälliges Äußeres wahrgenommen?
Kunert: Ich bin damit natürlich angeeckt. Die Frage, ob ich in einen Farbtopf gefallen sei, war noch die harmloseste. Heute würde ich im Leben nicht mehr sonnenbankgebräunt und mit Irokesen-Schnitt bei den Profis auflaufen. Das würde doch eh nicht mehr gehen. Heutzutage würde man gezwungen, eine normalere Frisur zu tragen.
Wie wichtig war Ihnen Ihr Aussehen?
Kunert: Jeder Fußballer lügt, wenn er auf diese Frage antwortet, das wäre ihm nicht wichtig. Jeder will sich abgrenzen, will cool sein, ein tolles Auto fahren und eine schöne Uhr tragen - jeder! Als ich auf meiner zweiten Station beim HSV lange verletzt war, wurde mir das alles zu blöd. Dort habe ich meine Haare eineinhalb Jahre lang herauswachsen lassen, weil es mir nicht gutging und ich nicht als bunter Paradiesvogel herumlaufen wollte. Davon gibt es ja auch noch lustige Bilder.
Das stimmt. Welches Modell ist denn rückblickend betrachtet Ihr Favorit?
Kunert: (lacht) Wahrscheinlich das aus der A-Jugend: Ganz kurz, oben schwarze Haare und dazu ein rot gefärbter Iro.
Im offiziellen Forum von Eintracht Frankfurt gibt es einen Thread mit dem Titel "Timo Kunert wird Profi", der ...
Kunert: (unterbricht) Weiß ich doch alles!
2006 ging er los, ist 59 Seiten lang und dreht sich in den 1169 Beiträgen hauptsächlich um Ihre Frisur sowie Ihren Werdegang. Dort wird gemutmaßt, dass Sie mitlesen. Stimmt das?
Kunert: Mein Bruder schickte mir das mal mit dem Hinweis zu, ich sei in Frankfurt eine ganz große Nummer. Als es aufkam, war mir das scheißegal. Ich habe mir diese Frisuren ja ganz bewusst zugelegt, weil ich immer auffallen musste. Ich wollte nicht nur Mitläufer sein. Ich hatte auch stets Fußballschuhe in verschiedenen Farben. Ich bin einfach ein extrovertierter Typ und habe mich nie verstellt. Ein Benni Höwedes hatte 15 Jahre lang dieselbe Frisur - und ich war halt so.
2007 rief eine Fan-Website "The Great Hair Debate" ins Leben und ließ über die besten Frisuren abstimmen. Sie duellierten sich dort mit keinem Geringeren als Sergio Ramos.
Kunert: Was? Davon habe ich jetzt tatsächlich noch nie gehört. Schicken Sie mir das bitte unbedingt zu! In einem Atemzug mit Sergio Ramos genannt zu werden - welch eine Ehre!
Heute sind Sie 35 Jahre alt und kicken beim SV Zeilsheim in der Verbandsliga Hessen-Mitte. Das ist die 6. Liga. Weiß man dort Bescheid?
Kunert: Selbstverständlich. Die Mitspieler googeln einen ja. Meine Frisuren haben mich die gesamte Karriere über verfolgt. Ein Kollege hat mal eines der legendären Fotos ausgedruckt und mir an den Spind gehängt. Ab 2009, als ich für die Sportfreunde Lotte spielte, wurden meine Frisuren, so möchte ich meinen, unauffälliger. Mit den Jungs aus Zeilsheim habe ich ein Abkommen: Steigen wir auf, dürfen sie bestimmen, welche der früheren Frisuren ich mir noch einmal für einen Monat machen muss. Da müsste dann auch meine Frau durch.
Was sagt die denn, wenn sie die Bilder von früher sieht?
Kunert: 'Ich hätte dich nicht mit dem Arsch angeguckt', hat sie mal gesagt. (lacht) Die lacht sich natürlich auch schlapp. Ich find's ja selbst total lustig. Aber das war ich, das war meine Zeit.
Ihre Zeit auf Schalke ist einst am 7. April 2007 gekommen: 28. Spieltag, Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach, Erster gegen Letzter - und Sie kickten zum ersten und letzten Mal in der Bundesliga. Fühlt sich das weit weg für Sie an?
Kunert: Es kommt mir vor, als wäre es gestern gewesen. Das wird sich auch nicht ändern, denn das vergesse ich nie. Ich weiß noch genau, wie ich draußen bereit zur Einwechslung stand und dachte: Endlich bekomme ich meinen Einsatz - und ab nächster Woche geht das jetzt selbstverständlich immer so weiter. Ich wäre tot umgefallen, hätte mir jemand gesagt, dass dies mein einziger Bundesligaeinsatz sein würde.
Sie wurden von Trainer Mirko Slomka beim Stand von 2:0 in der 90. Minute für Mesut Özil eingewechselt. Kam der Einsatz für Sie überraschend?
Kunert: Ja, denn kurz zuvor haben wir in Mainz nach einer guten Stunde bereits 3:0 geführt und da hat er mich nicht gebracht. Da wurde ich schon von den anderen Ersatzspielern getröstet, weil ich so enttäuscht war. Als wir uns aufwärmten und Co-Trainer Olli Reck rief, habe ich daher erst fragend auf mich gezeigt. Dann winkte auch Gerald Asamoah. Ich dachte, der will mich verarschen. Wer Asa kennt weiß nämlich, dass das auch ein mieser Trick hätte sein können, damit ich zur Bank renne und mich zum Vollhorst mache.
Es war aber kein Trick.
Kunert: Zum Glück. Ich bin losgesprintet und sah auf dem Videowürfel, dass die 87. Minute lief. Asamoah hat dann aber tatsächlich noch meine Schienbeinschoner versteckt. Ich war vollkommen nervös, wollte einfach nur aufs Feld und der hat sich kaputt gelacht.
Sie mussten dann noch eine Weile an der Seitenlinie warten, bis es eine Spielunterbrechung gab.
Kunert: Das waren vielleicht eineinhalb Minuten, aber mir kam's wie eine Ewigkeit vor. Ich dachte schon, das könnte jetzt auch richtig bitter werden: Ich da draußen in voller Montur und plötzlich wird einfach abgepfiffen. Sie müssen sich das ja so vorstellen, dass der Moment, für den ich über etliche Jahre fast alles aufgegeben habe, unmittelbar bevorstand. Ich habe mein komplettes Leben danach ausgerichtet, mich vernünftig ernährt, ausreichend geschlafen, mit Abstrichen auf Partys verzichtet. Ich komme vom Dorf, da konnte man jedes Wochenende für einen Zehner frei saufen. Da war ich natürlich nie. Doch irgendwann will man sich ja endlich beweisen. Wenn ich schon einen Teil meiner Jugend wegschmeiße, dann muss sich das ja verdammt nochmal auch lohnen.
Rund zweieinhalb Minuten dauerte Ihr Einsatz, Sie kamen auf zwei Ballaktionen. Beschreiben Sie doch einmal das Spielgeschehen, als Sie auf dem Feld waren.
Kunert: Wie die Leute meinen Namen gerufen haben, da bekomme ich heute noch Gänsehaut! Da ich als Sechser reinkam, habe ich mir schon ein paar Ballkontakte ausgerechnet. Halil Altintop spielte mir nach ein paar Sekunden den Ball zu und schrie: 'Hier, das ist dein erster Ballkontakt in der Bundesliga!' Den habe ich dann sauber mit der Innenseite zurück zur Abwehr gepasst. Ganz so, wie Slomka gesagt hat: 'Timo, mach' keine Über-Dinge, halte einfach den Ball!'
Sie sollen auch eine Gelbe Karte bekommen haben, die aber nirgends aufgeführt ist.
Kunert: Ein absoluter Wahnsinn, dass die in allen Statistiken zu diesem Spiel fehlt. Ein Kumpel von mir war im Stadion, der würde es bis heute bezeugen.
Wie kam es denn zu der Verwarnung?
Kunert: Vor meiner zweiten Aktion habe ich mir gedacht: Gut, nun habe ich ja das gemacht, was man von mir verlangte - jetzt muss ich etwas zeigen, jetzt muss ich doch mal auffallen! Ich wollte gegen zwei Mann losdribbeln, habe die Kugel aber direkt verstolpert. Der Ball sprang zu Marcell Jansen, den ich daraufhin attackiert habe und ihm dabei ordentlich in die Hacke trat. Dafür gab's Gelb und quasi direkt danach war Schluss. Was witzig ist: Ein halbes Jahr später saß ich in Hamburg als Neuzugang in der Kabine und wurde von Marcell gefragt, ob ich denn diesen übermotivierten Jungspund kennen würde, der ihn beim letzten Spiel auf Schalke so sinnlos umgehauen hat. (lacht)
Wissen Sie noch, was Ihnen Ihr einziger Bundesligaeinsatz eingebracht hat?
Kunert: Ich glaube, es waren 500 Euro pro Punkt, demnach 1500 für den Sieg. Im Profibereich war das natürlich ein absoluter Witz, aber für mich wahnsinnig viel Geld.
Was geschah nach dem Spiel?
Kunert: Wir sind mit der halben Mannschaft in die Diskothek "Kronski" in Gelsenkirchen-Buer feiern gegangen. Auf einmal wurde ich dort an der Pissrinne erkannt: Hey, du bist doch der Kunert, du hattest doch heute deinen ersten Einsatz! (lacht) Das war für mich eine Anerkennung, ein ganz anderes Gefühl als vorher.
Beinahe könnten Sie sich heute sogar Deutscher Meister schimpfen, hätte Schalke die Schale nicht ausgerechnet bei einem Spiel in Dortmund vergeigt.
Kunert: Nach dieser Niederlage waren wir alle brutal enttäuscht und haben sehr gelitten. Doch ich für mich dachte damals ja nicht, dass ich diese Chance nie wieder bekommen werde. Daher habe ich das gar nicht als so dramatisch angesehen. Ich war vielmehr überzeugt, dass ich noch 15 Jahre vor mir habe, in denen ich Meister werden kann.
Zwei Meistertitel hatten Sie bis dato immerhin schon: 2005 und 2006 mit der A-Jugend. Dabei sollen Sie als Jugendspieler unter Trainer-Koryphäe Norbert Elgert nicht als Disziplinfanatiker aufgefallen sein.
Kunert: Ich habe immer meine Leistung gebracht, wenn es darauf ankam. Aber ich hatte auch Flausen im Kopf, gab Widerworte, machte abfällige Handbewegungen und kam auch mal unpünktlich. Elgert war auch kein einfacher Trainer. Er hat wirklich sehr großen Wert auf Disziplin gelegt. Der hat mal Leroy Sané von den Profis in die A-Jugend beordert und dann im Spiel eiskalt ausgewechselt. Horst Hrubesch hat er verboten, mich zur U19-Nationalelf einzuladen, weil ich mich zuvor nicht gut verhalten hatte.
Wie blicken Sie heute darauf?
Kunert: Mit 17, wenn man auf solch einer Welle reitet und glaubt, das geht einfach alles so weiter, dann versteht man das natürlich überhaupt nicht. Im Nachhinein bin ich Elgert aber unheimlich dankbar. Er hat uns vorgelebt, was es braucht, um Profi zu werden. Er war stets der Erste, der da war. Das Training war immer 45 Minuten vor Beginn aufgebaut. Unter ihm habe ich erst gelernt, wie man sich taktisch auf dem Feld verhält. Er ist für mich der beste Jugendtrainer der Welt.
Ihre Mitspieler in der Jugend hießen Manuel Neuer, Mesut Özil, Benedikt Höwedes oder Ralf Fährmann. Die drei Letztgenannten unterschrieben zum selben Zeitpunkt wie Sie ihren ersten Profivertrag. Welche Perspektiven zeigte man Ihnen auf? Schalke war ja ein Spitzenteam, in das es schwierig war hineinzurutschen.
Kunert: Ich stand entweder im Kader für die Bundesligaspiele oder spielte bei der Zweiten in der Oberliga. Das hat mich natürlich hin und wieder gefrustet. Wenn man die Woche über bei den Profis trainiert und sich akklimatisiert hat, will man nicht nur in der Oberliga kicken. Ich sehe das heute aber mit ganz anderen Augen.
Und zwar?
Kunert: Ey, da haben Lincoln, Rafinha, Kevin Kuranyi, Jermaine Jones oder Marcelo Bordon gespielt. Es ist doch irre, dort überhaupt einen Kaderplatz bekommen zu haben. Mein Fokus war damals aber: Die Karriere muss jetzt vorangehen, ich muss durchstarten und mehr spielen. Auch mein Umfeld hatte hohe Erwartungen an mich. Da hat mein ganzes Dorf mitgefiebert. Die wollten, dass es einer von ihnen nach ganz oben schafft.
Haben Sie heute noch Kontakt zu denjenigen, die später eine größere Karriere als Sie hinlegten?
Kunert: Zu einigen, aber nur noch sporadisch. Alexander Baumjohann und Christian Pander sind gute Kumpels. Von Manuel Neuer höre ich ab und an durch einen gemeinsamen Freund, der mit ihm eine Firma gegründet hat. Früher hatten wir einen ziemlich guten Draht. Unsere Freundinnen waren eng miteinander befreundet und kamen aus Mühlheim an der Ruhr. Manu und ich sind daher oft zusammen dorthin gefahren. Da hat jeder fünf Euro geopfert, um genug Sprit in der Karre zu haben und überhaupt zu den Mädels zu kommen. (lacht)
Nur ein paar Monate, nachdem Sie Ihr Bundesligadebüt feierten, wechselten Sie zum HSV. Würden Sie diesen Schritt heute nochmal gehen?
Kunert: Nein. Ich hätte lieber noch ein Jahr versuchen sollen, mich auf Schalke durchzusetzen. So wäre ich in meiner gewohnten Umgebung geblieben und nicht mit 19 nach Hamburg gezogen. Das war eine große Umstellung und ein komplett anderer Alltag für mich. Ganz ohne Hotel Mama.
Was gab den Ausschlag für den Wechsel?
Kunert: Ungeduld. Ich wollte auch in der U-Nationalelf nicht zurückfallen. Horst Hrubesch hat gesagt: Wenn ich mich als U19-Stammspieler nicht auf Schalke durchsetze, wird es Dieter Eilts in der U21 schwer haben, mich zu nominieren. Viele aus der U19 wie Kevin-Prince Boateng, Marc-Andre Kruska oder Patrick Ebert haben nämlich schon regelmäßig in der Bundesliga gespielt. Und Hrubesch hatte natürlich gute Kontakte zum HSV.
Warum wollte Schalke Sie nicht behalten?
Kunert: Der HSV hat für mich 150.000 Euro gezahlt. Das war der Beweis, dass man es mit mir ernst meint. Die Schalker haben wohl nicht daran geglaubt, dass mir der Sprung gelingt und daher lieber die Kohle mitgenommen. Mein Berater und ich waren auch der Meinung, dies sei der beste Schritt. Ich konnte entweder bei der Zweiten in der drittklassigen Regionalliga oder bei den Profis spielen, bei denen es ganz im Gegenteil zu Schalke überhaupt nicht gut lief.
Dann aber kamen die Verletzungen. Sie waren eineinhalb Ihrer zwei HSV-Jahre nicht spielfähig.
Kunert: Schon nach ein paar Einsätzen in der Zweiten zog ich mir einen Innenbandriss im Knie zu. Kaum war der verheilt, setzte mich eine Schambeinentzündung außer Gefecht. Als im Sommer Martin Jol neuer Cheftrainer wurde, kannte er mich nur verletzt. Ich war bei den Profis völlig abgeschrieben. In der Zweiten ging es zudem um die Qualifikation zur neuen, eingleisigen 3. Liga. Die wurde aber verpasst, so dass ich während der Verletzung eine Liga abgestiegen bin. So hatte ich in Hamburg auf einmal wieder dieselbe Situation wie auf Schalke.
Und wurden für kurze Zeit arbeitslos.
Kunert: Zu Schalker Zeiten hatte ich noch ein Angebot aus der 2. Liga von Greuther Fürth. Nun aber nahmen ganz viele Vereine Abstand, die mich zuvor noch mit Kusshand genommen hätten. Plötzlich hieß es: Der Kunert war ja eineinhalb Jahre verletzt, der bekommt höchstens einen leistungsbezogenen Vertrag.
Wie oft denken Sie heute mit Blick auf Ihre Schalker Zeit noch daran, was hätte werden können?
Kunert: Immer mal wieder. Ohne die Schambeinentzündung mit 20 hätte ich sicherlich eine ordentliche Karriere in der 2. Liga hinlegen können. Ich bin trotzdem vollkommen im Reinen mit meiner Laufbahn. 99 Prozent meiner Mitspieler in Schalkes Jugend sind komplett auf der Strecke geblieben. Verglichen wird man aber stets nur mit dem einen Prozent, das es geschafft hat. Das ist gerade in Deutschland extrem. Hier herrscht eine absolute Neid-Kultur, in der einem niemand etwas gönnt.
Eine Schambeinentzündung kann tückisch und hartnäckig sein. Wie haben Sie das in den Griff bekommen?
Kunert: Damit ist absolut nicht zu scherzen. Ich hatte riesige Schmerzen und konnte nicht schlafen. Seitliche Bewegungen waren unmöglich. Ein Jahr lang habe ich das Schmerzmittel Diclofenac und auch etwas für den Magen eingenommen. Ich war bei fünf, sechs verschiedenen Ärzten in ganz Deutschland, weil die Schmerzen von der einen auf die andere Seite wechselten oder manchmal sogar beidseitig auftraten. Nach einem halben Jahr konservativer Behandlung wurde ich operiert, doch selbst zwei, drei Monate danach hatte ich noch Schmerzen. Das ist für Sportler eine der schlimmsten Verletzungen, weil es einfach kein Patentrezept für die Behandlung gibt.
Auch bei Ihrem anschließenden Verein in Lotte mussten Sie über sechs Monate zuschauen, da man eine Entzündung am Iliosakralgelenk in Ihrem Becken feststellte, die chronische Rückenbeschwerden verursachte.
Kunert: Nach Schalke hatte ich leider auf jeder meiner Stationen mit Verletzungen zu kämpfen - meist Faserrisse oder Entzündungen im Körper. Auf Anraten des ehemaligen Schalker Mannschaftsarztes Dr. Thorsten Rarreck ließ ich daher mein komplettes Blutbild überprüfen. So kam heraus, dass ich HLA-B27 positiv bin, also anfällig für Rheuma im Alter. Dabei bilden sich Entzündungen, die sich nicht von selbst wieder abbauen. Seit 2014 muss ich daher alle vier Wochen ein Rheuma-Medikament einnehmen und viermal jährlich beim Arzt erscheinen, um durchgecheckt zu werden.
Sie standen damals beim 1. FC Saarbrücken unter Vertrag. Dort wären Sie wegen einer anderen Sache beinahe ums Leben gekommen. Was war da genau los?
Kunert: Ich hatte einen Blinddarmdurchbruch, den ich gar nicht wahrnahm, weil ich viel Diclofenac und auch das Rheuma-Medikament genommen habe, bis mein Körper wohl zu sehr mit Medikamenten zugedröhnt war. Plötzlich bekam ich abartige Bauchschmerzen. Da war der Blinddarm bereits geplatzt und hatte gestreut. Es war allerhöchste Eisenbahn.
Wie ging es weiter?
Kunert: Ich lag im Krankenwagen und hörte, wie der Notarzt das Krankenhaus anrief. Da hieß es, ich müsste sofort notoperiert werden. Ich wusste in dem Moment gar nicht, dass es lebensbedrohlich ist. Als ich nach der OP aufwachte, saß meine Mutter heulend vor mir. Dann ging die wirklich schlimme Zeit erst los.
Inwiefern?
Kunert: Nach der OP hatte ich drei Wochen lang durchgehend 40 Grad Fieber und konnte höchstens zwei Stunden schlafen, da noch zu viele Bakterien in meinem Bauchraum waren. Zehn Kilo habe ich abgenommen, weil ich kaum etwas essen konnte. Drei verschiedene Antibiotika schlugen nicht an. Ich habe es kaum mehr ausgehalten und war kurz davor aufzugeben. Erst mit dem vierten Antibiotikum hat es geklappt. Das waren drei Monate, in denen ich echt durch die Hölle ging.
Sie schafften es dennoch rechtzeitig zum Relegationsspiel um den Drittligaaufstieg, das jedoch im Elfmeterschießen gegen die Würzburger Kickers verloren wurde. Anschließend entließ der FCS den gesamten Trainerstab. Nach einer Woche unter dem neuen Trainer Falko Götz wurden Sie aussortiert.
Kunert: Der dachte wohl, der Kunert wird eh nicht fit. Sie müssen sich vorstellen: Ich bekam nur auf die Fresse, eine Diagnose jagte die nächste, auf einmal kommt der Blinddarmdurchbruch, ich kämpfe mich wieder heran, wir vergeigen den Aufstieg und dann gibt dir der Trainer plötzlich den Laufpass. Ich hatte noch ein Jahr Vertrag. Da denkt man nur: Was ist das für ein beschissenes Geschäft? Wozu mache ich das alles überhaupt noch?
Sie haben sich gegen ein Karriereende entschieden. Stattdessen gingen Sie zum TSV Steinbach Haiger, wo Sie die längste Zeit Ihrer Karriere verbrachten und hessischer Landespokalsieger wurden. Wie kam es schließlich dazu, dass Sie 2021 zum unterklassigen SV Rot-Weiss Walldorf wechselten?
Kunert: Ich war zuvor zwei Jahre beim FSV Frankfurt und zog mir dort innerhalb kürzester Zeit vier Faserrisse zu. Ich hatte das Gefühl, mein Körper macht jetzt einfach zu. Es stand im Raum, dass ich komplett aufhöre. Ich habe eine Frau und einen kleinen Sohn, bin dazu beruflich viel auf Reisen. Das war mir zu stressig, aber ganz ohne kann ich halt auch nicht. Irgendwann saß ich mit Freunden zusammen und dabei kam die Idee mit Walldorf auf. Seit ich nicht mehr unter Profibedingungen trainiere, hält der Körper.
Was machen Sie heute beruflich?
Kunert: Ich habe 2016 meine erste eigene Wohnung gekauft und merkte schnell, dass mich das Thema Immobilien sehr interessiert. Mit der Zeit kamen vier weitere Immobilien dazu. Ich habe dann einen sechswöchigen Lehrgang bei der IHK absolviert. Jetzt bin ich geprüfter Immobilienmakler und habe im Juli 2021 meine eigene Firma gegründet. Ich wohne in der Nähe von Frankfurt, bin aber meist im Ruhrgebiet unterwegs. Daher sind die drei Trainingseinheiten pro Woche ein guter Ausgleich von meinem Alltag.
Also ist aus einer Model-Karriere nichts geworden? Im August 2019 zierten Sie nämlich das Cover des Mindener Trendjournals, in dem man unter anderem Veranstaltungstipps für die Region Ostwestfalen bekommt.
Kunert: (lacht) Ich hatte keinerlei Ambitionen. Das war eine einmalige Sache aus Jux und Dollerei. Der Vater eines Freundes hat dieses Magazin gegründet. Ich tat das eher für ihn, weil es in der damaligen Corona-Phase nicht so einfach war, Werbung für ein solches Magazin zu machen. Ich bin doch auch kein Model-Typ!
Timo Kunert: Die Stationen seiner Karriere
Verein | Zeitraum |
VfB Kirchhellen | 1992-1999 |
FC Schalke 04 | 1999-2007 |
Hamburger SV | 2007-2009 |
Sportfreunde Lotte | 2009-2011 |
Rot-Weiß Oberhausen | 2011-2012 |
Sportfreunde Lotte | 2012-2013 |
VfL Osnabrück | 2013-2014 |
1. FC Saarbrücken | 2014-2015 |
TSV Steinbach Haiger | 2016-2019 |
FSV Frankfurt | 2019-2021 |
Rot-Weiß Walldorf | 2021-2022 |
SV Zeilsheim | seit 2022 |